Erstellt am: 4. 7. 2013 - 14:58 Uhr
Das finstere Herz
Genauso wie "Top of the Lake" ein wie in höchster Zeitlupe gebauter Thriller in geschmackvoll blassen Blau- und Grautönen ist, so ist die Miniserie in gleichem Maße auch ein erschütterndes Sittengemälde, ein genauer Blick auf eine von allgegenwärtigem Sexismus durchzogene Community. Da hinten in der Kleinstadt hinter den Bäumen am Ende der Welt, wo vielleicht vor 15 Jahren noch eine Gruppenvergewaltigung als Jugendsünde unter den Tisch gekehrt worden ist.
Um derlei zu erleben, so transportiert die Serie unaufdringlich, muss man aber freilich nicht in den letzten Winkel der Unzivilisation kriechen, wo die Menschen noch in Bretterverschlägen leben: "Top of the Lake" dokumentiert den Clash, gleichzeitig auch das Ineinander-Verschmelzen diverser Weltsichten. Das Personal besteht hier aus ungehobelten Naturburschen und Waldarbeitern genauso wie aus schick ausgeleuchteten Cops im Designer-Anzug. Wer hier auf welcher Seite steht, beziehungsweise die Antwort auf die Frage, ob es überhaupt Seiten gibt, bleibt über weite Strecken nebulös.
Top of the Lake
Regisseurin und Co-Erfinderin Jane Campion, die man spätestens seit ihrem Oscar-prämierten Film "The Piano" als Erschafferin im besten Sinne gleichsam betulicher und weihevoller wie spröder, minimalistischer Werke kennt, die wie toll gearbeitete Spieluhren makellos rund laufen, hat mit "Top Of The Lake" ihrem Heimatland Neuseeland ein Denkmal gesetzt. Wenn auch eines, das vielleicht nur auf den ersten Blick schön glänzt. Die Miniserie, die Anfang des Jahres gestartet ist und nach nur sieben Folgen ihren planmäßigen Abschluss gefunden hat, wird Ende 2013 als das triumphale Serienereignis dastehen. Es ist beinahe schon so, als wollten Campion und ihr Team den Rest der Konkurrenz vor den Kopf stoßen.
Mächtig ruht der See, langsam, ganz langsam gleitet die Kamera über die malerisch inszenierten Wälder und Gebirgslandschaften Neuseelands. Ein karger Score verheißt nichts Gutes, man ahnt es schon: Irgendetwas wird hier wohl nicht ganz stimmen. Im Zentrum von "Top of The Lake" steht Detective Robin Griffin, gespielt von Elisabeth Moss, die schon vor allem in der Rolle der Peggy Olson in "Mad Men" zu begeistern wusste und weiß. Moss hebt innerhalb eines ausnahmslos wunderbaren Schauspieler-Ensembles diese in jeder Hinsicht auf Perfektion hingedeichselte Serie noch auf ein neues Plateau: Was das heißen kann - ein sogenannter vieldimensionaler und facettenreicher Charakter, das hat man selten so meisterlich konstruiert und ausgeführt gesehen wie hier.
Elisabeth Moss ist als Detective Robin Griffin eine ganz und gar einnehmende Figur. In ihrem Gesicht und in ihren kleinen Gesten scheinen sich der Tumult und die Unentschlossenheit einer ganzen Gesellschaft zu spiegeln, sie ist subtil und uneindeutig. Sie ist verwirrt und unsicher, hochqualifiziert, aufs Letzte bestimmt, tough, zermürbt und dürfte wohl selbst ein Geheimnis bergen. Verzagt zupft sie an ihrem Hoodie.
Griffin kehrt von Australien aus eigentlich nur in ihr neuseeländisches Heimatstädtchen Laketop zurück, um die an Krebs erkrankte Mutter zu besuchen. Schnell sieht sie sich jedoch in die Ermittlungen um die rätselhafte Schwangerschaft einer 12-jährigen Schülerin und kurz darauf das Verschwinden des Mädchens verwickelt. Vor allen Dingen aber sieht sich Griffin bei ihrer Rückkehr mit Macho-Gehabe und fröhlicher Männerbündelei konfrontiert. Beruflich wie privat. Weil sie die nötigen Voraussetzungen mitbringt, wird sie mit dem Fall betraut – was den angestammten männlichen Kollegen vor Ort nicht gleich die Freudentränen in die Augen treibt.
Grandios ist hier David Wenham in der Rolle des lokalen Polizeichefs, dessen Position zwischen den Polen ernsthaft wohlmeinender, väterlicher Freund, herablassend schulterklopfender Schulmeister, sexuell motivierter Charmebolzen, Creep, im Stolz gekränkter Platzhirsch und gemäßigter Dirty Cop, der eben tut was getan werden muss, lange Zeit unklar ist.
Top of the Lake
In der Figur des Matt Mitcham jedoch, dargestellt von dem – ja, auch hier – herausragenden Peter Mullan, bündelt sich der Machismo der Kleinstadt Laketop am deutlichsten: Mitcham hat als örtlicher Drogenbaron im heruntergekommenen Zottellook (Hobby: Hundeabrichter) die halbe Stadt in der Tasche, gehandlet wird das Business vor allem von seinen beiden in Aufreten und Umgangston gut den Begriff "Hinterwäldler" definierenden Söhnen.
Zudem ist Mitcham der Vater des verschwundenen Mädchens und einer der Hauptverdächtigen. Zur gleichen Zeit betreibt Holly Hunter auf einem pittoresken Landstück draußen am See als gandalf-haariger Guru namens G.J. eine Selbsthilfe-Kommune für vom Leben übel gebeutelte Frauen. Just auf diesem Landstück liegt Mitchams geliebte Mutter begraben – derlei Schabernack kann der Patriarch dort also nicht dulden. Mitcham fungiert auf erschreckende Weise gleichzeitig als höchste Bedrohung wie auch nicht selten in seiner Grobschlächtigkeit und bauernschlauen Gewitztheit als Comic Relief.
"Top of the Lake" operiert auf vielen Ebenen, von verschiedenen Blickwinkeln aus, und das meisterlich, bewahrt dabei aber immer ruhige Hand und bleibt reduziert. Hier gelingt eine so selten gesehene Verschränkung von Sozial-Drama und nervenaufreibender Mystery; selbst das Finale, das vielerorts für Unmut gesorgt hat, inszeniert den vermeintlichen Plot-Twist am Ende nicht als um Sensationen heischenden Knalleffekt, sondern ist wie die gesamte Serie, eindringlich zwar, jedoch lakonisch und beiläufig, mit schwerem Atem gestaltet; als schleichendes Gift, nicht als Erlösung, vielmehr mit dem Wissen, dass nach der Aufklärung eines Falles jetzt auch nicht viel besser geworden ist auf dieser Welt.