Erstellt am: 19. 6. 2013 - 14:45 Uhr
Der Sultan protestiert
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.
Am Sonntag und Montag träumt sie vom schönen Schauspieler Halit Ergenc, der Sultan Süleyman spielt. Am Dienstag diskutiert Nina die Geschichten von Süleyman und seiner geliebten Hürrem auf Facebook mit ihren Freundinnen aus Kroatien und aus Russland, die sich die Serie ebenfalls illegal angeschaut haben. Die Türken bewachen ihre Autorenrechte nicht so streng wie die Amerikaner. Sie betrachten die illegale Verbreitung ihrer Serien mehr als eine Ausweitung ihres kulturellen Einflusses.
Am Mittwoch ist Nina auf ihre Nachbarin Fatma neidisch. Die kann sich nämlich die neue Folge von "Muhteşem Yüzyıl", wie die Serie im Original eigentlich heißt, schon regulär im türkischen Fernsehen anschauen.
Zwischen Mittwoch und Samstag fragt sie Fatma aus, was in der Folge passiert ist. Die Nachbarin darf aber auch nicht alle dramaturgischen Wendungen erzählen, damit es bis Samstag spannend bleibt. Und so geht es jede Woche.

Show TV
Neulich hat sich aber die Sachlage verändert, erzählt mir Nina. Zuerst sei die in Deutschland geborene Schauspielerin Meryem Uzerli, die die Rolle von Hürrem spielt, aus der Serie verschwunden. Auf Facebook wurden einige Gründe für ihr Verschwinden diskutiert: 1. Sie sei zurück nach Deutschland, weil sie zu wenig Geld bekommen habe: nur 14.000 Euro pro Folge. Nina und ich finden das gar nicht so wenig, aber Meryem habe 40.000 verlangt. 2. Sie habe ein Burnout und wurde in eine deutsche Klinik aufgenommen. 3. Sie sei schwanger geworden. Nina wusste nicht, welche Version sie glauben soll, aber sie will unbedingt Hürrem zurück in die Serie.
Die zweite Ursache für Ninas Aufregung sei das Verhalten von Halit Ergenc. Diesen Winter wurden die Produzenten der Serie vom türkischen Premier Erdogan kritisiert, da sie den großen Süleyman wie einen Säufer und Frauenheld darstellen, statt als harten Herrscher mit Pferd und Schwert. Inwiefern die Macher der Serie ihrem Premier gehorcht haben, ist unklar, aber Nina erzählte mir, dass in der neuen Saison Süleyman den Harem immer seltener betritt. Und das sei doch am Interessantesten gewesen!
Vielleicht ist es, weil er die Zensur nicht mehr aushält, vielleicht, weil er es Erdogan einfach heimzahlen will.
Jedenfalls wurde der Darsteller von „Sultan Süleyman“, Halit Ergenc, unter den Protestierenden auf dem Taksim-Platz gesichtet. Nicht in seiner goldenen Tunika, sondern in einem T-Shirt. „Und was passiert jetzt?“, fragte mich Nina.
Ich weiß es nicht. Ich schaue mir die Serie „Das Prächtige Jahrhundert“ nicht an. Ich kann nur sagen, dass die Proteste in der Türkei als Inspiration für meine Freunde in Bulgarien dienen, die die neue Regierung stürzen wollen, weil sie offenbar Beziehungen zur Mafia hat.
Die älteren sagen, dass sie „diese Serie schon mal gesehen haben“ und dass Revolutionen zum Auffressen ihrer Kinder tendieren. Ich hingegen hoffe, dass es diesmal anders sein wird. Dass diese Revolution zu einer Normalität wie in Österreich führen wird. Eine Normalität, die ich den Leuten hier nicht erklären kann, da sie nie „das Andere“ erlebt haben. Und das ist noch schwieriger zu erklären, als eine türkische Serie.