Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wie heißen die Typen, die die Party rocken?"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

5. 7. 2013 - 13:08

Wie heißen die Typen, die die Party rocken?

Urban Art Forms Festival Tag 1: Dub FX, GusGus und wie eigentlich immer funktional großartig: Deichkind.

So wars:

Zum Nachhören:
Für sieben Tage on demand: Mit Live- und DJ-Sets von GusGus, DubFX, Reptile Youth, Mike Skinner und mehr.

So war das Urban Art Forms Festival 2013:

Dub FX ist der Final Fantasy der Beatboxer, wenngleich auch mit etwas weniger Feingeist ausgestattet und nicht so sehr auf virtuose Kunstsinnigkeit bedacht – aber Partylaune, das muss vielleicht auch ab und zu sein. Vor allem dann, wenn man gerade mit seiner Musik beim Urban Art Forms Festival auf der Hauptbühne ab 6 Uhr abends den Gezeitenwechsel am Himmel von Sonnenbank Richtung Sturmwarnung und androhendem Regen begleiten muss.

Was dem kanadischen Musiker Owen Pallett und seinem Projekt Final Fantasy die Violine ist, das sind dem australischen Stimmakrobaten Benjamin Stanford und seinem Solounternehmen Dub FX der Gesang, der Hals, die Mundhöhle. Ganz allein auf weiter Bühne stehend speist er die von ihm selbst am Mikrofon erzeugten Beats, Brummer und Schnalzgeräusche in die Elektronik ein, loopt sie und schichtet sie, manipuliert sie mit Effekten und überlagert sie neu. So entsteht ein dichtes Soundgeflecht zwischen Dub, Dubstep und zurückgelehnter Holterdiepolter-Elektronika.

Das wäre alles doch recht fein. Hierzu addiert Dub FX jedoch neue Gesangspuren aus dem Ragga- und Reggae-Fundus, und versucht sich als maschinenbetriebener Feel-Good-Bob-Marley der Herzen. Das geht nicht immer gut. Das alles ist sehr sympathisch, hat aber nicht selten den Flair des Alleinunterhalters im Ferienclub. Immerhin: The Sun is Shining, Wolken ziehen vorüber.

Dub FX

David Bitzan

Dub FX: Jah in der Maschine?
Wankelmut

David Bitzan

Schunkelt eh auch ganz lieb: Wankelmut

Fotos: David Bitzan

Ein erwartbarer Höhepunkt ist am Donnerstag der Auftritt von GusGus, auch wenn - oder vielleicht gerade deswegen – im Vorfeld meist kaum einzuschätzen ist, was und überhaupt: wen dieses isländische Konstrukt/Bandgefüge/Projekt bei einer Live-Performance auf die Bühne stellen wird. Zu Zeiten des glorreichen, immer noch gültigen zweiten Albums "Polyesterday" aus dem Jahr 1997, auf dem an der Außenkante von TripHop Richtung lasziver Clubmusik weitergeforscht wurde, waren GusGus – wie man das von Isländern so gewohnt ist – noch eine vielköpfige Bastler- und Künstlergruppe, in der mitunter auch Regisseure und andere kreativ Begabte aus dem Orbit der eigentlichen Musikerinnen offiziell im Bandregister geführt wurden. Sehr gut ist das. Es soll doch schließlich auch Kunst sein, diese Musik.

GusGus

David Bitzan

GusGus

So verwundert es kaum, dass GusGus vermutlich der most sophisticated Act beim diesjährigen Urban Art Forms sind. Im Lauf der Jahre sind GusGus nach frühem Erfolg immer mal wieder abgetaucht, haben sich gewandelt, sich gesundgeschrumpft, haben mal wieder ein Mitglied abgestoßen und dort ein neues hinzugewonnen. Waren mal mehr, mal weniger vorhanden, zwischenzeitlich bloß ein Duo. Es geht um die Idee "GusGus". Aktuell sind GusGus dem Vernehmen nach wieder zu fünft, im Zentrum stehen der dauerhafte President Bongo, der lasziv sich in Szene setzende Sänger Daniel August Haraldson und Biggi Veira – die ist aber zuhause geblieben, weil sie das Touren nicht so schätzt. Macht nichts, die Musik ist mitgekommen.

Man möge sich ausmalen, dass Sänger Daniel Haraldson schon einmal beim Eurovision Song Contest - es ist die Wahrheit - angetreten ist, und, dass die letzten beiden gefährlich unterschätzen Alben, vor allem "Arabian Horse" aus dem Jahr 2011, von GusGus bei der allseits stilsicheren Kölner Techno-Manufaktur Kompakt erschienen sind, schon hat man ein zwar unzulängliches, aber doch sehr schönes Bild hinsichtlich des Sounds der Gruppe. Man muss nur die Augen ein bisschen zukneifen. Ein herrliches gemischtes Duo an den Mikrofonen: Daniel Haraldson gibt ganz in weiß den feingliedrigen, exaltierten Dandy, President Bongo, der sich auch "President Penis" nennt, den langhaarigen und bärtigen hip-humorigen Counterpart; hinten schrauben zwei Menschen an der Elektronik.

