Erstellt am: 9. 7. 2013 - 15:27 Uhr
Die falsche Freiheit
Dieser Blog kommt sehr spät, aber die Geschichte hat erst eine Weile in mir gären müssen, bis ich draufkam, was mir an der Zelebrierung von Edward Snowdens Freiheitskampf nicht gefallen wollte.
Jetzt weiß ich: Es ist nicht Snowden, sondern die Freiheit, für die er kämpft, und worin sie eigentlich besteht.
Eines der beliebtesten Klischees vom Internet als unabwendbares, technologisches Naturereignis ist die Unaufhaltsamkeit der Datenverbreitung. So wie das Wasser finden sie immer ihren weg, die mp3s, der Porno, die Regierungsgeheimnisse, nichts bleibt unveröffentlicht.
Wie Edward Snowdens Enthüllungen der Schattenwelt gegenseitiger Beschnüffelung ins Bewusstsein riefen, gilt für die Überwachungstechnologie logischerweise genau dasselbe. Wo spioniert werden kann, wird spioniert, und Gesetze, die das begrenzen oder erlauben, sind bestenfalls zur Legitimation in Gerichtsfällen da.
Wer nun gemäß dem für Netz-Schlaumeier pflichtgemäßen Default-Modus blasierter Abgeklärtheit meint, er oder sie hätte das eh schon immer gewusst und neide niemand die Innenansicht seiner/ihrer Unterhosen, sollte sich zur Abwechslung fragen, ob das zum Beispiel auch auf von uns gewählte PolitikerInnen zutrifft, deren Gesetze Google, Amazon etc. Billionen an Steuern vermeiden lassen, während die Austerität an sämtlichen Sozial-, Gesundheits- und Kulturbudgets knabbert.
Die Manipulierbarkeit unserer politischen EntscheidungsträgerInnen misst sich unter anderem im Unterschied zwischen einer durchschnittlichen Surf History und dem, was die gültige Doppelmoral für amtswürdig hält (remember Anthony Weiner).
Paramount
Noch wesentlicher ist aber das in den Mainstream-Medien erstaunlich wenig besprochene Detail, dass Snowden ja gar nicht für die NSA, sondern für Booz Allen Hamilton arbeitete.
Ein bloßer Blick auf die Kapitel „Democracy Now!“, „Political Contributions“ und „Activities in Foreign Countries“ auf der stinknormalen Wikipedia-Seite zu dieser Firma macht das in endlosen Experteninterviews wiedergekäute Argument des Abwägens von Freiheit und Sicherheit zur blanken Farce.
Zweifellos erzeugt das von solchen Firmen unter enormem Aufwand öffentlicher Gelder betriebene Zusammenfassen von Daten ein vielfach größeres Sicherheitsrisiko, als es zu bekämpfen vorgibt.
Sicherheitsrisiko privatisierte Schnüffelei
Wenn die Mitarbeiter eines Konzerns wie Booz Allen Hamilton, der gleichzeitig (auf beiden Seiten) amerikanische Wahlkämpfe mitfinanziert, für die NSA arbeitet und Regierungen im arabischen Raum beim Aufbauen von Informationsdiensten hilft, über Zugang zu derlei handlichen Datenpaketen verfügen, sollten sich eigentlich gerade die Security-Apostel die größten Sorgen machen.
Stattdessen gehen sie in ihrer Argumentation - genau wie auf der anderen Seite die Verfechter der Internetfreiheit - von längst nicht mehr vorhandenen Mächteverhältnissen aus.
Paramount
Snowdens ehemaliger Arbeitgeber ist nur eines von vielen symptomatischen Beispielen für die von Jahrzehnten des fortschreitenden Outsourcing vorangetriebene Privatisierung von Staatsinteressen.
Das Business von Booz Allen Hamilton gleicht auch aufs Haar genau dem Geschäftsmodell von Facebook, Google, Amazon und Konsorten, die wichtige Feststellung ist also, dass es zur Spionage keine Hintertür oder Nebentür in die sozialen Netzwerke braucht. Der Prozess ist ein und derselbe, und der Wert der gehandelten Datensätze garantiert geradezu für ihren betrügerischen Missbrauch.
In einem Interview mit dem Guardian-Herausgeber Alan Rusbridger hat Eric Schmidt von Google neulich bekannt, seine größte Sorge seien private Drohnen. Wer das, was die USA über Pakistan abwerfen mit dem Datenzugang eines Edward Snowden zusammenzählt und sich eine mit etwas mehr Zynismus und weniger Idealismus ausgestattete Version von letzterem vorstellt, wird Schmidts Sorgen teilen.
Darin liegt das unberechenbare Risiko und nicht im Klischee der Polarität zwischen Rebellenfreiheit und behördlicher Repression.
