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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

25. 6. 2013 - 19:00

"I´d rather be a dick than a swallower"

Der HipHop Lesekreis über "New Slaves": Kanye West macht sich seine Gedanken über den Zustand der Welt – und die Ambivalenz seiner Position am Sonnendeck des Kapitalismus bringt ihn zum Toben.

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Kanye West ist ein vollkommen strategie- und kalkülfreier Mensch. Sagt er selber auch: "I wear my heart on my sleeve". Und wenn ihn etwas stört, wird dieser Umstand auch direkt und sofort kommuniziert, ohne zusätzliche Reflexionsebenen.

Im Moment scheint der Louis Vuitton Don auf Kriegsfuß mit den Exzessen des Spätkapitalismus zu stehen, an denen er selbstverständlich auch in erster Reihe partizipiert. Wir erinnern uns als Kanye und Jay-Z im Otis Video den Maybach zersägt haben: "not bad for some immigrants". Großkotzige Kapitalismus-Affirmation trifft auf den Versuch einer gleichzeitigen Negierung der Fetische des Systems.

Kanye West ist auch gerade unser Artist of the Week. Hier die Albumrezension zu Yeezus.

kanye west

Kanye West kaut hart daran, gleichzeitig Underdog und Boss Dog sein zu wollen. Die "New Slaves" von denen er spricht, sind nicht nur die Opfer des rassistischen US-Justizsystems, die in privatisierten Gefängnissen sitzen und schlecht bezahlte Call-Center- oder Produktionsjobs erfüllen müssen, um ihre eigenen Haftkosten begleichen zu können. Die "New Slaves" sind für ihn auch Typen wie er selbst. Menschen, die vor ihrem Reichtum, ihrem Ruhm und ihrer Bekanntheit in den Läden für Ladendiebe gehalten wurden und denen jetzt ständig die "black people"-Statussymbole unter die Nase gehalten werden.

Aber: Kanye West tritt in "New Slaves" Türen ein, die in anderen Kontexten schon längst offen sind.

Er ist kein politischer Rapper. Agitation ist nicht seine Stärke. Ich fand ihn auf seinem ersten Album am besten, als die Titel Geschichten waren, mit Skits Werbespots, unterschiedlichen Stimmen und man den College Drop out wie ein Hörspiel oder ein Mini-Theaterstück genießen konnte. Ich habe an Kanye immer gemocht, dass er mich glauben ließ, er sei ein Hawara, der mir in der Früh in der U-Bahn seine Mühen, Querelen und Abenteuer erzählt. Als er noch wie der Wes Anderson des Raps gearbeitet hat war diese scheinbar unreflektierte Direktheit eine Stärke, bei politischen Agitationsversuchen ist unreflektierte Direktheit aber ein Problem.

Auf seinem ersten Album "The College Drop out" gibt es auch einen Nummer, auf der Kanye mit Saul Williams zusammengearbeitet hat: "Never let me down". Umso erstaunlicher ist es für mich, dass es Kanye West nicht zu blöd ist, eine Nummer zu machen, die sehr nach einer Kopie von Saul Williams poetischen, politisch reflektierten, zornigen, stolzen und euphorischen Befreiungsschlag "List of Demands" klingt.

Das Gute daran: Im Gegensatz zu Saul Williams, dessen großartige Werke leider nur vergleichsweise wenige Ohren erreichen, predigt Kanye aus seiner Popstar-Perspektive auch zu den Massen von Leuten, die derlei Informationen und Zusammenhänge über das Medium Rap normalerweise nicht vermittelt bekommen.

Und dieses Rascheln, Rattern und Lachen löst "New Slaves" in den Ohren von Mahdi Rahimi, Ole Weinreich, Trishes und mir aus:

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