Erstellt am: 7. 7. 2013 - 14:00 Uhr
Wild Dreinschauen, Jung Bleiben
So wars:
Zum Nachhören:
Für sieben Tage on demand: Mit Live- und DJ-Sets von GusGus, DubFX, Reptile Youth, Mike Skinner und mehr.
So war das Urban Art Forms Festival 2013:
- Einfach Elektro: Das Urban Art Forms Festival euphorisiert, noch bevor das Hauptprogramm begonnen hat.
- Wie heißen die Typen, die die Party rocken?: Dub FX, GusGus und wie eigentlich immer funktional großartig: Deichkind.
- Form follows function: Der Style der Festivaleros am Urban Art Forms Festival
- Softcore Continuum: FM Belfast, Reptile Youth, Zinc, Seeed.
- Aufschlag, Satz und Sieg: Wie man sich in Unterpremstätten die Zeit vertreiben kann und was am Zeltplatz alles los ist.
- Lagerkoller Das Zeltplatzbiotop. Sag zum Abschied ganz laut Servus.
- Wild Dreinschauen, Jung Bleiben: The Prodigy
Sind The Prodigy für diese testosterongeladenen elektronischen Tanzmusiken zur Verantwortung zu ziehen, die seit Kurzem auch in den USA - wo „Dance“ mit einigen Ausnahmen lange Zeit ein Nischendasein fristete - unter Namen wie „EDM“ oder „Brostep“ höchste Erfolge feiert? Musik, die oft ohne Würde und Stil fast ausschließlich mit Signalreizen operiert, mit der man mittlerweile immer öfter auf Festivals konfrontiert wird und deren Hauptzweck zu sein scheint, den Typen im Publikum zu kommunizieren, jetzt aber einmal so richtig das Oberteil wegzuschmeißen und die Faust zu ballen?
Das „Rocken“ und ein Abgehen zu elektronischer Musik, das sich eher am Muster des Rockkonzerts als an dem Verhalten im Club orientiert, haben sie sicherlich mitbefördert. Man soll aber nicht vergessen, dass diese schon in ihrer Aufstellung (ein Produzent, Tänzer/halbe MCs) höchst seltsame Formation sehr gute Platten aufgenommen hat. Das Debüt der englischen, um Mastermind Liam Howlett aufgestellten Gruppierung The Prodigy namens „Experience“ aus dem Jahr 1992 beispielsweise war eine schöne und oft auch schön alberne Verquickung von Acid, Rave, Happy Hardcore, weichgekochtem Jungle und damals schon einer großen Dosis Pop. Kann man heute noch ohne schalen Beigeschmack hören. Das zweite Album, der Durchbruch, „Music For The Jilted Generation" stellt immer noch ein faszinierendes Bindeglied zwischen den Ausläufern von Rave-Kultur und Ideen von elektronischer „Alternative“-Musik und Crossover dar und ist beispielhaft für den Erscheinungsgzeitpunkt – die frühen bis mittleren 90er.
Daniel Willinger
Ihren Auftritt am Samstag Abend auf der Hauptbühne des Urban Art Forms eröffnen The Prodigy, ein symptomatischer Headliner, auch mit einem Stück aus ebenjenem Album: „Voodoo People“. Eines ihrer besten Stücke, das übrigens ein Gitarrenriff der kurz vor The Prodigy sehr erfolgreich gewesenen Rockband Nirvana samplet. „Voodoo People“ – ist es ein Rave-Anthem, das davon berichtet, was diese verteufelte Tanzmusik mit den Menschen anstellt, wie Techno sie in bloß noch zuckende Zombies, reine Körper verwandelt?
Liam Howlett, Maxim Reality, Keith Flint, begleitet von einem Gitarristen und einem Schlagzeuger - wie sie da so auf der Bühne stehen und Pirouetten des Bösen drehen, stolzieren, in Hosen vielleicht aus Lack oder Leder, mit wilden Frisuren ihre Edginess demonstrieren, mit irrem Blick, wie sie springen und Punk als Versandhauskatalog definieren. Wie sie da all die schon vor gut 20 Jahren zur Marke „The Prodigy“ angehäuften Zeichen, die Nietenbänder, das Metall im Gesicht, die komischen Pupillen ideologisch noch immer stolz zur Schau stellen, da strahlen The Prodigy schon eine sehr eigene Coolness aus. Eine Coolness, deren Qualität jener Coolness nicht unähnlich ist, die immer in deutschsprachigen Fernsehfilmen oder Daily Soaps den coolen Rocksängern der lokalen Rockband anhaftet. Keith Flint ist sicher kein Mann, der beim Zähneputzen die Augen schließt.
