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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

9. 7. 2013 - 17:45

Worst Case Scenario

In Nathaniel Richs Roman "Schlechte Aussichten" wird Disaster Porn zur hohen Kunst. Sarkasmus inkludiert.

"It's the End of the World as we know it..."

Würde man die Tätigkeit von Mitchell Zukor in einen Film packen müssen, wäre sie wohl Teil eines Katastrophenfilms von Roland Emmerich. Erdbeben, Wirbelstürme, Kofferbomben, Cyber-Anschläge und abstürzende Flugzeuge sind seine Aufgabenbereiche bzw. deren Prognostizierung. Die Logik des Untergangs und apokalyptische Szenarien haben für Mitchell etwas Beruhigendes, ideal für die Tätigkeit bei einer Versicherungsagentur. Und dort landet er auch direkt nach dem College und berechnet für große Corporations den Wert jedes einzelnen Mitarbeiters - im Falle einer größeren Schadenssumme. Erwartetes Lebensalter, Gesundheitsrisiken und Produktivitätsfaktoren verpackt Mitchell in mathematische Gleichungen. Er selbst ist etwas über 200.000 Dollar wert.

Eine Katastrophe musste er auch selbst schon miterleben: Die US-amerikanische Großstadt Seattle wird bei einem Erdbeben überflutet. Noch heute warten manche Betroffenen auf unterstützende Zahlungen.

Hochhäuser unter Wasser

Klett-Clotta

A Future World

Nathaniel Rich "Schlechte Aussichten", Cover

Klett-Clotta

Nathaniel Rich: "Schlechte Aussichten" ist in deutscher Übersetzung von Hannes Riffel 2013 bei Klett-Cotta erschienen.

Katastrophen sind aus Sicht großer Unternehmen in erster Linie eine Geldfrage. Sich abzusichern ist schwierig, zum einen, da man die Zukunft nicht vorhersehen kann und zum anderen, weil es immer einen Sündenbock braucht, der dafür aufkommt. Was wäre allerdings, wenn rechtliche Schlupflöcher begünstigen, dass im Endeffekt niemand zu zahlen hat?

Hier tritt die junge Start-Up-Company "FutureWorld" mit ihrem Begründer Alec Charnoble auf: Ihr ausgeklügelter Plan basiert auf einem maroden Rechtssystem und lückenhaften Regelungen. In einem ersten Schritt wird den Klienten Angst gemacht: Große Unternehmen sollen sich selbst gegen die unwahrscheinlichsten Katastrophen absichern wollen, und das bei FutureWorld. In einem Vertrag wird jedoch ausgehandelt, dass im Falle der Apokalypse die Unternehmen keine Schuld trifft, da sie ja von FutureWorld beraten wurden. Die wiederum trifft auch keine Schuld, da sie ja lediglich eine beratende Funktion eingenommen haben. Nach jahrzehntelangen Rechtsprozessen wird keine der beteiligten Parteien auch nur einen Cent ärmer sein. Damit unwahrscheinliche Katastrophen wahrscheinlich werden, landet Mitchell bei "FutureWorld". Seine Aufgabe ist die Einschüchterung der Klienten.

Während die sich aus lauter Angst gegen alle Szenarien sichern wollen, hängt Mitchell der einzigen Person nach, die in seinen Augen keine Angst kennt. Seine ehemalige Studienkollegin Elsa, schwer krank, aber wohl gerade deshalb furchtlos. Das Cover des Buches gibt den Spoiler vor: Bevor Mitchell Elsa nämlich finden kann, muss zuerst New York untergehen.

Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen

Siehe auch: FM4 Reality Check - Author Nathaniel Rich explains what is means to live in a world where we are constantly exposed to bad news.

Geschichten zum Ende der Welt sind Teil unserer Kultur. Die Bandbreite reicht von der ernsthaften Abhandlung der Apokalypse wie bei Emmerich bis zur überhöhten Persiflage wie derzeit bei "This is the End" mit Franco/Rogen/Hill und Co und bald auch "The World's End" von Pegg und Wright. Wir sind fasziniert von unserem eigenen Untergang, und haben trotzdem das Bedürfnis, ihn zu prognostizieren und uns gegen ihn abzusichern. Die Zukunft ist die kommende Katastrophe.

Weitere Leseempfehlungen:

Nathaniel Rich, gerade mal 23, legt mit "Schlechte Aussichten" seinen zweiten Roman vor, den ersten in deutscher Übersetzung. Er ist eine Parabel über Angst und Mut und wird mit Fortdauer des Textes zu einer Art Katastrophen-Katharsis für seinen verschrobenen Protagonisten. Zwischen den Zeilen spürt man den trockenen Humor (z.B. erinnert Charnobles Name nicht ganz zufällig an Chernobyl) und der Roman reiht sich in eine lange Liste ein, in der New York das Zentrum des Abgrundes ist. Wenn die Welt untergeht, dann wohl hier zuerst.

"...(and I feel fine)"