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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

15. 6. 2013 - 15:41

Martialität und Message

Anlässlich von „Olympus Has Fallen“ und „The Purge“: Träume von einem politisch angehauchten Action- und Thrillerkino.

Also gut, dann wage ich es hier einmal, ein Wort ins Spiel zu bringen, das zu den am meisten tabuisierten Vokabeln in Zusammenhang mit dem Entertainmentkino gehört: Die Rede ist von der Botschaft. Der Hass auf diesen Begriff, den ich natürlich bestens nachvollziehen kann, hat eine ganz spezielle Geschichte. Zu einer Zeit, als die meisten von euch da draußen vermutlich noch nicht geboren waren, gehörte er zum Standardrepertoire von Filmkritikern.

Auf der Suche nach der Botschaft trafen sich konservative Typen, die für christlich angehauchte Medien arbeiteten, mit deklariert linken Autoren. Beide sehr konträren Sorten von Schreibern suchten emsig nach der tiefen Bedeutung von Filmen, nach der berüchtigten Message, eventuell sogar nach erzieherisch wertvollen Ideen.

Katholische Filmguides und moralisierende Aufklärer empörten sich im Gefolge gleichermaßen über den „Schmutz und Schund“, der ihrer Ansicht nach „die Massen verblödete“. Italowestern und Klamauk-Komödien, Gangsterthriller und Science-Fiction-Filme galten durchwegs als dumpfe Kommerzware, Horrorschocker und Sexploitation-Movies gleich als Gift für die Jugend und Abstumpfung der Arbeiterklasse. Statt vernünftigen, sozialen, noblen Botschaften ortete man nur Brutalität, Triebhaftigkeit und Geldgier im knalligen Genreuniversum.

The Purge

UPI

"The Purge"

Das Ende der Botschaftendiktatur

Nicht nur ignorierte diese Art des Zugangs oft komplett die rein sinnlichen Qualitäten des Mediums, die bloße Sehnsucht, sich in Bildern und Tönen zu verlieren. In ihren jeweiligen ideologischen Scheuklappen gefangen, scheiterten die besagten Kritiker klarerweise völlig an der Ambivalenz des abgründigeren Exploitationkinos.

Im deutschsprachigen Raum regierten die cineastischen Oberlehrer und Werteprediger bis in die späten 80er Jahre mit der muffigen Strenge ihrer Rezensionen und Empfehlungen. Bis eine neue Generation - von Pop, Punk und Poststrukturalismus beflügelt - den Aufstand wagte. „Botschaften gehören mit der Post geschickt“, ätzten die damaligen jungen Wilden der Kritik, rebellierten sowohl gegen den bürgerlichen als auch den linksliberalen Kanon und rehabilitierten etwa viele Trashregisseure als avancierte Autorenfilmer. Endlich wurde die Filmwahrnehmung aus der Diktatur der Interpretationsbanalitäten befreit. Der Rausch des Lichts, die Schönheit der Klänge, das Herzklopfen, die Spannung, die Verwirrung und Verstörung im dunklen Saal - über all das reflektierte man plötzlich euphorisch.

Dekaden später, im Hier und Heute des anything goes, hat sich der Spieß nun aber gänzlich umgedreht. Das Kind wurde sozusagen mit dem Bad ausgeschüttet. Wer Hollywood-Blockbuster oder auch billige Genrewerke vage nach politischen Inhalten hinterfragt, wird meist ungläubig belächelt. Oder kommt sich ohnehin selber wie ein nostalgischer Trottel vor. Schließlich ist ja plakative Kinounterhaltung ohnehin nicht ernst zu nehmen, nicht ernst gemeint, alles nur ironisch, Verpackung, Pose oder irgendwo dazwischen.

300

Warner Bros

300

Der Sieg des Formalismus

Parallel zum falschen Umgang mit der Ironie, den ich an dieser Stelle schon einmal thematisierte, dominiert der Kult des Formalen, der aus der Gegenbewegung zur zeigefingerhaften Kritik herausgewachsen ist. Gefeiert oder auch verdammt werden fast ausschließlich Ästhetiken, Dramaturgie, handwerkliche Skills. Feuilletonautoren, Hobbyblogger und Filmfans von nebenan geilen sich an Zitaten und Referenzen auf, die entleert von ihren ursprünglichen Bedeutungen im Kino herumgeistern.

