Erstellt am: 17. 6. 2013 - 17:21 Uhr
Fußball-Journal '13. Eintrag 25.
Das ist das Journal '13, meine heuer (wegen Jungvater-Pflichten) im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 nicht sehr regelmäßige oder gar tägliche Web-Äußerung in ungeraden Jahren.
Heute wieder mit einem Eintrag ins Fußball-Journal 13 und zwar ein paar ersten Eindrücken und Analysen vom neunten Confederations-Cup in Brasilien.
Ja, es wurde und wird, wie bei jedem Groß-Ereignis, auch mitten in Europa, zwangsumgesiedelt, preiserhöht, gelogen, betrogen, geschäftegemacht und verschoben. Und weil im Fall von Brasilien nicht nur die Fußball-WM 2014, sondern auch noch die Olympischen Spiele (Rio 2016) drohen, ist der kleine Testlauf, der am Wochenende gestartete Confed-Cup, natürlich und zurecht Anlass das alles zu thematisieren - hier ein Bericht über Alltag und Umgang, hier etwas zu den Zangsumsiedlungen.
Hier im Fußball-Journal geht es ganz banal um Fußball. Und zwar um einen Check, was sich bei den großen Fußball-Nationen, die hier vertreten sind, in den letzten Jahren getan hat. Spanien und Italien haben wir im Vorjahr bei der Euro gesehen, bei Brasilien oder Uruguay, Japan und auch Mexico ist der letzte intensive Blick aber schon länger her.
Eine erste Umschau ist auch schon vor dem ersten Antreten von Afrika-Champ Nigeria möglich. Zum einen weil deren Spiel gegen Super-Underdog Tahiti eher wenige Aufschlüsse zulassen wird, zum anderen weil Nigeria erst vor ein paar Monaten anlässlich des Afrika-Cups massiv im Fokus stand. Und die dort eh schon junge Mannschaft ist weiter verjüngt worden: Mit 26 ist John Obi Mikel der älteste Feldspieler im Kader.
Nach je einem Spiel ist bei den Favoriten durchaus noch einige Luft nach oben festzustellen. Das hat bei Titelverteidiger Spanien, gestern mit einem 2:1 gegen Uruguay ebenso erfolgreich wie Italien mit einem 2:1 gegen Mexiko, aber andere Gründe als bei Veranstalter Brasilien, der Mannschaft, die zum Titelgewinn verdammt ist.
Brasilien auf den Spuren des todsicheren Titelgewinns
Brasilien hat sich mit einem vergleichsweise locker, ohne großen Aufwand erzielten 3:0 gegen Japan, kurz aus der Krisengeraun-Zone entfernt. Ich meine zu Unrecht. Luiz Felipe Scolari und sein TD Carlos Alberto Parreira spielen mit dem Feuer. Sie wollen den Titel mit einer reinen Sicherheits-Variante daheimbehalten; und haben ein Team, ein System geformt, das an die Langeweiler-Weltmeister von 1994 erinnert; richtig, das war Parreiras Team - eine Mannschaft, die eine starke Abwehr, wenig kreatives Mittelfeld und vorne Romario/Bebeto enthielt. Scolaris Weltmeisterteam von 2002 war da wesentlich kompletter - tolle Abwehr, leuchtendes Mittelfeld (Denilson, Rivaldo, Juninho...) und vorne Ronaldo/Ronaldinho. Von dieser Brillanz ist die Selecao anno 2013 noch ein deutlich Stück entfernt.
Anders als 94 und 02 spielt man allerdings nicht mit zwei Spitzen, sondern in einem 4-2-3-1, das Fachleute zurecht an einen anderen Weltmeister, den vielleicht besten aller brasilianischen Zeiten erinnert: das Team von 1970.
Hinten steht Team Brasil saustark da: Dani Alves - Thiago Silva - David Luiz/Dante - Marcelo; das ist ebenso Weltklasse wie Cafu-Lucio-Roque jr-Roberto Carlos oder Jorginho-Aldair-Marcio Santos-Branco.
Damals war Pele als Spielmacher, der zugleich hängende Spitze und falschen Neuner spielte, der Schlüssel. Nächstes Jahr soll Neymar in diese Rolle schlüpfen. Der Jungstar könnte das; aber die anderen?
Oscar und Hulk, Lucas oder Hernanes sind keine Rivelinos und Jairzinhos. Luiz Gustavo und Paulinho sind keine Gersons und Clodoaldos. Und für die Position des Stoßstürmers (1970 das Genie Tostao) gibt es aktuell überhaupt keine Kandidaten.
Neymar mag Pele sein, aber der Rest ist nicht 1970 genug
Und entsprechend sieht dann auch das Spiel aus: den Ball schnell nach vorne würgen, am besten über die Halbräume an den Seiten, dann scharf nach innen passen; oder sich auf einen Geniestreich von Neymar verlassen. Viel mehr war da nicht; und ist schon seit Monaten nicht, seit Scolari und Parreira dran sind eine Mixtur ihrer Erfolgsrezepte von 94 und 02 zusammenzuschütten.
Der Plan mit Alves und Marcelo die Flügel zu besetzen, während sich Hulk und Oscar halbzentral einordnen und so Neymar und die Sturmspitze (gestern Fred) freizuspielen: eh schön. Ist nur kaum passiert, weil die Mannschaft sich allzu stark auf reinen Sicherheitsfußball konzentrierte.
