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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

27. 6. 2013 - 18:13

Posterboy der Entfremdung

Ein kleines Update zu Ryan Gosling.

"Ich habe immer gesagt, dass ich Filme über Frauen machen werde, aber am Ende waren es dann doch nur Filme über brutale Männer." (Nicolas Winding Refn)

Jetzt müssen wir hier, nach zurückliegenden Diskursen über ausgemusterte Actionheroen, martialische Maskulinität und lebende Testosteron-Leichen schon wieder über Bubenkino reden. Beziehungsweise über einen Kinobuben, der es nicht nur in kurzer Zeit geschafft hat, für unterschiedlichste Fraktionen zum Vorzeige-Schauspieler seiner Generation zu werden. Sondern der in seinen Rollen auch perfekt ein zerissenes Männerbild repräsentiert, das zur Gegenwart gehört wie Finanzkrise und Klimawandel.

Ryan Gosling, mittlerweile 33, ist in einer neuen Phase seines Schaffens angekommen, die durchaus unsere Aufmerksamkeit verdient. Bereits in "Blue Valentine" demontierte er das eigene Klischee vom hübschen Indiejungen mit der Gitarre, in dem er sich in dem quälenden Beziehungsdrama in einen schlaffen Alltagsverweigerer verwandelte, dem die Midlife Crisis nicht nur den Haaransatz, sondern auch jeglichen Esprit raubt.

Im bisherigen Konsensfilm der Dekade, dem Neo(n)-Noir-Thriller "Drive", verstrahlte der Goslinger dann zwar an der Oberfläche soviel Coolness, dass junge Frauen sich auf Facebook Fotoschlachten mit seiner verträumten Mimik lieferten. Und sogar gestandene Herren wie der Schreiber dieser Zeilen plötzlich nach goldenen Skorpionjacken gierten.

Aber dieser wortkarge Driver, daran gab es nichts zu rütteln, reihte sich mit seinen abrupten Gewaltausbrüchen in die Liga der legendären Filmpsychopathen ein, Seite an Seite mit dem kaputten Figurenrepertoire des jungen Robert de Niro.

Drive

constantin film

Drive

Outside of society

Nachdem ich vor einer Weile "The Place Beyond the Pines" gesehen habe - einen Streifen, der für viele das abgedroschene Gütesiegel "Kultfilm" unerwartet wiederzubeleben scheint - und unlängst auch "Only God Forgives" erleben durfte, der nach diesem Prädikat nahezu giert, wage ich zu behaupten: Ryan Gosling will auf noch mehr hinaus.

Nach Abstechern in verzichtbaren RomComs und öden Hollywood-Vehikeln schreien die aktuellen Indie-Rollenwahlen des gebürtigen Kanadiers schon fast nach einen Statement.

"The Place Beyond the Pines" läuft derzeit noch im Kino.

Bei der ersten, oberflächlichen Betrachtung wirkt Goslings wortkarger Charakter in "The Place Beyond the Pines" wie eine Kopie des namenlosen Drivers, der zur Popikone mutierte. Auch der Motorradstuntfahrer Luke hat Dinge erlebt, so mutmaßen wir, die ihn zu einem Punkt getrieben haben, wo er der menschlichen Gesellschaft lieber den muskulösen Rücken zuwendet. Die unzähligen Häfentattoos am ganzen Körper sprechen eine überdeutliche Sprache.

The Place Beyond the Pines

constantin film

The Place Beyond the Pines

Dancing in the Dark

Während der Driver die Ruhe in der Autowerkstätte jeglichem sozialem Umgang vorzieht und er bloß am Steuer Herr der eigenen Lage ist, fühlt sich Luke ebenfalls nur im Fahrtwind eins mit sich selbst. Das Motorrad ist Arbeitswerkzeug und eine letzte Verheißung von Ausbruch und Freiheit zugleich.

Beide Charaktere in diesen höchst unterschiedlichen Filmen sind mit den lethargischen Motoröl-Fetischisten in Monte Hellmans Roadmovie-Klassiker "Two Lane Blacktop" verwandt. Aber auch mit dem frühen Clint Eastwood der Italowestern, der hinter seinen zugekniffenen Augen und dem lakonischen Auftreten ein klaffendes emotionales Vakuum zu verbergen scheint.

Solche Antihelden-Stereotypen ziehen sich natürlich durch die gesamte Filmgeschichte und rutschen manchmal in die Abgedroschenheit billiger Werbeplakatmotive ab. Ryan Gosling gelingt es aber, diese durchdeklinierten Klischees mit neuem Leben zu erfüllen. Da reichen dann meistens minimale Gesten dazu, sehnsüchtige Blicke, spartanische Sätze.

Wo Eastwoods Fremder ohne Namen nie eine menschliche Interaktion außerhalb von Schusswechseln sucht und das archetypische Personal der existentialistischen Roadmovies der Sixties und Seventies von der Leere verschluckt wird, bemühen sich der Driver und Luke um einen Richtungswechsel. Es sind in beiden Filmen Frauen und vor allem Kinder, die Erlösung und Buße zu ermöglichen scheinen.

