Erstellt am: 1. 7. 2013 - 10:44 Uhr
What is Punk?
Sieben Tage im Sream: Punk zwischen Museum, Laufsteg und DIY-Venue TV-Feature.
Im Museum
Christian Lehner
Ehrlich, ich weiß nicht, was sie sich erwartet haben, die Kritiker. Und kritisiert wurde sie zuhauf, die aktuelle Schau Punk: Chaos To Couture im Fashion Institute des Metropolitian Museum gleich beim Central Park. Zu glatt, zu sauber, zu unpunk, so stand es in der Zeitung. Dabei ist bei einer Ausstellung manchmal tatsächlich drin, was drauf steht. In der vom Starkurator Andrew Bolton zusammengestellten Schau geht es um den Einfluss von Punk auf die Edelzwirnfabrikation und weniger um Kulturgeschichte oder musikalische Explorationen eines durch alle denkbaren Abnutzungsverfahren gepressten Genrebegriffs.
Metropolitan Museum
Wer nun also erwartet, am Eingang der Ausstellung von einer der mit Pumuckl-Perücken drapierten Schaufensterpuppen Sid Vicious-mäßig angewassert zu werden, muss sich stattdessen mit Entwürfen von Vivienne Westwood (Originalalarm) und John Galliano (Anti-PC-Alarm) begnügen. In den Hallen dahinter folgen weitere Entwürfe von Versace (das Liz Hurley-Kleid a.k.a. „The Dress“), Calvin Klein, Dior und noch viele andere. Die sich beruflich für das Reinheitsgebot von Punk zuständig fühlenden Edelfedern waren nicht sehr angetan und stießen sich erst recht am Promiauflauf der von Vogue-Chefin Anna Wintour höchstperönlich überwachten Met-Gala, die traditionell die Frühjahrschau des Fashion Institutes eröffnet.
Dem Thema der Ausstellung entsprechend tanzten Sarah Jessica Parker und Co. als modische Missverständnisse über den Red Carpet und man fragte sich anschließend massenmedial: „How punk is that?“ Vermutlich gar nicht so wenig. Denn wenn es um Provokation geht, vermag anscheinend niemand so sehr die Gemüter in Rage zu versetzen wie ein Ex-Disney-Star (Miley Cyrus) in einem semitransparenten Kettenhemd aus Maschen.
Als einzigen Kontrapunkt haben die Ausstellungsmacher ein Klo in das Meer der bunt befetzten Mannequins gestellt. Es handelt sich dabei um den Nachbau des wohl berühmtesten und ganz und gar nicht stillen Örtchens der Rockgeschichte: das Häusl des legendären CBGB-Clubs. Eines ist sicher, das Ding hat wohl schon einige Ärsche gesehen. Natürlich symbolisch gesprochen. Immerhin befinden wir uns im Museum.
An der Bowery
CBGB-Exploit galore. Laut New York Times wird das CBGB als Club an einer neuen Location wiedereröffnet. Im Oktober findet die zweite Auflage des CBGB-Festivals statt und im Oktober kommt ein Spielfilm über den Club und seine frühe Szene in die Kinos.
„Wir dachten uns nicht viel. Am wenigsten dachten wir aber an die Zukunft“, sagt Chris Stein einige Tage später. Der Blondie-Gitarrist hat uns zu einer Tour durch das East Village eingeladen. Genauer: wir haben Stein gebeten, für ein Fernseh-Feature über das Punk-Erbe in NYC einige Geschichten von früher zu erzählen. Wir stehen vor dem ehemaligen CBGB-Club an der berühmt-berüchtigten Bowery. Heute ist die einstige Geburtsstätte des Punk ein High-End-Store des Fashion-Designers Jon Varvatos. Angeboten wird Rock’n’Roll-Mode zu unverschämten Preisen, ein Sinnbild für den Wandel des East Village, das von Banken, Unis und Hotels übernommen wurde.
Christian Lehner
Der Laden hat noch zu und wir dürfen nicht rein. Wollen wir aber eh nicht wirklich. Stein ruft Erinnerungen ab, zeigt uns, wo Mitte der siebziger Jahre am Boardwalk die Bands herumlungerten bis CBGB-Besitzer Hilly Kristal mit seinen zwei riesen Hunden auftauchte, die nach dem Aufsperren immer brav den Club zupullerten. Chris erzählt, wie die meisten Bands ihr Equipment zu Fuß anschleppten. Fast die gesamte Szene hauste irgendwo im Umkreis von gut fünf Blocks. Punk in NYC war vor allem ein Community-Ding. "Weit weniger politisch als später im UK", wie Stein sagt.
Die Ramones legten zwar den Grundstein für Punk als Sound, „aber in Wahrheit spielten hier alle, die anderswo Auftrittsverbot hatten oder aufgrund musikalischer Mängel in keiner anständigen Band unterkamen“. Im CBGBs, das Kristal usprünglich als Country und Blues-Club konzipierte, wucherten die absonderlichsten Sounds und Performances. Blondie spielten zunächst Ska und Fifties-Schlager, eine Band namens Talking Heads machte auf Psycho-Chicken, Iggy Pop robbte mit nacktem Körper über zerbrochene Biergläser und Patti Smith gab den rockenden Rimbaud. Es war ein Haufen bohemisierender Misfits, der in einer Ruinenstadt raue, direkte Kunst machte. Wer das erste Mal "Punk" dazu sagte, bleibt wohl ein ewiges Geheimnis. Zu den Anwärtern zählen Lester Bangs, die schreibende Tour de Force schlechthin und Legs McNeil, einer der Herausgeber des ersten Punk-Fanzines "Punk Magazine".