In ihrer narzisstischen Selbstschmeichelei haben sich die progressiven Kräfte des frühen 21. Jahrhunderts gern eingeredet, die vermeintliche Schwerelosigkeit des Internet vermöge ökonomische Zusammenhänge aufzuheben und hinter den Rücken der Mächtigen vorbei ganz automatisch eine Ära der freien Meinungsäußerung mit sich bringen.
So als würden all die unsichtbaren, Strom fressenden Server-Farmen aus purer Kommunikationsfreude betrieben. So als wäre online die Übermacht des wirtschaftlich Stärkeren auf wundersame Weise außer Kraft gesetzt, bloß weil jedeR sich eine URL besorgen kann.
Das war ein folgenschwerer Irrtum, allerdings nicht nur der „Fortschrittlichen“ bzw. der „Linken“. Selbst jenen Wirtschaftsliberalen, die ehrlich an das Friedmansche Versprechen von der individuellen Freiheit im entfesselten Kapitalismus glauben bzw. das alte neoliberale Schreckensbild des vom Staat verfolgten Individuums vor sich sehen, mag nun grausen vor dem Monster, das sie zu erschaffen halfen.
Wir sind ja gewohnt, Tim Berners-Lee für die Großzügigkeit zu danken, der Welt die Weiten des Webs tantiemenfrei zur Verfügung zu stellen. Die Weiterführung der edlen Idee, eine zuvor nur militärisch und wissenschaftlich angewendete Technologie dem zivilen Gebrauch zu öffnen, steckt im Kern des moralischen Selbstverständnisses praktisch allen Netz-Aktivismus und des andauernden Kampfs um den Bestand der Net Neutrality.
Paramount
Spätestens jetzt, wo wir statt der vom Netz erwarteten Demokratisierung vor der Realität rundum überwachter Kommunikationswege und mächtiger Dienstleistungsmonopole stehen, drängt sich allerdings die Frage auf, ob der Ursprung dieses Alptraums paradoxerweise nicht in genau dieser noblen Geste des Verzichts auf einen grundsätzlich lizenzierten Datenverkehr lag, der es zum Beispiel ermöglicht hätte, ein von Marktmechanismen beschütztes, öffentlich finanziertes soziales Netzwerk auf der einen und ein reguliertes kommerzielles Netzwerk auf der anderen Seite einzurichten.
Das ganze wertvolle Ding de facto den ungebremsten Kräften des freien Wettbewerbs zu überlassen, war - wie sich immer klarer herausstellt - weniger ein heroischer Akt als eine grobe Fahrlässigkeit, wenngleich wohl nicht aus neoliberalem Eifer, sondern aus verständlicher Naivität.
Wie konnte sich irgendwer ausmalen, dass das Internet sich zu einer gewaltigen Honey Trap für die vernetzte Menschheit auswachsen sollte?
Woher sollte einer ahnen, dass dieses bisschen Generösität die Grundlage für einen Parallelwirtschaftsraum schaffen sollte, der vom Zivilrecht über das Kartellrecht bis zu gewerkschaftlich ausverhandelten Kollektivlöhnen alles aushebeln würde, was dem Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert an zivilisierenden Riegeln vorgeschoben worden war? (Das 1890 begründete, 1914 erweiterte US Antitrust Law feiert nächstes Jahr seinen hundertsten Geburtstag und sieht in der Welt von Google und Amazon mittlerweile wie eine linksradikale Utopie aus.)
Der Gebrauch des Internet ist schon lange nicht mehr, wie etwa Robert Misik in seinem vorgestrigen Standard-Video-Blog behauptet, eine Frage der Bequemlichkeit.
Nach den jüngsten Reformen der britischen Regierung werden zum Beispiel Sozialhilfe, Behindertenbeihilfe und Arbeitslosengeld nur mehr per Internet verrechnet.
Wer keinen Computer hat, muss sich eben in der nächsten öffentlichen Bibliothek einloggen. Facebook-Boykott, Handy-Verweigerung, verschlüsselte Emails hin oder her, letztendlich gibt es keinen Weg daran vorbei, seine Daten anderen zur kommerziellen Nutzung, d.h. zur Schnüffelei zu überreichen.
Mit Freiheit wird das nie was zu tun haben.
Wenn es überhaupt einen Weg aus dieser Bredouille gibt, dann muss der über eine grundsätzliche Infragestellung der Eigentumsverhältnisse im Netz führen und gemeinsame Interessen finden, die die Fronten des infantilen Scheingefechts zwischen Rebellen und Behörden kreuzen.
Das klingt weniger funky als Freiheitskampf, ist aber die einzige Alternative zum Selbstbetrug auf beiden Seiten.