Ich mag bei der Darstellung dieser Situation übertreiben, überspitzen und vereinfachen. Aber ich glaube, es war die Diskussion rund um Zack Snyders digitales Blut- und Boden-Epos „300“, auch schon wieder ein paar Jahre her, wo mir dieser Sieg des postmodernen Formalismus am offensichtlichsten aufgefallen ist und deutlich nervte. So sehr mich die Abscheu vor gut gemeinten, pädagogischen Messages mein Leben lang angetrieben hat, wollte ich an diesem Punkt nicht mehr die Augen vor den hirntoten Botschaften dieses überstilisierten Schlachtengemäldes verschließen. „300“, dessen Fortsetzung in diesem Sommer erscheinen wird, zelebriert die Heiligsprechung von strenger sozialer Auslese und brutaler Abhärtung im Gewand des Spektakelkinos.

Wenn Formalisten stattdessen einzig vom Rausch des Visuellen schwärmen und die reaktionären Tendenzen beiseitewischen, muss ich entgegnen: Die Ästhetik passt haarscharf zum Inhalt. Irgendwo zwischen abgedroschenen „Matrix“-Effekten, Männerfitnessmagazin-Martialität und öder Werbespotglattheit suggeriert die Optik eine bestimmte Exzessivität. Und steht doch nur genauso für den platten Mainstream wie ein doofes Rammstein-Video.

Olympus Has Fallen

constantin film

"Olympus Has Fallen"

„Olympus Has Fallen“

„300“ ist ein extremes und dadurch auch ideales Beispiel. Aber vor allem im zeitgenössischen Action-Kino wimmelt es von Filmen, in denen die Berechenbarkeit der pseudobrachialen Bilder eine perfekte Allianz mit verbissenen, spießigen Storys eingeht. Dabei hat man oft das Gefühl, dass die Regisseure nicht einmal von tatsächlichen konservativen Standpunkten getrieben sind. Die Naivität, mit der stupideste Stereotypen bedient werden, resultiert einfach aus einem Musterschülergehabe: Krawumms-Kino braucht entsprechende Geschichten.

Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass ein Filmemacher wie der Afroamerikaner Antoine Fuqua („Training Day“) wirklich zu dem lächerlichen Szenario seines neuen Action-Thrillers steht, auch wenn er es in Interviews betont. Passend zu den politischen Provokationen von Kim Jong Un und wie vom B-Movie-Remake „Red Dawn“ prophezeit, wagt Nordkorea in „Olympus Has Fallen“ einen Terroranschlag auf die USA. Und zwar gleich direkt auf das Weiße Haus.

Burning down the (White) House

Zunächst lernen wir den amtierenden Präsidenten (Aaron Eckhart) aber in einem Moment der Idylle kennen. Im trauten Kreis von Familie und Secret Service wird fröhlich Weihnachten in Camp David gefeiert. Gleich nach der Geschenkeverteilung kommt es allerdings zu einem fatalen Autounfall, bei dem die First Lady stirbt. Ein Jahr nach der persönlichen Tragödie passiert dann die politische Katastrophe. Ein Trupp von getarnten Nordkoreanern erstürmt im Zuge eines wüsten Anschlags den Regierungssitz.

Dabei haben die Terroristen die Rechnung ohne Mike Banning (Gerard Butler) gemacht. Der ehemalige persönliche Leibwächter von Präsident Asher, der nach dem Weihnachtsdrama zwangsversetzt wurde, beschließt als Einzelkämpfer seinen Boss aus der Geiselhaft zu befreien.

Olympus Has Fallen

constantin film

Olympus Has Fallen

Flagge verbrennen (Regierung ertränken)

Die „Die-Hard“-Filme sind es, die eindeutig für „Olympus Has Fallen“ Pate stehen. Die Coolness und staubtrockene Lakonie, die zumindest der frühe Bruce Willis verstrahlt, sucht man hier aber vergeblich. Butler, als Schauspieler überhaupt ein wandelndes Missverständnis, wirkt in seinem verkrampften Heldentum höchstens wie ein Nachzügler von Dumpfgurken wie Steven Seagal. Überhaupt nähert sich der ganze Film seiner absurden Grundidee so verbohrt und frei von Brechungen, dass weder für comic-hafte Überzeichnungen noch Ansätze von tatsächlichen Realismus Platz ist.

Wenn das jetzt wie ein einziger ideologischer Spaßverderber-Kommentar klingt, dann sei auch hier gesagt: Die formale Ebene des Films, von jämmerlichen CGI-Explosionen und Blutspritzereien von der Festplatte bis zur Berechenbarkeit jeglicher Handlungswendungen, vermag hier nichts zu retten. „Olympus Has Fallen“ gelingt es, den Ausnahmezustand zur patriotischen Fadesse erstarren zu lassen.