The Place Beyond the Pines

constantin film

The Place Beyond the Pines

Ride the lightening

Natürlich, das deuten die Scores in diesen Streifen mit ihrer geballten Melancholie an, nimmt das Drama weiterhin seinen Lauf, sucht auch Luke in "The Place Beyond the Pines" den Ausweg über die altbewährten Mittel der Gewalt. "If you're gonna ride like lightning, you're gonna crash like thunder" warnt ihn sein einziger Freund und Gangsterkumpan, das alles muss und kann nur böse ausgehen, noch dazu in einem Film, der von unausweichlichen Schicksalsfügungen handelt.

Regisseur Derek Cianfrance stürzt sich in zwei weiteren Geschichten des episodisch anlegten Streifens noch mehr auf dieses Thema der Determiniertheit. Dabei opfert er leider sämtliche flirrenden Stimmungen der Gosling-Story - die magische Atmosphäre auf dem Rummelplatz, die Getriebenheit der Beziehung zur grandiosen Eva Mendes, die wilde Raserei der Motorrad-Einstellungen - dem pingelig konstruierten Erzählgerüst, das verkrampft um Zufälle kreist.

Der beschädigte, verletzte, gezeichnete Luke entpuppt sich jedenfalls am Ende dann nur als ferner Verwandter des Drivers. Alleine wie Ryan Gosling in den atemberaubenden Banküberfallsequenzen seine Stimme brechen lässt, in einen brüchigen, quiekenden Tonfall wechselt, das symbolisiert alles mögliche, nur keine gelassene Outlaw-Coolness.

The Place Beyond the Pines

constantin film

The Place Beyond the Pines

Gott vergibt, Winding Refn nie

Womit wir bei einer Figur sind, mit der der Schauspieler seine Faszination für derangierte, traumatisierte Antihelden auf die Spitze treibt. Verglichen mit Julian, dem teilnahmslosen Drifter, Boxclubbetreiber und Drogendealer in "Only God Forgives", sind die beiden Stuntfahrer liebenswürdige, gesprächige Schwiegermama-Darlings.

In seiner erneuten Zusammenarbeit mit dem Ausnahmeregisseur Nicolas Winding Refn raubt Ryan Gosling dem Außenseitermythos jegliche Attraktivität, treibt er das Introvertierte in solche Zonen der totalen Apathie, dass der Backlash in den Kreisen der VerehrerInnen wohl immense Ausmaße haben wird. Mit diesem Julian möchte niemand befreundet sein, nicht mal in asozialen Netzwerken.

"Only God Forgives" wird am 19. Juli in Österreich anlaufen.

Dabei spielt Gosling in "Only God Forgives" nicht einmal die wirkliche Hauptrolle. Ein (schon wieder) namenloser Polizeichef (Vithaya Pansringarm), der im schwülen Nachtleben von Bangkok als rächender Gott unter Kriminellen agiert, steht eigentlich im Zentrum des Films. Und da ist auch Julians diabolische Mutter (Kristin Scott Thomas), eine Art griechische Furie im modernen Thailand, die großen Raum in der Geschichte einnimmt.

Fiese dramaturgische Fäden ziehend, wie sonst nur sein Landsmann Lars von Trier, zerreibt Nicolas Winding Refn den hübschen Julian zwischen diesen mächtigen Figuren zu blutigem Matsch.

Only God Forgives

constantin film

Only God Forgives

Personifikation der Leere

Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute vorzeitig aus "Only God Forgives" flüchten werden. Der Regisseur bricht so radikal mit der aufgesetzten Hektik des modernen Actionkinos, dass er die Bilder beinahe gefrieren lässt. Wie in meditativer Trance bewegt sich die Kamera durch grell ausleuchtete Räume, angetrieben vom kühl pulsierenden Score von Cliff Martinez, schockartige Gewalt unterbricht die Momente der Erstarrung und des Stillstands.

In diesen Tableaus des Glamours und des Grauens fläzt sich Ryan Gosling schlafwandlerisch auf der Bordellcouch herum und lässt alles kulminieren, was in seinen besten Filmen aufflackerte: Die Maskulinität, die Härte, die Lässigkeit und der Waschbrettbauch prallen auf Sprachlosigkeit, Verlorenheit, Gefühlstotheit, Impotenz. Man könnte etliche Essays verfassen über eine Gegenwart, in der ausgerechnet ein so schöner und begehrter jugendlicher Mann zur Personifikation einer durch und durch asexuellen Leere wird.

Der Goslinger steht nach dem undankbarsten und mutigsten Part seiner Karriere erstmal selbst hinter der Kamera. Im Fantasydrama "How To Catch A Monster" genießt er als Regisseur die Zusammenarbeit mit Christina Hendricks, Saoirse Ronan und erneut Eva Mendes.

Auch auf dem Programm steht ein "Untitled Terrence Malick Project" über verwirrende und obsessive Dreiecksbeziehungen. Ich wage zu vermuten, Ryan Goslings Figur wird die große Liebe darin nicht finden. Auch abseits knochenharter Brutalität dürfte uns der Posterboy der Entfremdung noch eine längere Zeit begleiten.

Only God Forgives

constantin film

Only God Forgives