So etwas gefällt auch einem - wenn auch zahlenmäßig nicht gar so stark vertretenen - dieses Wochenende vielleicht etwas stärker auf Radau gebürsteten Publikum. Wenngleich GusGus für ihre Verhältnisse ganz ordentlich pumpen – sie wissen, dass auch geschmeidige Tanzmusik funktioniert. House, diva-hafte, die großen Gefühle bemühende Vocals und eine Prise Schabernack im Knopfloch. Und ewige Hits: "Over" und "Within You". Musik mit Partyhut, Girlande um den Hals und fesch gepunktetem Stecktuch im Jackett.

GusGus

GusGus

GusGus
Etepetete

David Bitzan

Immer gut: Das Trio Etepetete zerlegt die große Halle

Vor "Get Lucky" hat es "Leider Geil" gegeben. Deichkind, der Headliner am Donnerstag, ist eine der über- wie unterschätzten "Bands" – auch hier viel mehr: Kollektiv, Gang, Crew, fliegender Zirkus – der Gegenwart und der Zukunft. Ein Lied erfinden, das sich sehr, sehr schnell vom bloßen Stück Musik zum geflügelten Wort und Allgemeingut entwickelt – das muss man erst einmal hinbekommen. Das kann dann natürlich nerven.

Deichkind

David Bitzan

Deichkind

Nun hat "Leider Geil" auch, wenn man sich noch daran erinnern kann, den prickelnden Konflikt zwischen dringendem Hedonismus-Wunsch und der Sehnsucht nach einem besseren, verantwortungsbewussteren Leben seinerzeit (Jahre!) treffend formuliert. So kann man das Stück auch als verulkte Weiterführung des ewigen (Anti-) Globalisierungsklassikers "Wenn ich ein Turnschuh wär" einer anderen Formation aus Hamburg, den Goldenen Zitronen, verstehen. Hier sitzt auch das Problem, das Schlaue und das Erfolgsrezept von Deichkind: Dass sie Protest- und Revolutionsparolen auf dumpfem Party-Hit-Niveau transportieren und soweit runterköcheln, dass schon keiner mehr weiß, was er da eigentlich so mitsingt, ist wohl ebenso wahr, wie andersherum gedacht die Tatsache, dass sie schrill-geilen Electro-Pop-Knallern die Mütze des Punk-Chique aufsetzen. Hört ihr die Signale? Die Sauf-Signale?

Deickind

David Bitzan

Nicht zuletzt sind Deichkind in Österreich bislang beim Nova Rock und beim Frequency aufgetreten, genauso beim Donaufestival wie eben beim Urban Art Forms. Fehlt nur Glatt & Verkehrt. Zudem sind sie im Besitz der zweitheißesten Pyramide - oder waren es - im Showgeschäft. Mittlerweile haben Deichkind die Pyramide ins Archiv geschoben und zitieren in ihrer aktuellen, immer noch recht neuen Show lieber auf über die Bühne gleitenden Quadern die daft-punk'sche Stufen-Choreografie aus "Around The World".

Eine anonyme Boygroup in Silber, auf sich drehenden Bürostühlen, inszeniert wie von Busby Berkeley auf Neon und Ecstasy. Deichkind ist mittlerweile zum selbstlaufenden Schlagermobil geworden, das nie scheitert. Kaum ein Stück, das hier nicht heute schon sagt: "Wir waren immer schon Klassiker!". "Arbeit nervt", wer weiß es nicht, mit dem "Hovercraft" fahren wir in einen Nachtclub, in dem ausschließlich Vocoder-Balladen zum Slowfox laden, "Yippie Yippie Yeah", jetzt noch schnell eine Pizza. Morgen wird wie heute sein.

Deichkind

David Bitzan

Zwischen einem allgemeinem Prost! über Dizzee Rascals "Bonkers" wird ein großzügig dimensioniertes Disco-Bierfass geweiht. Darauf steht ein Mann und gibt - auch so ein Deickind-Standard - in Voll-Playback "The Power of Love" von Frankie Goes To Hollywood zum Besten. Am Schluss wird die ganze Bühne, samt Hüpfburg und Trampolin, zum gigantischen Vergnügunspark. Aus einer - jetzt aber doch - Pyramide im Bühnenhintergrund winken Daft-Punk-Wiedergänger komplett mit Roboter-Helmen.

Ein wild zusammengeschusterter Pop-Zitat-Haufen, aus dem zwischendurch in Bühnenansagen immer wieder, lustig gemeint, auch marketing-relevante Wörter wie "Zielgruppe" zum Publikum durchdringen. Eine bessere Party ist heutzutage kaum zu haben und danach darf man sich mit gutem Gewissen auch ein bisschen so fühlen, als hätte man mit all dem Getanze eine kleine, eine gute Message in die Welt befördert. "Denn heute feiern wir!" – der Spruch ist aber trotzdem von den Zitronen.

Am Freitag zum Beispiel super beim Urban Art Forms: Reptile Youth, Zinc, FM Belfast, HVOB, Mike Skinner bedient die Plattenspieler.