Wie zum Beweis der Hood-Theroie flanieren wir einen Block weiter zum Joey-Ramone-Place, der sich zwischen 2nd Street und Bowery befindet. Der Platz wurde in memoriam des 2001 an Krebs verstorbenen Ramones-Sängers eingeweiht. Ein Punk-Tour-Guide deutet auf das Straßenschild, das die New Yorker Polizei in fünf Meter Höhe anbringen ließ, weil es regelmäßig von Souvenierjägern gestohlen wurde. Der Punkfachmann erkennt Chris Stein nicht und so schlendern wir unbehelligt von der Touristengruppe einige Meter weiter zu unserem eigentlichen Ziel: „Hier wohnt Arturo (Vega)“, sagt Stein. Arturo war quasi der „fünfte Ramone“ und hat das Logo der Band designt. „Wir haben oft bei ihm übernachtet und die Wohnung als Proberaum benutzt“, erzählt Chris Stein. „Arturo ist einer der letzten, die noch immer im East Village leben“. Am Türstock klebt ein vergilbtes Bild von Dee Dee Ramone.
Empfohlen sei an dieser Stelle wieder einmal die Mutter aller Oral-History-Rockbücher. "Please Kill Me. The Uncensored Oral History Of Punk".
Chris klopft, aber niemand öffnet. Wir warten noch eine Weile und gehen dann zurück zum ehemaligen CBGBs, das Hilly Kristal 2006 aufgrund einer saftigen Mieterhöhung dicht machte. Eine Woche später erfahre ich, dass Arturo Vega überraschend gestorben ist.
Die DIY-Venue
„Punk ist jetzt DIY und DIY ist an keine bestimmte Ästhetik gebunden“, sagt Alex Levine von den So So Glos. Er und sein Bruder Ryan fletzen auf einem sehr mitgenommenen Sofa. „Es geht also nicht darum, eine Nietenlederjacke zu tragen und die Gitarre zu verprügeln, sondern darum, Freiräume wie diesen hier zu schaffen.“ Alex meint die selbstverwaltete Venue Live @ Shea Stadium, die seine Band So So Glos mit Gleichgesinnten zusammengezimmert hat – inklusive Aufnahmestudio und Radiostation. Kommen und mitwerken kann so ziemlich jeder, der friedlicher Absicht ist. Der Eintritt ist niedrig und es gibt keine Altersbeschränkungen. Wie so viele DIY-Venues in New York operiert auch das Shea Stadium im Graubereich der Legalität.
Die Wirkungsmacht von Punk, oder jeder anderen Popmusik, die als rebellisch empfunden wird, oder die bewusst Autoritäten herausfordert, ist direkt von den Umfeldbedingungen abhängig, wie das Beispiel Pussy Riot eindrucksvoll gezeigt hat. In Brooklyn geht es aufgrund eines immer heißer werdenden, hochkapitalisierten Immobilienbooms zunehmend um pyhsische Freiräume und ihre Benutzung jenseits kommerzieller Interessen. Das DIY-Netzwerk um Figuren wie Todd P und Clubs wie Death By Audio, Silent Barn oder Live @ Shea Stadium funktioniert als Schattenreich, Alternative und natürlich auch als Kompendium zur mittlerweile durchkommerzialisierten Hipster-Szene und Veranstalterkonglomeraten wie „The Bowery Presents“. Insofern wird Punk in NYC immer noch im Geiste des mittlerweile mythischen Ortes CBGB betrieben, das ebenfalls utopische Räume mit selbstdefinierten Spielregeln öffnete.
Die So So Glos sind allesamt im Arbeiterbezirk Bay Ridge im Südwesten Brooklyns aufgewachsen. Gentrification ist für sie ein anderes Thema als für die Zugezogenen. Ryan: „Das Problem ist nicht, dass die Hipster kommen, das Problem ist, dass sie nicht im Deli um die Ecke einkaufen, nicht wirklich hier ausgehen, sich nicht am Zusammenleben beteiligen, sondern bloß hier wohnen“. Das Konzept der Neighborhood zieht sich durch das Schaffen der So So Glos und ihre Musik. Ihr Sound ist eine beherzte Schnittmenge Dutzender Punkspielarten – von Ska bis Street Punk, von Fun Punk bis Grunge und etwas 90s-Breitwand ist auch dabei. Ihr im Frühjahr erschienenes Album „Blowout“ ist so ziemlich der beste Ohrenausputzer der Saison. Das Album brachte den So So Glos einen Gig vor einem Millionenpublikum bei David Letterman. "Blowout" ist als physischer Tonträger vergriffen, aber als Download erhältlich. „Wenn Leute vorbeikommen und nach einem Exemplar fragen, dann brennen wir ihnen eine CD“, so Alex.
Die So So Glos wollen niemanden vorschreiben, was unter dem Begriff Punk zu verstehen ist. Alex ist sich nur in einer Sache sicher: „Es wird immer ein Kid inspirieren, das frustiert ist und darin Erlösung findet. Und darum geht’s doch schlussendlich. Hast du keinen Bock, dann schaff dir einen.“