Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Now there's a hole in the sky"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

11. 7. 2013 - 14:58

Now there's a hole in the sky

Die Pixies sind unsere Artists of the Week, wahrscheinlich, weil es FM4 vor einem Vierteljahrhundert noch nicht gab. Es gibt viel nachzuholen.

Ich hätte ja den hagiographischen Hurra-Text zu den Pixies als Artist of the Week schreiben sollen, aber das ist hier schließlich das Internet, also kann ich stattdessen den polemischen kleinen Tastentäter raushängen lassen wie alle hier.

Artist of the Week?
Ja, FM4-Redaktion, ist euch zu heiß geworden?
Nur weil die Pixies live spielen und unter ihrem alten Namen neue Songs veröffentlichen, heißt das doch noch lange nicht, dass es die überhaupt gibt!

Alle Artists of the Week auf einen Blick.

Ganz im Ernst, als sich vor einer Weile die Kunde verbreitete, dass die Pixies wieder auf Tour gehen würden, aber diesmal OHNE KIM DEAL, ging mein Twitter-Feed über vor verschiedenen Versionen des sarkatischen Statements: " didn't even know the Pixies were still a going concern."

Ich fand das gemein, aber dann auch wieder gerecht.

Hin und wieder, arbiträr, dann dafür aber sehr konsequent, folge ich nämlich der Haymanschen Regel (die ihrem Namensgeber immerhin die Möglichkeit des Ja-Worts zu einer Hefner-Reunion und somit die einzige Chance auf ordentliche Gagen nimmt):

Keine Band der Welt, die einmal auseinander gegangen ist, soll sich je wieder vereinen.

Wie gesagt, Regel Schmegel, aber manchmal sagt einem der Instinkt, dass man sie durchziehen sollte, und die Pixies waren für mich immer so ein Fall.

Dann hab ich vorgestern Susi Ondrusovas super zusammengestellte Videoreise "Gigantic" gelesen und begriffen, dass meine Wahrnehmung dieser Band eine vollkommen überkommene ist, weil ich als alter Sack, der seine nostalgischen Bedürfnisse sehr selektiv befriedigt, die volle Größe des zweiten Lebens der Pixies überhaupt nicht begriffen hatte.

Pixies Bandfoto

4AD

Jüngere Pixies, so um 1990

Insofern musste mich auch schon Susis erster Satz gleich völlig aus der Bahn werfen: "Kein Pixies-Fantum kann ohne die wunderbare Doku "Loud Quiet Loud" auskommen."

Die ich natürlich nie gesehen habe.
Was bin ich für ein ignorantes Monster!
Jedenfalls offensichtlich kein echter Fan.
Vor lauter schlechtem Gewissen juckte es mich schon zwischen den Schulterblättern, ehe mir der zweite Absatz überhaupt den Boden unter den Füßen wegzog:

"Der Erstkontakt mit den Pixies ist den meisten wohl mit dem Abspann von 'Fight Club' passiert."

Fight Club hab ich irgendwann aus Pflichtgefühl auf DVD ausgeborgt, aber ziemlich sicher nicht zu Ende gesehen. Das also war der Grund für das unerklärte Wiederauftauchen von "Where Is My Mind" links, rechts und in der Mitte! Jahrzehntelang hab ich mich von der Parallelwelt des Pixies-Revisionismus ferngehalten, und jetzt stehe ich einerseits völlig daneben, andererseits trotzdem zu meiner Entscheidung, gerade weil es so ist, wie Susi dann in ihrem dritten Absatz schreibt: "Man kann behaupten, ohne das erste Album der Pixies, Surfer Rosa, das 1988 erschienen ist, würde es Nirvana wohl nicht geben."

Völlig richtig, bis auf das Detail (sorry Susi, bin jetzt nur der Pointe zuliebe pedantisch), dass es Nirvana ja aus gutem Grund nicht mehr gibt (solang nicht zwischendurch Paul McCartney für irgendeine Preisverleihung den Kurt macht).

Was wiederum auch ein gutes Argument dafür gewesen wäre, einem der schlüssigsten Erzählbögen der Popgeschichte seine perfekte Form zu gönnen, ohne einen sinnlosen Appendix in Form der Pixies-Reunion dran zu knüpfen.
Der Pixies-Split 1993 fand trotz aller Bitterkeit schließlich genau zur richtigen Zeit statt, in einer Phase, wo das ganze Grunge-Zeug, für das Deal/Francis/Santiago/Lovering sowieso immer schon viel zu klug gewesen waren, den Gipfel seiner Garstigkeit erreichte.

Zugegebenermaßen spricht dagegen neben der Erlangung später Gerechtigkeit auch der Umstand, dass die Mitglieder der Pixies auch im 21. Jahrhundert noch von was leben können sollten. Selbst wenn diese spezifische Art, David Lovering von seinem Schicksal als schlechtester Zauberer der Welt zu erlösen, auf Kosten jüngerer Bands geht, die heutzutage höchstens noch dazu da sind, auf Festivals den Heritage Acts die Vorband zu geben. Auch das ist aber nicht das Problem der Pixies.

Das mit dem Zaubererschicksal weiß ich übrigens auch nur, weil ich mir dann vorgestern von Susis Story inspiriert mit dem Laptop am Schoß doch noch die Doku auf Youtube angesehen hab - und dabei prompt in der Mitte weggedöst bin.
Nicht etwa weil sie fad gewesen wäre, ich war bloß zu fertig von der Hitze.

Die steifen Vibes zwischen den Bandmitgliedern hab ich allerdings mitgekriegt. Das Traurigste daran war der erschreckende Unterschied zu meinen eigenen Begegnungen mit Kim Deal und Black Francis.