Daniel Willinger
Natürlich aber haben The Prodigy die Hits: „Breathe“, „Poison“, „Firestarter“ – auch die weniger bekannten Nummern sind ein Feuerwerk der eingespielten Extravaganz. Gegen Ende gibt's noch „Smack My Bitch Up“, einen ihrer durchschlagendsten Knaller – der jedoch auch sehr schlau und fingerfertig aus Bestandteilen wie dem Ultramagnetic MC und dem insgesamt ziemlichen Gott Kool Keith, einem Track von Rage Against The Machine, einem Stück der englischen Elektronik-Eminenzen Coldcut und noch einigen Zutaten mehr zusammengesamplet ist. Man muss das natürlich alles nicht wissen – und soll es wohl auch nicht bemerken – in dieser Auswahl liegt jedoch schon die gesamte DNA von The Prodigy begraben.
Daniel Willinger
Der massive Erfolg des dazugehörigen Albums „The Fat of The Land“ (Nummer Eins in den Charts ) aus dem Jahr 1997 öffnete seinerzeit, gemeinsam mit zeitgleich auf ähnlichem Feld operierenden Acts wie den Chemical Brothers oder Moby, aber eben nicht - wie vielerorts erhofft und vermutet - die Türen Richtung größerer Mainstream-Akzeptanz von elektronischer Popmusik. Vielmehr bereitete er den Boden für Heerscharen von fürchterlichen Nu-Metal/Rap-Metal-Bands, Gruppen, denen das Hinzufügen von ein paar elektronischen Elementen und ein paar Scratches da oder dort in ihr Bandkonzept schon als Vision von der Zukunft genügte. Jetzt haben wir den Salat. Heute gibt es mittlerweile Gruppen, die Dubstep oder Drum'n'Bass mit Rock vermengen und im Bandformat darbringen. Wie zum Beispiel die Gruppe Modestep, die am Samstag Nachmittag vor The Prodigy aufgetreten ist. Mehr will man über diese Band nicht wissen.
Zur gleichen Zeit wird am Samstag - wie schon am Vortag - auf der Bühne am See weit feinsinniger, ohne jedoch die Party zu missen, und musikhistorisch deutlicher im Hier und Heute und fast schon Morgen gearbeitet. Gute Menschen wie Cid Rim, ƱZ oder Hudson Mohawke spielen sich da durch Trap, Bass Musik jeglicher Form und Farbe, HipHop und filigran geschnittene Pop-Elektronik. Sehr gut.
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Man soll den Müttern nicht ihre Kinder vorwerfen, The Prodigy selbst jedoch haben sich seit „The Fat of the Land“ kaum bemüht, sich in irgendeine Richtung zu entwickeln – die Single „Girls“ vom sonst ganz und gar ambitionslos zusammengedübelten Album „Always Outnumbered, Never Outgunned“ aus dem Jahr 2004 war da vielleicht noch ein kleiner später Lichtblick. Längst schon sind sich The Prodigy nicht mehr zu fein, die KISS des – des was eigentlich? - zu sein. Wohl ihres eigenen Genres, nur mehr damit beschäftigt sich selbst zu personifizieren.
Daniel Willinger
Die spielerische Aggression von The Prodigy ist jetzt abgestumpft, weitflächig in die Dance-Kultur übergeschwappt. Im Mainstream ist derlei Musik fast nur mehr an der Herstellung von Intensität interessiert. Dafür darf man The Prodigy böse sein; dass eine Show wie die ihre, die kaum mehr will, als einen definierenden Aspekt 90er-Jahre gefroren im Moment nachzustellen, auf einem großen Festival immer mindestens gut geölt läuft und die Menschen, auch die skeptischen, die Massen, in schöne Wallungen versetzt, wird niemand ernsthaft bezweifelt haben. Mitreißende Prodigy-Show begeistert tausende Prodigy-Fans. Wenn auch ein bisschen leise.
„Jilted“ heißt übrigens in etwa so viel wie „sitzengelassen“, „im Stich gelassen“, „Music For The Jilted Generation“ war ein loses Konzeptalbum, das sich gegen den seinerzeit erlassenen „Criminal Justice and Public Order Act 1994“ richtete, der die Rave-Kultur damals massiv beeinträchtigte. Sehr oft wird das Publikum, die Jugend, die Generation aber auch gar nicht so recht im Stich gelassen, sondern bloß viel zu einfach dort abgeholt, wo sie es eh erwartet. Breakdown, Bass Drop, Party. Nach The Prodigy auf der Hauptbühne tritt im großen, großen Zelt Baauer auf.