Die Pfiffe, die Samstag Abend in Brasilia zu hören waren, richteten sich nicht nur gegen die beim Upper-Class-Hauptstadt unbeliebte Präsidentin oder gar den Blatter-Sepp, die kritisierten die unattraktive Spielanlage, die doch recht weit vom jogo bonito entfernt ist.
Andererseits will niemand wieder einmal ein brasilianisches Wunderteam in Schönheit sterben sehen, wie es 1978, der wunderbaren Mannschaft um Socrates 1982 oder dem 86er-Team das im besten Fußballspiel aller Zeiten, dem 3:4 im Viertelfinal-Match gegen Frankreich ausschied, der Fall war.
Und abgesehen davon fehlt es - trotz der schieren Masse an sehr guten brasilianischen Kreativ-Spielern aktuell eben an den wirklich herausragenden, also sehr sehr guten Brasileros. Nach Kaka war da niemand mehr.
Japan überaltert, Uruguay ängstlich
Gegner Japan wirkt überaltet: vor allem Hasebe-Endo als defensives Zentrum sind irgendwie nicht mehr ganz von heute. Die Außenverteidiger blieben zu höflich, Superstar Kagawa ist am Flügel nicht optimal aufgehoben und vor dem falschen Neuner Honda fehlt (wieder einmal) ein echter Stürmer. Seit Japan von seinem Fächersystem abgekommen ist, fehlt es an Esprit.
Vielleicht haben sich Zaccheronis Herren aber auch ein wenig zu stark gefürchtet. So wie gestern Nacht dann auch Uruguay vor Spanien. Denn das, was Trainer Tabarez der Furia Roja entgegenstellte, spottete jeder Beschreibung von aktivem Ansatz: ein reaktives 4-4-2 mit einem ausschließlich auf Abkauf-Aufgaben abgestelltem Mittelfeld-Reihe. Spät in der 2. Hälfte, nach der zu lange herausgezögerten Hereinnahme von Diego Forlan stand dann endlich eine Variante des gefürchteten 4-3-3 auf dem Platz, mit dem Uruguay 2010 unter die letzten vier kam: ein entfesselt aggressiv-kreatives Mittelfeld ganz ohne Sechser (das übernahmen Lodeiro und Gonzales einfach mit) und ein bissiger Dreier-Sturm brachten die eigentlich total überlegenen Spanier total aus dem Konzept.
Allerdings zeigte das Spiel auch, wieso Uruguay aktuell mit derr WM-Quali struggelt - seit 2010 ist niemand nachgekommen, der Kader ist eng und von der Form Einzelner zu abhängig.
Spanien wieder mit Stürmer, Italien wieder kombisicher
Spanien probierte es wieder einmal mit einer echten Spitze - und weil Roberto Soldado einen Lauf hat, klappt das auch. Hinter ihm sortiert Cesc Fabregas vor, Pedro macht einen echten Flügel, Iniesta einen falschen (aber er hat eh Jordi Alba hinter sich) und dahinter bereitet Xavi vor. Wenn man bedenkt dass Xabi Alonso verletzt fehlt, dass Javi Martinez nur Einwechsler ist und Villa/Silva/Mata/Cazorla/Torres allesamt noch als Alternativen draußen sitzen, besteht kaum ein Zweifel daran, dass Spanien noch einige Zeit ganz vorne dabei sein wird.
Wenig Veränderungen gab es auch bei Italien: Es sind immer noch Pirlo und De Rossi, die den Takt vorgeben, es sind immer noch Marchisio und Montolivo in den Halb-Positionen und Balotelli vornedrin. Coach Cesare Prandelli hat sein Langzeit-Linksverteidiger-Problem auch mit De Sciglio nicht gelöst. Trotzdem reicht das, um eine gute Rolle zu spielen, schnelle nadelstichartige Angriffe zu fahren, die von einem langen Ball eingeleitet und dann per guter Kombinatorik weitergeführt werden.
Und schließlich: der Olympiasieger im Umbruch
Völlig neu organisiert zeigt sich die Mannschaft, die Brasilien (mit Marcelo, Thiago Silva, Oscar oder Neymar) zuletzt in einem Finale schlagen konnte: der Olympiasieger aus Mexico.
Mit Tormann/Kapitän Corona, Aquino, Mier und Dos Santos waren vier dieser Jungstars gestern zu sehen, Reyes, Herrera und Jimenez sind noch im Kader. Chicharito und Guardado sind auch noch recht jung - trotzdem fehlt der Mannschaft etwas. Hinten ordnen Olympia-Oldie Salcido, Kapitän Rodriguez und der defensiv zentrale Torrado das Spiel vielleicht schon zu lahm, im Zentrum tun sich inhaltliche Lücken auf und schließlich traute man sich gegen Italien auch nicht wirklich zu ernsthaft zurückzukommen - da breitete sich ein ähnliches Gefühl aus wie bei Japan (die bereits chancenlos-freudig aufs Feld liefen) und den zu spät sich besinnenden Urus.
Für diese Mittelmächte, also Mannschaften, die bei einer WM Fix-Kandidaten fürs Achtelfinale sind, dient so ein Confed-Turnier normalerweise zum Einspielen und Sicherheitkriegen. Diesmal ist scheinbar das Gegenteil,. eine Art freiwilliges Eingeschüchtertbleiben angesagt.
Das ist auch schlecht für die Großen: Brasilien etwa wird nur dann etwas lernen, wenn man gegen einen taktisch schlauen und läuferisch starken Gegner ordentlich ins Schwitzen kommt. Vielleicht kann das schon am Mittwoch Mexiko sein; schließlich geht es um die Olympia-Final-Revanche.