Charles Thompson hieß damals Frank Black, es war ein Flughafenhotel in Zürich im Jahr 1996, kurz vor Erscheinen des dritten Soloalbums "The Cult of Ray". Zu diesem Zeitpunkt war schon offensichtlich, dass sein Alleingang nach der Band nicht wirklich abheben würde, aber irgendwie war das damals, als "cult artists" wie er auch von mittelmäßigen Plattenverkäufen bequem leben konnten, noch egal.

Frank/Charles/Francis war ein praller Sack Flöhe mit einer akustischen Gitarre vor dem Wanst. Zu jedem zweiten Satz, den er sagte, rezitierte und improvisierte er passende Lieder, was dann zwar einen unmöglich zu schneidenden Radiobeitrag hergab, aber den umso stärkeren Eindruck eines unglaublich musikalischen, hyperaktiven Enthusiasten hinterließ.

Was mich an ihm am meisten überraschte, war sein gänzlich straighter Glaube an den klassischen Rock'n Roll, jene nur bei amerikanischen Bands anzutreffende komplette Abwesenheit irgendeiner ironischer Brechung, wie sie in Kombination mit dem Pop-Instinkt eines britischen Labels immer wieder magische Symbiosen erschaffen kann.

Als 4AD 1987 erst die Throwing Muses, dann die Pixies unter Vertrag nahmen, hatte die Plattenfirma gerade mit "Pump Up The Volume" von M/A/R/R/S ihren größten Hit erzielt. Weiter entfernt vom Rock'n Roll konnte man damals kaum sein.

Genau genommen fand 4AD-Chef Ivo Watts-Russell die Pixies ja angeblich auch "zu konventionell", aber seine damalige Partnerin (im Leben wie im Label) Deborah Edgely hörte das Potenzial der Band im sogenannten "Purple Tape", der Demo-Kassette mit dem lila Cover, von der schließlich acht Songs als die erste Mini-LP "Come On Pilgrim" erschienen (die restlichen neun kamen 2002 bei Cooking Vinyl heraus, darunter übrigens fantastische Versionen späterer Hits wie "Here Comes Your Man", "Broken Face" und "Subbacultcha").

4AD-Mitarbeiter und C86-Co-Initiator Colin Wallace, der heutzutage bei One Little Indian in London Promotion macht, hatte die glänzende Idee, die Band als nächstes zu Steve Albini zu schicken. Das Resultat hieß "Surfer Rosa". Soviel zum historischen Glücksfall, dass die Pixies in der allerbesten Phase der britischen Independent-Szene beim ästhetisch zielsichersten aller Londoner Labels untergekommen waren (die Pixies waren übrigens ja nicht nur am Grunge, sondern heimlich und unbelohnt auch an den besseren Seiten des Britpop schuld. Schließlich ist auch Graham Coxons Gitarrenstil über weite Strecken der Versuch, Black Francis und Joey Santiago zugleich zu spielen).

Aber ich schweife hoffnungslos ab.

Die erwähnte Begegnung mit Frank Black hinterließ mich damals Mitte der Neunziger jedenfalls mit dem Gefühl, dass dieser Mann nie mehr Black Francis sein konnte, weil er ein zu adepter Handwerker geworden war. Selbst wenn ich am Allerwenigsten an den romantisch herablassenden "Edle Wilde"-Mythos der Dilettantismus-Verherrlichung glaube, schien mir dann bei der Reunion Mitte der Zweitausender die Vorstellung, dass dieser zum gewandten Federzeichner gereifte Musiker gewissermaßen wieder zum Buntstift greifen würde, einfach nicht glaubwürdig.

Und jetzt, wo ich zumindest den Anfang und das Ende von "Loud Quiet Loud" gesehen habe, vor allem die Backstage-Kommunikation mit Black Francis in der Rolle des distanzierten, aber kontrollierenden Papa, hat sich in mir überhaupt ein Bild der konzentrierten Awkwardness geformt, das ich schon gar nicht mehr aus dem Kopf kriegen würde, falls ich doch in die Versuchung kommen sollte, mich anders zu entscheiden.*

*Ich lebe nicht in Wien, aber das war jetzt eine ganz schlechte Werbung meinerseits für den dort angekündigten Gasometer-Gig am 1. November, der eh sicher super sein wird).

Noch dazu OHNE KIM DEAL, die einer ganzen Generation den Indie-Rock-Bass beigebracht hat, der im stoisch loyalen Verein mit der Kickdrum eine verlässlich primitive Grundmelodie auf den Boden nagelt, über die hinweg dann andere kreischen und expressiv dahinschrammeln können.

Kim Deal hatte ich 2002 rund um das Erscheinen von "Title TK", dem ersten Comeback der Breeders nach langer Pause, interviewt. Mit ihrer Schwester Kelley zusammen führte sie die entspannteste Hardcore-Stoner-Doppelconference, die man sich vorstellen kann, gar nicht zu vergleichen mit dem leicht verstockten, verunsicherten Bild, das sie zwei Jahre später in besagter Pixies-Reunion-Doku abgibt.

Obwohl Kelley behauptet, dass der Abgang ihrer Schwester von den Pixies nichts mit der laufenden Breeders-Reunion zu tun habe wundert einen jedenfalls nicht sehr, dass Kim lieber mit Kelley auf Tour geht als mit der Band, die jetzt Pixies heißt, deren Single Bagboy aber eher nach Frank Black klingt.

Ich persönlich finde jedenfalls Kims Solo-Singles besser.

Also, FM4, die Pixies als Artist of the Week?
Als Teenagers of the Year?
Beste Band der Welt vor 25 Jahren, das ja!