Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kuriositätenkabinett auf der Fashionshow"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

7. 7. 2013 - 13:27

Kuriositätenkabinett auf der Fashionshow

Die Pressemitteilung einer Modeshow verspricht Besonderes: Sie will "soziale Randgruppen" ebenso wie "normale Models" einbinden. Ausgestellte Diversity.

Wenn man zwei Monate weg war und im Juli nach Berlin zurück kommt ist die Stadt so wunderschön wie selten zuvor- und man weiß wieder ganz genau, warum man hier lebt. Das Wetter ist so angenehm kühl, die Wohnung so groß, die Menschen gar nicht so unfreundlich wie in der Erinnerung und es ist so viel geboten!

Im Kunsthaus Bethanien gibt es eine Ausstellung zur Berliner Clubszene der Neunziger, Im Prinzessinnengarten werden "Earthships" - radikal nachhaltige Häuser aus alten Autoreifen und recycelten Flaschen vorgestellt, der neue Wong Kar Wai-Film läuft hier längst, am Samtag geht es zum "Down By the River Festival"... Täglich kann man sich in Berlin zwischen vier bis fünf wirklich tollen Sachen entscheiden.

Model

roesinger

Außerdem läuft gerade die "Mercedes Benz Fashion Week", auf der der Designer Patrick Mohr seine Unisex- Sommerkollektion 2014 vorstellt und die Pressemitteilung der Agentur verspricht Besonderes.

Patrick Mohrs Mode ist nämlich nicht nur "avantgarde and streetwear, urban and haute couture" seine Kollektion "Human" soll auch ein Statement zur Menschlichkeit sein: "Seine Modeshow zur Mercedes Benz Fashion Week bindet soziale Randgruppen ebenso wie normale Models ein".

Das hätte man allerdings etwas netter, neutraler formulieren können, wer will schon zu einer sozialen Randgruppe gehören? Jedenfalls sollten wohl irgendwie im Namen von Diversity Rollstuhlfahrerinnen, Transgender, Türsteher vom Berghain, der Musiker Rummelsnuff, Schwarze, Weiße, Menschen mit Down- Syndrom und Models an der Show teilnehmen.

model im rollstuhl

roesinger

Wäre man kultur-pessimistisch veranlagt, könnte man denken: In was für Zeiten leben wir, dass Leute wie Jimmy Blue und Wilson Gonzales Jungstars sind, aber zum Glück sind wir ja nicht kultur-pessimistisch veranlagt.

Am Mittwoch Abend standen dann hunderte, teilweise übertrieben gekleidete Menschen in der Schlange vor dem alten Kaufhaus Jandorf in Berlin Mitte und warteten auf Einlass. Bekannte traf man keine , aber die Jungstars Jimmy Blue Ochsenknecht und Wilson Gonzales lungerten auch draußen rum.

Im alten Kaufhaus, auf vorbildlich Berliner Weise abgeblättert, ruinös mit unebenen Böden und hohen Decken, standen im Erdgeschoss die Models aus den verschiedenen Randgruppen herum – die Rollstuhlfahrerinnen saßen. Die Kollektion bestand aus 26 Teilen, und es waren teilweise sehr schöne fließende Gewänder in asymmetrischen Schnitten und mit langen Fallschirmschleppen dabei. Die Unterwäsche in weiß wirkte hingegen unspektakulär.

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roesinger

Wie versteinert standen die Randgruppenmodels da, wurden begafft und fotografiert. Regungslos oder mit leichten Körperzuckungen gingen sie ihrer Arbeit nach, die, wie man sehen konnte, sehr schwer und anstrengend sein muss.

Teilweise wirkten die ausgestellten "Randgruppen" wie eine Freakshow , wie das Kuriositätenkabinett auf den Jahrmärkten im 19. Jahrhundert oder den "Völkerschauen" - andererseits, dachte man auch an Christina Aguileras Hit "You are beautiful no matter what they say ..."

"Human" soll eine Geschichte erzählen, sagte Mohr im Interview mit "spiegelonline". "Und die geht so: Alle Menschen sind gleich, egal ob makellos schön oder mit Handicap. Jeder soll gleich wahrgenommen, niemand ausgegrenzt werden."

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roesinger

Anders als auf dem Catwalk blieben die Models unverrückt stehen und da weiter nichts passierte zog es die Menschen in den ersten Stock des entkernten Kaufhauses, wo an zwei Sponsorenständen mit Bier und Wodka großer Andrang herrschte. Von der Galerie aus konnte man auf den Modezirkus nach unten blicken. Sehr viele junge, sehr dünne Frauen mit ebenmäßigen Gesichtern standen in Gruppen beisammen, andere trugen ihre sehr merkwürdige Kleidung auf bestimmt sehr unbequemen Schuhen durch die Gegend und es war alles sehr interessant. Die Jungstars Wilson Gonzales und Jimmy Blue Ochenknecht hatten links von der Bar einen kleinen VIP- Zirkel gebildet und ließen sich bereitwillig fotografieren. Einer der Brüder trug eine Jacke mit der selbstdesigned wirkenden Aufschrift "Wir Kinder vom Kottbusser Tor".

Das Kottbusser Tor wiederum ist eine Gegend Berlins in der viel türkische Migranten, Rentner, und Hartz 4- Empfänger wohnen – auch Junkies und Alkoholiker treffen sich dort gerne. Jungstars wie die Wilson Gonzales sind dort aber eher selten anzutreffen- Aber wer weiß was uns der junge Schauspieler damit sagen wollte?

Nicht die einzige Frage, die nach dem erlebnisreichen Ausflug auf die "Mercedes Benz Fashionweek" offen blieb.