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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

15. 6. 2013 - 09:45

Der Wille zur Party

Auch die sechste Woche in der portugiesischen Hauptstadt begann mit dem Vorsatz, die Stadt immer besser kennen zu lernen und zu verstehen.

Im Juni, dem Monat der Feste, lernt man alles zu vergessen, was man jemals über den portugiesischen Nationalcharakter, über Saudade und Fado gehört hat. Von wegen, die Portugiesen sind das traurigste Volk der Erde und Lissabon ist eine so melancholische Stadt!

Solch ein Durchhaltevermögen, solche eine Ausdauer im Feiern, solch einen unverrückbaren Willen zur Party sieht man selten!

Das Fest des Heiligen Antonius am 12. Juni ist der Vorwand für endlose Straßenfeste, die in ihrer Intensität und Lebensfreude in etwa der Berliner Love Parade, dem Kölner Karneval und einem badischen Weinfest zusammen genommen entsprechen.

Die Altstadt Alfama ist ein einziges Freiluftwirtshaus geworden, an jeder Ecke, jedem Platz, vor jedem Haus sind Tische und Stühle und ein improvisierter Tresen aufgestellt – überall grillt man Sardinen und sitzt zusammen, weshalb man außerhalb Lissabons auch vom "Sardinenfest" spricht. Die Lissabonner werden des Feierns nicht müde, seit Anfang Juni wird schon vorgefeiert und angegrillt. Seit Wochen sind die Schaufenster jedes Feinkostgeschäfts, jeder Apotheke und jedes Schreibwarenladens mit Antoniusfiguren und Basilikumtöpfchen geschmückt. Der Heilige Antonius wird als der Schutzheilige der Partnervermittlung angerufen, der Basilikumtopf mit aufgestecktem Liebesbrief dem oder der Auserkorenen geschenkt.

Kirche in Lissabon

Christiane Rösinger

Jedes Jahr wird 16 mittellosen Pärchen die Hochzeit gesponsert, das Fernsehen überträgt live.

Christiane Rösinger

Die Deko mit Basilikumstopf und den Kinderkleidern als zarter Wink mit dem Zaunpfahl: Nach erfolgter Paarbildung bitte gleich für Nachwuchs sorgen.

Am Wochenende gab es einen ersten Höhepunkt der diesjährigen Feiern. Tanzbands beschallten und besangen die Altstadt an jeder Ecke. Alle tanzen: Teeniemädchen mit Leuchtgestecken im Haar, Lissabonner Hipster und Zugereiste und natürlich die Bewohner des ältesten und eher armen Lissabonner Stadtteils. Man tanzt zu zweit, im Kreise, formt lange Schlangen zur Polonaise, auch 90-Jährige mit Krückstöcken tanzen mit, und wer gar nicht mehr laufen kann, stützt sich auf das Kissen im Fenster, schaut von oben zu und wackelt mit. