Erstellt am: 18. 6. 2013 - 11:21 Uhr
Mein Schulfreund, der Serienmörder
So stellt man sich einen Nerd aus den 70ern vor – hängende Schultern, schlaksig, groß, mit einer ebensolchen markanten Metallbrille. Dazu blond-brünettes Haar, das selbst mit langem Seitenscheitel keine Frisur ergeben will. Das ist Jeff Dahmer. So schlurft er durch die Reverege Highschool in Ohio.
derf backderf
Und so schlurft er auch auf den ersten Seiten des Comics einsam auf einer Straße entlang.
Bis er eine überfahrene tote Katze findet. Er hebt sie auf und trägt sie nach Hause.
Dabei laufen ihm ein paar Nachbarbuben über den Weg, die ihn bis zu seinem Ziel – einem kleinen Schuppen begleiten. Vor den Buben stopft Dahmer den Tierkadaver in ein Einmachglas.
"Mich interessiert, was im Körper ist", erklärt er den Buben, die kotzend davon laufen und schreien "Gott, Dahmer!! Du bist so ein Freak!".
Als Kind sammelte Dahmer Insekten, mit etwa zwölf Jahren wendete er sich überfahrenen Tieren zu, liest man dazu in den Anmerkungen im hinteren Teil des Buches.
Derf Backderf
Durch sein merkwürdiges Verhalten ist Dahmer in der Schule ein Außenseiter. Einer, der gern mal in der Bücherei einen epileptischen Anfall vortäuscht – sehr zur Freude seiner Mitschüler. Noch lustiger finden die es allerdings, wenn Dahmer einen Spastiker nachahmt.
Davon sind sie so begeistert, dass sie den "Dahmer-Fanclub" gründen. Gründungsmitglied ist der Comiczeichner Derf Backderf, der die Graphic Novel "Mein Freund Dahmer" geschrieben hat. Obwohl – wirklich befreundet waren sie nicht. "Man schleifte ihn mit und ignorierte ihn."
Derf Backderf erzählt in diesem Comic von seinem Mitschüler, der etwas abgeschieden mit seinem jüngeren Bruder und seinen Eltern lebte und dessen Eltern mehr mit ihrer kaputten Ehe beschäftigt waren, als sich um Dahmer zu kümmern. Unter diesen Streitereien litt Dahmer enorm, wie er mehrmals in Interviews erzählte.
Er wurde immer einsamer und in der Schule regelmäßig gemobbt.
Dahmer begann zu trinken – niemandem konnte er in der ländlichen Gegend von seiner Homosexualität erzählen. Geschweige denn von seinen immer kranker werdenden Phantasien, die in einer totalen Kontrolle seiner Sexualpartner enden sollten.
Der Comiczeichner Backderf wundert sich im Laufe der Geschichte immer wieder, warum Dahmers merkwürdiges Verhalten keinem Erwachsenen auffiel. Allen voran den Eltern oder Lehrern. Dass er selbst und seine Freunde vom Dahmer-Fanclub sich auch intensiver mit Dahmer beschäftigen hätten können statt nur seine Abartigkeiten lustig zu finden, steht allerdings nicht zur Debatte.
Und doch ist das die Frage, die bei "Mein Freund Dahmer" nachwirkt – hätte man dem Serienmörder irgendwie helfen können? Wer und wie?
So zeichnet Backderf seine Erinnerungen an die Highschoolzeit wertfrei. Alles in Schwarzweiß - wobei er stilistisch stark an Robert Crump erinnert.
Zwei Wochen nach seinem Highschool-Abschluss verübt Dahmer seinen ersten Mord.
Zwischen 1978 und 1991 hat er mindestens 17 Männer grausam umgebracht - missbraucht und teilweise sogar gegessen. Mit dem ersten Mord endet die Erzählung.
Im Nachwort erhält Backderf 13 Jahre später einen Anruf von seiner Frau, einer Journalistin, die ihm von einer Riesenstory erzählt. Ein Massenmörder, der mit ihm in die Klasse gegangen sei. Backderf tippt schnell auf Dahmer.
derf Backderf
Zwanzig Jahre lang hat ihn die Erinnerung an die Highschoolzeit beschäftigt. Aber erst nach der Ermordung Dahmers im Gefängnis 1994 begann er mit einer achtseitigen Kurzgeschichte, die er 1997 fertig stellte.
2002 veröffentlichte er eine 24-seitige Geschichte im Eigenverlag und wurde damit für den Eisner Award nominiert.
Mit dem Ergebnis war er nicht zufrieden, er begann zu recherchieren, las sich durch die Akten von Polizei und FBI, führte Interviews und schaute sich alle Interviews an, die Dahmer gegeben hatte. 2011 zeichnete er die Geschichte neu.
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Am Ende des Buches verweist er auf all die Quellenangaben. Backderfs Mitgefühl seinem Mitschüler gegenüber endet ganz klar mit dem ersten Mord.
"Dahmer war ein kranker Bastard, dessen Verkommenheit nahezu jenseits allen Verständnisses liegt. Bemitleidet ihn, aber bemuttert ihn nicht."