Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Alone Again, my Dear"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

6. 7. 2013 - 13:58

Alone Again, my Dear

Amanda Palmer: Punk Cabaret Rampensau trifft Kerzenlicht Cumbia Country unter dem großen Schornstein. Plus: Amanda Palmer in einer Video-Session

Amanda Palmer und die Ukulele

Amanda Palmer hat FM4 vor ihrem Auftritt in der Arena einen Besuch abgestattet und uns im Studio2 vorgeführt, warum die Ukulele das beste und schönste Instrument überhaupt ist.

Video:

  • Katharina Seidler
  • Simon Welebil

Ton:

  • Rudi Ortner

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Unter den Schornsteinen

Ich war ja bevorurteilt. Ich hatte Amanda Palmer mit Dresden Dolls in einer relativ kleinen Venue gesehen und Calexico zweimal auf Festivals und mir beides mal dasselbe gedacht: Die gehören woanders hin:

Hier die selbstinszenierende Rampensau, eine Mischung aus David Coverdale und Freddie Mercury in Korsett und Strapsen, die mit dynamischer Laut-Leise-Musik und frechen Ansagen eine schlüpfrige Massenhochzeit energetisch durchdirigiert - she was meant for the big Stage!

Alle Bilder von Patrick Münnich

Amanda Palmer

Patrick Muennich

Dort die stilsichere, eher leise Band, die - vom unvergleichlichen Groove eines der besten Drummer der Welt zart angeschoben - an sich unverwandte Musikstile beider Americas subtil gemischt und sich so zur konsenstauglichsten Americana Band aller Zeiten gemausert hatte - die gehören auf die Clubbühne, in ein Zuhörkonzert, wo sie jede einzelne Person direkt erreichen.

Und so war es auch. Und es war schön.

Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra

Den NME Newcomer und Springsteen Supportact Jamie N. Commons durfte ich wegen allzu früher Beginnzeit leider verpassen. Punkt zehn vor acht stehen Amanda Palmer und das Grand Theft Orchestra auf der wohlbekannten Bühne im Schatten des Großen Schornsteins. "Zuerst ein deutsches Lied" (Amanda Palmer spricht fließend deutsch, ) ... und das ist , naja, zumindest ungewöhnlich ... Amanda schmettert zur elektrischen Ukulele eine Bedroom- Rock- Variante von Heintjes Schmachtfetzen "Ich bau dir ein Schloss", dem zweitliebsten Musikstück meiner Großmutter selig (nach Heintje's "Mama". Sie mochte das Holländerkind damals eindeutig lieber als mich, ihren einzigen eingeborenen Enkel). Am Publikum geht die Schlagerironie vorbei, selbst bei einem "Erwachsenengig" wie Calexico können sich nur wenige an die Hauptabend-Fernsehszene der Sechziger Jahre erinnern - für sie wars einfach eine nette Nummer (die Deutschlandreferenz Nummer 1), das Vorgeplänkel zu dem, was Amanda danach ankündigt: "Und jetzt: Rock'n'Roll".

Und das kam auch, mein lieber Herr Gesangsverein. Ekstatisch stakst die mit einem Klaus Nomi Mieder (Deutschlandreferenz Nummer 2) Bekleidete durch die Songs ihres "Theatre is Evil" Albums, mit Handkantenschlägen wird das E Piano (namens "Kurt Weill", Deutschlandreferenz Nummer 3) bearbeitet. Eine schwelgende Rockshow mit den Zutaten des Sleaze, ein Ted Nugent Lookalike Drummer in Unterhosen, ein Bassist im Frack wie bei den alten Plasmatics (deren Shows diese Band wahrscheinlich inspiriert haben dürften) und eine androgyne Person in Samthosen und Schnürstiefeln an einer - man muss es so nennen - "Rockgitarre".

Ich würde ja sagen, dass Amanda Palmer Solo am besten ist, und mit der Eleganz, mit der Brian Viglione uns durch ihre Eskapaden dirigiert hatte, kann sich diese Truppe aus Schießbudenfiguren niemals messen - trotzdem passte das alles dann doch gut zusammen und wer Pulps Klassenkampf Nummer-"Common People" covert und sich als Zugabe mit der Ukulele-Version von Radioheads "Creep" verabschiedet kann sicher der Gunst des p.t. Publikums sein, sodass ihr Solokonzert im November wieder gut besucht sein dürfte.

Wer das noch nicht gesehen hat und was für exzessives energetisches und doch elegantes Entertainment übrig hat, sollte diese Gelegenheit benutzen, diese Frau zu sehen, es lohnt sich.

Calexico

Dunkel wird's, warm ist es, das Bier und der warme Sangria fließen, es riecht nach Wurst, Gras und Zimt. Wenn man die Augen schließt, könnte man sich auch auf einer kalifornischen Hochzeit befinden, Amanda hatte ja schon Blumen in die Menge geworfen, jetzt wird es dämmrig und ein großes Vibraphon wird auf die Bühne geschleift und deutet schon an, dass leise, stimmungsvolle Klänge nun übernehmen.

calexico

Patrick Muennich

Der wie gesagt beste und vielleicht fescheste Drummer der Welt, John Convertino, vornehm gealtert mit Brille, wirbelt den Auftakt und die Reise durch die USA beginnt. Um die konsensfähigste Band der Americana Szene zu werden muss man einiges können, einiges wissen, einiges (richtig) machen, viele Menschen lieben und von vielen geliebt werden. Ry Cooder hat es vorgemacht, Joey Burns, der Mann mit dem freundlichen Zeichenlehrergesicht hat es weiter geführt, er kann all das und tat es.

Ein akustischer Groove, ein unaufgeregter Gesang, der von den Träumen der Outcasts an der mexikanisch-amerikanischen Grenze erzählt, dazu Lap Steel Gitarren, spanische Backing Vocals, Trompeten, Ziehharmonika, ein paar selbstgeschriebene Hits, ein paar liebevolle Coverversionen: Love's "Alone Again Or", Minutemen's "Corona" (schrecklich lahm, leider, aber es war schön das hier zu hören, gerade in der Arena, vor einem Publikum, dessen Hardcore Tage, wenn überhaupt vorhanden, schon länger zurück liegen dürften) und ein in eine Cumbia oder Son Nummer dezent eingebautes "Guns of Brixton" - allein diese Auswahl markiert den geschmackssicheren und historisch sorgfältigen Standort dieser Band. Sie sollen alles Geld der Welt haben.

Und wenn man sich wie ich gerne künstlich aufpudelnd über den Calexico' schen Selbstbedienungsgroove aufregt, der ganz Lateinamerika, die Karibik und obendrauf Mexiko zu einer leichtverdaulichen Calexico "Salsa" - im Übrigen ein Schimpfwort aus dem Munde von Celia Cruz, die sich abfällig düber die Art ausließ,wie die Nordamerikaner die Musik ihrer Heimat spielten - zusammenkocht, bringt einen so eine laue Nacht und ein Snarewirbel von John Convertino wieder in den Beat und man muss erkennen, dass manche Menschen ihren Hintern bewegen können, ohne in die Knie zu gehen.