Erstellt am: 25. 6. 2013 - 15:38 Uhr
Fußball-Journal '13. Eintrag 26.
Das ist das Journal '13, meine heuer (wegen Jungvater-Pflichten) im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 nicht sehr regelmäßige oder gar tägliche Web-Äußerung in ungeraden Jahren.
Heute wieder mit einem Eintrag ins Fußball-Journal 13 und zwar neuen Eindrücken und Analysen vom neunten Confederations-Cup in Brasilien.
Hier Teil 1 der sich hauptsächlich mit dem brasilianischen Team beschäftigt.
Die wichtigste Erkenntnis des Confed-Cups, dieses Vorbereitungs- und Testturniers, ist die, dass man sich auch (oder besser: gerade) im fußballverrückten Brasilien nicht ganz so leicht auf den Kopf scheißen lässt wie es in Diktaturen (China, Azerbeidjan...), unter semiautoritären Regimes (Russland, Ukraine...), korruptionsanfälligen Demokratien (Südafrika...) oder auch in tendenziell obrigkeitshörig denkenden Gesellschaften (Deutschland, Österreich...); wenn es um Großereignisse (Fußballturniere, olympische Spiele, Songconteste etc.), um entsprechende (keineswegs temporäre) Preisumgestaltungen, betrugsanfällige Bauaufträge oder sonstige windige Geschäftemacherei bis hin zur politisch motivierten Umsiedlung geht. Die brasilianischen Proteste, die sich zeitlich auf interessante Art mit den türkischen Anti-Erdogan-Riots und den griechischen ERT-Protesten überlagert haben, waren und sind die bislang einzigen ihrer Art, die zumindest einzelne Ziele auch erreichen konnten - auch weil sie nicht (kindmitbadeausschüttend) gleich die Absage von World Cup '14 und Olympia '16 fordern, sondern einen vergleichbaren Einsatz in Sachen Gesundheit, Bildung oder öffentlichem Verkehr verlangen; also einen konstruktiven Ansatz mit einer harten Streetfighter-Grundhaltung kombinieren.
Sportlich gesehen gibt es auch jetzt schon einen Sieger: Pep Guardiola. Der hat sich in vollem Umfang durchgesetzt. Seine Spielweise wurde in Brasilien konföderationenübergreifend umgesetzt.
Joga Bonito - gegen Brasilien brasilianisch spielen
Denn nach dem Champions-League-Finale mit dem Offenem-Visier-Duell der beiden deutschen Schönspieler-Truppen (hier erklärt Cesar Luis Menotti übrigens bildstark wie immer warum der BVB verlieren musste) sind sämtliche Spiele dieser Mini-WM von ebenjenem Geist beseelt: offensives Spiel, Angriffs-Fußball.
Schon in der 1. Runde war das sichtbar, auch wenn sich da einige der Teams, vor allem die, die gegen die Favoriten antraten, sich da meist eine Hälfte lang noch nicht so recht getraut haben. Damit war es dann aber vorbei. Und seitdem geht es rund: Italien findet sich in zwei der torreichsten und aufregendsten Matches der letzten Monate wieder; Japan legt sich mit allen an, Mexico widersetzt sich Brasilien auf Augenhöhe, Uruguay packt seinen alten Dreiersturm aus, Nigeria verfügt tatsächlich über den jugendlichen Leichtsinn mit Spanien mitspielen zu wollen, mit Betonung auf dem "Spiel" und selbst der Underunderdog aus Tahiti sucht das gegnerische Tor.
Das Durchschnittsalter der nigerianischen Feldspieler ist 23, Coach Keshi hat dieses stark verjüngte und um alle mühsamen Altstars erleichterte Truppe erst seit knapp vor dem Afrika-Cup in diesem Jänner beisammen und trotzdem probieren die jungen Super-Eagles spanischer zu spielen als die Spanier. Indem sie deren von Johan Cruyff geprägtes System gleich noch holländischer auslegen. Natürlich scheitert man damit; gegen Spanien klar und gegen Uruguay knapp. Trotzdem baut sich hier etwas auf, wächst hier etwas zusammen, was die dümmlichen proto-rassistischen Pseudo-Expertensprüche alsbald Lügen strafen und Staunen machen kann. An dieser nigerianischen Mannschaft (und hoffentlich auch an einem noch entsprechend von Stargehabe zu befreienden Team aus Ghana) wird sich der afrikanische/subsahara Fußball aufrichten.
