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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

6. 7. 2013 - 14:29

Softcore Continuum

Urban Artforms Festival, Tag 2: FM Belfast, Reptile Youth, Zinc, Seeed.

Urban Art Forms Festival

Das Festival für elektronische Musik + ein paar außertourliche Headliner, vom 4. bis 6. Juli beim Schwarzlsee in Graz.

FM4 sendet live vom Urban Art Forms Festival am Samstag, den 6. Juli, von 19 bis 24 Uhr.

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Bei aller Liebe für diese den Göttinnen in ihren besten Träumen eingefallene Wundermusik namens "Techno" (es ist wirklich Musik!) und die diversesten Spielarten der elektronischen Dancefloor-Beschallung ist es doch erfrischend, dass bei so einem Festival wie dem Urban Art Forms auch tatsächliche Bands mit echten Instrumenten auftreten. Man muss nicht ständig mit dem härtesten Glockenschlag der Bassdrum daran erinnert werden, dass man vielleicht jetzt tanzen könnte oder dass irgendetwas vielleicht gut ist. Viele wissen das nicht. Man kann auch manchmal zuhören.

Nachdem am frühen Freitag Nachmittag das österreichische Trio Gudrun von Laxenburg mit im Bandformat dargebotener Rave-Musik die Hauptbühne schon ok aufgewärmt hat, hat die dänische Formation Reptile Youth danach die etwas undankbare Aufgabe ihren durchaus knackigen, mit Elektronik durchsetzten Indie-Rock einem zahlenmäßig noch nicht gar so gut aufgestelltem Publikum schmackhaft zu machen. Um derlei Uhrzeit schälen sich die Menschen wohl erst aus ihren Zelten oder drehen lieber Runden im Schwarzlsee. Dabei sind doch Reptile Youth eine ziemlich bis manchmal gar sehr gute Gruppe.

Reptile Youth

Daniel Willinger

Im Tagesjob sind Reptile Youth ein Duo, in der Live-Variante stehen sie als Quintett auf der Bühne. Hier gibt es aus den Zutaten Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang und Synthesizer zusammengebaute Musik zu hören, die sich meist als abgemilderte und melodiösere Ausgabe von sogenanntem Dance-Punk empfiehlt, hier zwar nie die arty Durchschlagskraft von beispielsweise The Rapture oder auch des LCD Soundsystems erreicht, dabei aber doch immer recht fein swingt, schunkelt und sexy kreischt. Die Menschen vor der Bühne lassen sich von Reptile Youth gerne mitnehmen. Frontmann und Sänger Mads Damsgaard Kristiansen im wild gemusterten Pyjama-Ensemble ist zudem ein Meister der gewitzten Verknüpfung von Bühnen-Ansagen: "We Are Here. You Are Here. We Are Here Together. So Let’s Have A Good Time Together. I Promise, It’s Going To Be A Blast. I Promise - So, Okay, This Next Song Is About Depression." Irgendwann setzt heftiger Regen ein.

Reptile Youth

Daniel Willinger

Reptile Youth

Die auf der Hauptbühne auf Reptile Youth folgende Gruppe FM Belfast hat es nicht wesentlich leichter: Der Regen hat mittlerweile eine Lacke von den Dimensionen eines kleinen Sees entstehen lassen, die beinahe die ganze Breite des Hauptgeländes durchzieht und so für Zuspätgekommene das Durchdringen vor die Bühne fast unmöglich macht. Die Feuerwehr kommt und pumpt. Dennoch: Das isländische Quartett FM Belfast ist im Wörterbuch unter dem Begriff "Partyband" nachzuschlagen, womöglich bei jedem Wetter. Synthie-Pop und Weißbrot-R’n’B gespielt von Indie-Typen in karierten Hemden und eventuell gerne auch kurzen Hosen.

Und fast schon schön kitschig scheinen FM Belfast auch die Dramaturgie des Wetters beeinflusst zu haben. Etwa in der Mitte ihres Sets kommt mit dem Hit "Par Avion", besser bekannt als "To The Carribean", auch wieder die Sonne auf, der Regen trollt sich langsam. Am frühen Abend können FM Belfast an Elektronik, Drums und Gesang das Festival schon in ein Mini-Rave verwandeln. So gut kann ein aus House-Pianos, HipHop-Zitaten, Prince-Kieksern und kurz angespielten Fetenhits wie "Pump Up The Jam", "The Power" oder "Fight For Your Right To Party" zusammengewürfeltes Style-Potpourri funktionieren.

