Erstellt am: 3. 7. 2013 - 17:36 Uhr
Sehr Unten
Das Scheitern ist auch nicht mehr das was es einmal war. Allerorten hört man vom "Scheitern als Chance" und der Kapitulation als Mittel gegen die bösen Mächte. Krankheit als Weg. Sie sind doch ohnehin immer die Helden, diejenigen, denen, die Sympathien zufliegen: Die Zerstörten, die Tagediebe, die Nichtsnutze und die Hallodris, die schon auf Viertelstrecke Richtung Künstlerkarriere schlapp gemacht haben. Wer mag schon von den Glorreichen und den Prächtigen hören?
Auf den Roman über die Glücklichen ohne Dysfunktionalitäten und Störungen im Lack müssen wir noch warten, Frank Spilkers dieses Jahr erschienene Debütroman kann in der alten Geschichte vom Verlierer und freiwilligen Untergeher noch ein paar neue dunkle Flecken finden. Am Donnerstag Abend wird Spilker, der für gewöhnlich der textversierten und funky eiernden Hamburger Band Die Sterne vorsteht, im Rahmenprogramm der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt aus seinem Buch mit dem je nach Einfallswinkel des Lichts mal hübschen, mal konstruiert sperrigen Titel "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" lesen.
Wenn wir uns nur lange genug geduldig einreden und auch glauben anderen vormachen zu können, dass uns ein Schmerz oder eine Kränkung egal ist, so meinen wir, würde die ganze Pein ohnehin wirkungslos, sie würde verschwinden, nie existiert haben. Noch bevor "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" beginnt, ist Thomas Troppelmann, der Erzähler in Spilkers Roman, schon von seiner Freundin verlassen worden. Mittlerweile hat sie einen Neuen, so erfährt Troppelmann von einem – vielleicht seinem einzigem – Freund. Das interessiert Troppelmann nicht, sagt er, gerade so als müsse er es sagen.
Frank Spilker
Der Kummer mit der Liebe ist aber nur ein schales Echo in diesem schlanken, bemerkenswerten Büchlein, das die Ambitionslosigkeit zur Kunst erhebt: Ein paar knappe Erinnerungen, ein Blick auf die Leerstelle, wo früher einmal ein Foto stand – das wahre Elend aber entsteht hier aus den Zerreibungen mit der schieren Existenz. Troppelmann arbeitet in einem Grafikbüro mit dem schicken Namen "Tropial Design", trägt auch finanzielle und andere Verantwortungen. Mit dem Geld stimmt es schon lange nicht mehr, einen Sinn seines Tuns und Vegetierens sieht Troppelmann ohnehin nicht.
"Alle haben so eine Neigung, einfach nicht aufzumachen, wenn das Geld vor der Tür steht. Vielleicht ist es ihnen zu langweilig, einen leichten Job zu machen. Lieber denken sie sich was Neues aus. Was Tolles zum Spielen, das glitzert und einem die Freudentränen in die Augen treibt. Egal, ob der Kunde das bezahlen kann oder nicht. Ich habe das Gefühl, dass die meisten hier nur gelandet sind, weil sie woanders gar nicht funktionieren würden. Außerdem habe ich das dumme Gefühl, dass das für mich besonders gilt."
Selbstherrlich kaputt
Frank Spilker liest am Donnerstag im Lendhafen Klagenfurt aus "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" und im Oktober in Wien im Rabenhof Theater.
Es geht alles also den Bach hinunter, der sexy Job und jeglicher Halt. Troppelmann flieht aus der Stadt Hamburg und hinterlässt, ohne vorher aufgekehrt zu haben, einen Scherbenhaufen und damit auch einige Feinde. Egal, aber. Er steigt in den Zug, keine Ahnung wohin, mal sehen, und vorher noch den Gestank der Pizzabuden in der Bahnhofshalle widerlich finden. Wir könnten uns hier also besonders leicht in der hundertsten Selbstgeißelungs-Fantasie der Generation X/Y/MacJob/Prekariat wiederfinden, auch ist von "Plattenläden" und "DJs" die Rede, in der Kneipe wird des Nachts schon so das eine oder andere Bier weggestellt, man philosophiert, hat Ängste.
"Doch abgesehen davon, dass mir alles zu unwichtig geworden ist, ist mir auch alles zu viel. Zu viel Kleinkram, der nichts bringt, und zu viel Andrea im Kopf, als dass ich mich auf Kleinkram konzentrieren könnte. In einer Umgebung, in der alle kämpfen müssen, ist es immer das Schlimmste. Gar nicht kämpfen zu wollen."
Frank Spilker versandet aber nicht in mit popliterarischer Politur bearbeitetem Seelenmüll. Er verwendet keinen "coolen", szenehaften Checker-Jargon, im Gegensatz zu seiner Band Die Sterne wird hier nicht – oder kaum erkennbar – smart mit Popzitaten und Verweisen hantiert; "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" ist ein karges Buch über dürre Zeiten im Hirn, das Troppelmann existenzialistisch angehaucht, gleichzeitig ohne Ziele und erkennbare Motive durch eine graue Welt staksen lässt.
Seltsam und kalt
Zwar freilich ohne die literarische Brisanz der etwaigen geistigen Vorgänger zu erreichen, mag man hier dennoch da und dort einen Bartleby ("I Prefer Not To"), einen etwas sympathischeren Meursault aus Camus‘ "Der Fremde" oder Hamsuns Johan Nagel aus "Mysterien" durchschimmern sehen. Immer wieder dreht der Roman leicht ins Absurde, ins Traumhafte, wie um zu verdeutlichen, dass für so einen wie den Troppelmann Realität ohnehin nichts mehr heißt. Manchmal ist das auch lustig, meistens angenehm trüb. Anderswo, selten, aber es muss wohl sein, wird der innere Kampf beschrieben – irgendwie will man dann ja doch, irgendwo, bei irgendwem dazugehören.
Hoffmann und Campe
"Ich möchte Teil einer Modelleisenbahn werden, in der die Züge immer im Kreis fahren. Wo morgens die Sonne auf- und abends die Straßenbeleuchtung angeht und es immer gemütlich riecht. Normale Familie, normale Kindheit, normale Karriere. Eine Normalität ohne den bedrohlichen Unterton der Ausgrenzung."
Nach nicht einmal 160 Seiten ist "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" auch schon wieder vorbei und kein Mensch hat dabei etwas gelernt. Keine Erkenntnis, no hugging. Großartig, trist und ein bisschen erschreckend. Ein Buch über nichts. Außer vielleicht darüber, dass uns das System schon ordentlich verbogen und kaputtgeschraubt hat. Ein Buch, das die hundertfach gehörten Plattitüden übers Dagegen-Sein (es ist wichtig) und das Geborgen-Sein-Wollen (es ist notwendig) noch einmal ausstellt und im kalten Neonlicht hart ausleuchtet. Eine Sonne aus Eisen, eine Langeweile, ein Leben.