Erstellt am: 16. 6. 2013 - 15:57 Uhr
Schmerzen im Orchestergraben
Ein Lied ist ein Lied: Der amerikanische Musiker, Songwriter und Sänger Andrew Wyatt trägt seine Songs in die unterschiedlichsten Kontexte und hat – bislang – nur selten das Sounddesign das eigentliche Songwriting überstrahlen lassen. Im Trio Miike Snow produziert er durchaus erfolgreichen Synthie-Pop mit R’n’B- und Indie-Einschlag, mit seiner Band The A.M. hat er sich der Rockmusik zwischen Glam und Postpunk gewidmet, zwischendurch schreibt er Stücke für so unterschiedliche Kaliber wie Mark Ronson, Bruno Mars oder den ewigen Libertine Carl Barat.
Mit seiner jüngsten Unternehmung hat sich Wyatt erstmals so richtig von der Wucht der Möglichkeiten erschlagen lassen: Vor kurzem hat Andrew Wyatt sein erstes Solo-Album namens "Descender" veröffentlicht. Was also tun? Er hat sich ein 75-köpfiges Orchester ins Studio geholt, das hier den Großteil des musikalischen Materials beisteuert, aber auch John Herndon von den Postrock-Gottheiten Tortoise aus Chicago oder Leute von Spiritualized oder den Libertines waren mit an Bord. Hier wird also viel gewollt.
Andrew Wyatt
Das Ergebnis ist ein durchwachsenes: Es gibt hier feine Kunstlieder zu erleben, die federleicht über eine Wolke aus Streichern gleiten, zerbrechlich gebauten Kammer-Pop, der hier nun in das große Auditorium überführt wird, und leise Folk-Einsprengsel. Manchmal geht das alles gut. Oft aber merkt man Wyatt und seinen Stücken den unbedingten Wunsch zur Feingeistigkeit und das bemühte Suchen nach kulturellem Mehrwert an. Da muss das Orchester donnern und sagen: "Orchester!" – weil es eben da ist. Da scheinen die Form, der strukturelle Rahmen und das Konzept hinter "Descender" der Platte zu genügen. Bombast, Prunk, vierzig Flügelhörner, dünnhäutiges Leiden und Sich-in-Liebe-Winden: eine große Geste, eine leere Behauptung.
Am Ende des Albums steht jedoch ein mehr als versöhnliches und gleichzeitig rätselhaftes Stück, das die Fäden lose lässt und weiß, dass eben nicht immer alles bis zu einer schlüssigen Auflösung durcherklärt werden muss. So kann es gehen: In der Nummer namens "But There Is A Spring" gehen die überschwänglich agierende Magie der Philharmonie und die Idee des sauber gedrechselten Popsongs eine wahrlich bezaubernde Glücksehe ein.
Wovon Andrew Wyatt hier singt, ist unklar: Zu Beginn des Songs bemüht er das Mythische, das Sagen-hafte: Er besingt eine geliebte Frau namens "Adina", für die er an einen Gral glauben mag und auch bereit ist zu sterben. Danach kehrt unser Erzähler, so sagt der Song, zurück in seine Höhle. Ein Heldenlied, ein Minnesang, das hört sich zunächst – vielleicht im Einklang mit weiten Teilen der restlichen Platte – ein wenig gestelzt an; auch tönen hier die Fanfaren abermals mit höchstem Pomp und singen die Streicher ever so sweet.
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Hier funktioniert die Überhöhung aber, ist Prinzip: Immer wieder dreht sich dieses ach so schwermütig scheinende Stück ins überzuckert Musicalhafte, Richtung prächtig funkelndem Broadway-Showtune. So entsteht ein beunruhigendes Ungleichgewicht, und das wollen wir vielleicht doch nicht selten von der Kunst, zwischen dunkelgrauem Trauersong in großem Lack und humoristisch übertriebener Mystifikation. Man kann sich gut vorstellen, dass das Orchester für die Aufnahmen zu "But There Is A Spring" höchstwahrscheinlich flamingofarbene Kleider und ebensolche Anzüge getragen haben mag.
Am Ende zieht Andrew Wyatt die Schraube wieder an, zurück ins Schlichte: "And so we reach the end but you know always / I'll be here as a friend / Never meant to make you cry" – darum geht es, verkleidet im großen Kostüm die simpelsten Sachen zu sagen.