Gegen Spanien wie Spanier spielen
Uruguay hat sich nach dem zu verhaltenen Start gegen Spanien wieder seiner bei der letzten WM schon vorzüglich vorgtragenen Grundwerte besonnen: ein windschiefes 4-3-3, das mit jedem Angriff über rechts zu einem 3-4-3 bis hin zu einem 3-2-5 umgebaut werden kann. Die größere taktische und strategische Reife hat dann den Unterschied ausgemacht und den Aufstieg und das nigerianische Aus besiegelt. Im letzten Spiel gegen Tahiti setzte Trainer Altstar Tabarez dann seine B-Elf ein, in der mit Coates, Lodero, Aguirregaray, Gaston Ramirez und Abel Hernandez wenigstens ein paar U25jährige standen. Denn ein guter Teil der Einser-Garnitur ist bald reif für den Alterssitz.
Ein ähnlicher Umbau, ein unabsichtlicher, hat Italien seine mögliche Zukunft aufgezeigt: eine ohne Pirlo und De Rossi, bei denen man echt schon die Knochen ächzen hört. Auch ohne die beiden (der eine verletzt, der andere logischerspielweise gesperrt) geht was, noch dazu gegen den alten Erzfeind Brasilien. Spielen halt Aquilani oder Montolivo, sonst deutlich offensiv orientiertere Kicker, den defensiveren Part in der Zentrale. Und siehe da, in der 2. Halbzeit hatte man das Heimteam an der Kippe, beherrschte das heutige so wichtige Umschaltspiel fast in Perfektion und war nah dran nach dem unglaublichen Japan-Spiel auch das gegen Brasilien zu drehen. In der entscheidenden Phase riskierte Prandelli sogar ein 4-3-3 mit drei echten Spitzen; ganz unitalienisch. Und das alles ohne echte Stars, mit Spielern aus der Serie A, deren Karriereweg man erst einmal nachschlagen muss.
Gegen die Favoriten die Augenhöhe suchen
Mit ähnlichem Einsatz und einer ähnlichen Strategie hatte schon Mexico alles unternommen um Brasilien zu zwicken und zwacken. In den letzten 20 Minuten ließ Jose Manuel de la Torre sein Team zu fünft angreifen, in der 88. stellte er auf ein völlig irrwitziges 4-0-5-1 um, ehe sich Mexico den zweiten Gegentreffer einfing.
Ich finde das alles beachtlich, eigentlich sogar grandios: die zweite und dritte Reihe im Weltfußball, die guten Teams abseits der Titelfavoriten, stellen sich gegen die Übermächtigen (wie aktuell Spanien, wie in den heimatlichen Stadien Brasilien) nicht (oder nur kurz, eine halbe Stunde zu Turnierbeginn) abwartend hinten rein, sondern suchen ihr Heil darin mitzuspielen; suchen die Augenhöhe, anstatt sich von vornherein selber zu marginalisieren.
So bemerkenswert etwa die Champions-League-Siege von prinzipiell defensiv strukturierten Teams wie Inter oder Chelsea die letzten Jahre auch waren - diese Phase ist vorbei. Das hat nach der Euro eben auch die heurige Champions-League-Saison bestätigt; und das wurde jetzt im Confed-Cup mit Brief und Siegel abgezeichnet.
Es geht nicht mehr um schieren Ballbesitz (da sah etwa Spanien gar nicht mehr sooo hochprozentig aus) sondern um Kombinatorik und ideenreiches Vertikal-Spiel, egal ob über die Flügel oder das Zentrum. Und so sahen die anderen Teams teilweise brasilianischer aus als Brasilien. Pep Guardiola hat gewonnen. Seine Philosophie ist die Philosophie der ganzen Fußballwelt, von Fortoleza bis Papeete, von Tokyo bis Barcelona. Und eben auch München.