FM Belfast

David Bitzan

FM Belfast

Das alles ist aber nicht bloß Blödsinn. FM Belfast haben die Kontrolle über ihre eigenen Stücke, fein gedrechselte Popsongs und mit Trance flirtende Computerschlager, und wissen wann wo warum ein Verweis eingebaut werden muss. Es scheint wie eine Nummernrevue, der es gelingt, aktuelle Tendenzen der Tanzmusik als etwas formelhaft auszustellen, gleichzeitig aber auch deren Stärken zu nutzen. Es gibt auch kurze, wie aus den üblen Sorten von Dubstep abgehörte Wobble- und Verzerrer-Orgien: In ihrer ursprünglichen, angestammen Umgebung unerträglich, bei FM Belfast als punktuelles Signal herausgearbeitet und vorgeführt erhellend. Zudem vollführt einer der vier Herren fast durchgehend Dance-Moves, die er sich aus den besten Videos von Vanilla Ice, MC Hammer und der C + C Music Factory abgeschaut haben dürfte. Das alles ist sehr fantastisch, die Menschen springen. Ein Konzert in allen komischen Farben, im Bühnenhintergrund blinkt ein riesiger Acid Smiley.

HVOB

Dominik Schallauer

HVOB
Publikum

Lupi Spuma

Zinc

Lupi Spuma

Zinc

Auf der an diesem Tag von FM4 Unlimited gehosteten Eristoff Tracks Stage am Strand, immer einen Abstecher wert, gibt es derweil an diesem Tag beispielsweise Joyce Muniz, die Hausherren Beware und Functionist oder die wunderbare österreichische Formation HVOB zu erleben. Ein Höhepunkt.

Ein wie gewohnt feinsinniges, dabei durchschlagendes Programm wird auf der Red Bull Music Academy Stage abgefahren. Dort ist es ohnehin gut auszuhalten. Wenn es nicht regnet. Die Bühne ist halb in den See hineingebaut, die Menschen liegen nachmittags ohne großen Partyzwang am Strand in der Sonne herum und blicken gütig drein. Später wird dann freilich auch getanzt. An den Abspielgeräten stehen hier zum Beispiel Wuschelboy Wolfram oder Zinc. Zinc ist fast schon so etwas wie eine Ikone, die viel zu wenigen Menschen bekannt ist.

Zinc und Mike SKinner

Lupi Spuma

Zinc und Mike Skinner
Publikum

Lupi Spuma

Mike Skinner

Lupi Spuma

Mike Skinner

Der altgediente englische DJ und Produzent Zinc spielt sich durch die Musiken des sogenannten, von Musikjournalist Simon Reynolds so definierten, Hardcore Continuums, das alle spezifisch "englischen" Breakbeat-Musiken von Jungle und Drum'n'Bass über 2-Step, Garage, hin zu Dubstep zusammengenommen als eine durchgehende, konstante Bewegung begreift. Zinc setzt an diesem Abend aber nicht auf die harte, aggro und street Variante, sondern auf die weiche, gut mit Pop gezuckerte.

Was es zum Beispiel in Zincs Set zu hören gibt, bisweilen auch nur kurz angeteased: "The Bouncer" von Kicks Like A Mule, "Where's Your Head At" von Basement Jaxx, den Überklassiker "Brown Paper Bag" von Roni Sizes Reprazent oder auch das von Zinc selbst produzierte "Wile Out" mit Ms. Dynamite. Der Headliner auf der Bühne ist am Freitag Mike Skinner, der seine Streets hinter sich gelassen hat und aktuell die Welt als Schallplattenunterhalter beehrt. Er schlägt in eine ähnliche Kerbe wie Zinc, wenngleich sein Set einerseits ruppiger und grobschlächtiger, gleichzeitig aber auch, in anderen Momenten, einen Touch poppiger ausfällt. Großer Abend.

Fritz Kalkbrenner

David Bitzan

Fritz Kalkbrenner
Peter Fox

David Bitzan

Peter Fox

Auf der Hauptbühne wird ein souverän-unaufgeregtes, durchaus nicht schlechtes Programm des Soliden abgespult: Gefälliger, melodieverliebter TechHouse von Fritz Kalkbrenner, die immer die Party rockenden Parov Stelar und die Berliner Unterhaltungsmaschinerie Seeed. Seeed inszenieren ihren Auftritt in schmalen Anzügen, als in den Choreografien an Soul im Allgemeinen und Motown im Speziellen angelehnte Revue. Plus Bigband-Flair. Dass Frontmann Peter Fox meist als König hervortritt, der seine Gefolgsleute tanzen und trommeln lässt, hinterlässt einen üblen Beigeschmack.

Was bringt der Samstag? Hudson Mohawke, Bauuer, The Prodigy und vieles mehr.