Bis die vom finsteren Feind zerfetzte US-Flagge wieder einwandfrei im Wind wehen darf, imaginiert man sich Gastauftritte von Jason Bourne, James Bond und wenigstens Jack Bauer, träumt von all den klitzekleinen politischen Seitenhieben, die der Plot erlauben würde und fragt sich, warum Morgan Freeman immer in solchen Machwerken stirnrunzelnd herumstehen muss.

Olympus Has Fallen

constantin film

Merke: Es spricht auch nicht für einen Action-Blockbuster, wenn man sich danach ausgerechnet nach Roland Emmerich sehnt. Der Spezialist für Apokalypsen aller Richtungen schickt jedenfalls in seinem neuen Film „White House Down“ ebenfalls Terroristen nach Washington, es kann dabei nur aufwärts gehen.

„The Purge“ - Der Tag der Säuberung

Vielleicht haben herbe, unangenehme, ätzende Botschaften - und nur um die geht es mir – aber ohnehin bloß in billigen Produktionen Platz, die auch ohne gigantomanische Marketingsitzungen grünes Licht bekommen. "I believe every serious film should have a message of some kind," sagte ausgerechnet der König der B- und C-Movies, Mr. Roger Corman, einmal in einem Interview. Der Mann, der bei etwa 500 Low-Budget-Exploitation-Streifen die Fäden gezogen hat, der Blut, Sex und Monster auf die Leinwände der Autokinos und Grindhouses brachte, hat seine linksliberale Attitüde nie verschwiegen.

Ganz im Geiste von Roger Corman gedreht wirkt ein neuer Horrorschocker, der niedrige Produktionskosten, grelle Schauwerte und Schläge in die Magengrube des Neokonservatismus miteinander verknüpft. Angefixt vom Megaerfolg des grandiosen Science-Fiction-Thrillers „The Hunger Games“ entwirft Jungregisseur und Autor James DeMonaco in „The Purge“ ein düsteres Bild von Amerika in der nahen Zukunft.

Zwar ist die Gewalt auf einem historisch niedrigen Niveau, dafür dürfen die Bürger einmal im Jahr ihrem Hass exorzieren. Am sogenannten Purge Day wird der innere Schweinehund von der Leine gelassen. Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde sind erlaubt, ohne dass die Polizei einen Finger krümmt.

The Purge

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The Purge

Her mit polemischen Genrefilmen

Für die Familie Sandin steht der Purge Day im Zeichen maximaler Sicherheitsmaßnahmen. Wie alle Angehörigen der reichen Upperclass verbarrikadieren sie sich in ihrem Luxusdomizil. Während draußen vor allem die Obdachlosen und Unterprivilierten gejagt und gefoltert werden, herrscht im Haus der Sandins gespenstischer Frieden. Bis der kleine Nerdsohn Charlie einen blutüberströmten und schutzsuchenden Afroamerikaner auf der Straße entdeckt und ihn ins Haus lässt.

Dass sich die jugendlichen Killer ebenfalls aus der Nachbarschaft der Schönen und Reichen rekrutieren und wie direkt aus Michael Hanekes „Funny Games“ entlaufen wirken, mag ein schlichter, aber effektiver Einfall sein, der in „The Purge“ die halbe Miete ist.

Eine fatale Idee, denn bald hat es der mörderische Mob auch auf die Familie abgesehen. Auch wenn sich der sarkastische Politthriller bald in ein gängiges Horrorkammerspiel in verdunkelten Räumen verwandelt, den zynischen Blickwinkel auf die amerikanische Gegenwartsgesellschaft verliert DeMonaco nie aus den Augen.

Ich will nicht verschweigen, dass „The Purge“ enorm viel Kritik einstecken musste, viel zu dünn sei die Geschichte um den Tag der allgemeinen Mordlust, viel zu sehr würde sich der Streifen selber am Sadismus ergötzen. Ich habe da anscheinend einen anderen Film gesehen, fand ich doch den mit kurzen, knappen und mit Ethan Hawke und Lena-„Game of Thrones“-Headey glänzend besetzten Thriller fesselnd bis zum bitteren Ende. Das Kino braucht mehr brutale Genrepolemiken im Spirit von Romero, Verhoeven oder Peckinpah, „The Purge“ ist zumindest ein Anfang.

The Purge

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The Purge