Erstellt am: 22. 6. 2013 - 19:05 Uhr
Saudade eterna!
Wer in Lissabon die alte Straßenbahn Electrico 28 besteigt, der zuckelt nicht nur mit japanischen Fernsehteams, deutschen und französischen Städteurlaubern durch die Altstadt und die angrenzenden Bezirke, sondern gelangt, wenn er lange genug sitzen bleibt, bis zur Endstation Prazeres - zum Cemitério dos Prazeres, dem Friedhof der Vergnügungen. Der älteste Friedhof Lissabons wurde 1833 nach einer Cholera -Epidemie für die vielen Toten gebaut - entstanden ist mit der Zeit die verkleinerte Abbildung Lissabons - eine Stadt für sich. Die rund 70 Straßen des Friedhofes sind, ähnlich wie in der Lissaboner Unterstadt Baixa, im Schachbrettmuster angeordnet und säuberlich in Viertel unterteilt und numeriert. Tropische Bäume aus den ehemaligen Kolonien säumen die Wege, kleine Teiche, Plätze und Kirchen verschönern das Stadbild. Und doch ist es recht unbelebt hier - nur hie und da sieht man eine alte Frau an einem Grab herumwerkeln, oder eine Katze um die Gruften streichen.
Christiane Rösinger
Unter den Baumalleen reihen sich die Familienmausoleen aneinander, reich verziert und aus edelstem Stein. Weiße Marmorgruften, manche mit Glasscheiben, bieten den Blick auf die Särge. Prazeres liegt im Westen der Lissabons einst ein aristokratisches und großbürgerliches Viertel und so spiegeln die Grabmale bis heute sowohl Geschmack als auch materielle Möglichkeiten der Bürger des 19. Jahrhunderts wider. Wer genug Geld besaß, baute nicht nur in der Stadt eine extravagante "vivenda" (Villa): Die Lebens- und Wohnkultur der Lissabonner Oberschicht begleitet die Toten bis in ihr letztes Haus. Neben den Palästen der Reichen finden sich auch Armenquartiere: Die Urnenwände für die weniger betuchten Toten.
Christiane Rösinger
Der doch sehr lebenslustige Name "Prazere" (Vergnügen) für einen Friedhof gab Anlass zu vielen Mutmassungen. So hieß es, der Name stamme aus einer Zeit, in der hier häufig Feste als besondere Art der Totenehrung stattfanden. Vermutlich aber geht der Name auf einen Ausflugspark zurück, der Jahrzehnte vor dem Friedhofsbau an dieser Stelle stand. Oder eine Heilige die "Nossa Senhora dos Prazeres" (Unsere Jungfrau der Freuden), lieh dem Ort, den Namen lange bevor es hier einen Friedhof gab.
"Jazigo o ossuário", Knochengruft steht über den Eingängen der steinernen Häuser. Eindrucksvoll ist die architektonische Vielfalt der Nekropolis: Burgen, Tempel, Villen, Pagoden, prächtige Grabmäler - allesamt Kunstwerke portugiesischer Steinmetzkunst, neogotisch, neo-manuelinisch oder im Stil der Neo-Renaissance. Manche der Totenhäuser sehen fast bewohnt aus, die Fenster sind mit Vorhängen verziert, die Türen aus Bronze oder Messing mit Sicherheitsschlössern versehen. Im Innern kann man einen Hausaltar mit Blumenvasen und gestickte Deckchen erspähen.
Christiane Rösinger
Manchmal stehen sogar Stühle für Besucher drinnen. Links und rechts des Gruftmittelgangs befinden sich die marmorne Liegeplätze, übereinander gestapelt wie Stockbetten im Kinderzimmer. Übertrieben hat man es mit der 1849 erbauten Familiengruft der Herzöge von Palmela. Zweihundert Mitglieder der Adelsfamilie Palmela ruhen hier im größten privaten Grab Europas im Schatten immergrüner Bäume in einer gigantischen Pyramide mit eigener Kapelle und einem Säulenportal aus Marmor - man ließ sich baulich vom Tempel Salomons und den ägyptischen Pyramiden inspirieren.
Steinerne Engel wachen über die Toten, wie man es von anderen Friedhöfen auch kennt, in Prazeres kann man aber auch unbekanntere Vanitas - Symbole erkennen: Eine Sanduhr mit Fledermausschwingen, ein ausgestreckter Arm, der recht gruselig aus einem Gesteinsblock hervorragt. Die Grabinschriften beschreiben aufs Überschwänglichste die Trauer um den Toten, den schmerzlichen, nicht überwindbaren Verlust und den ewigen portugiesischen Weltschmerz: Saudade eterna!
Christiane Rösinger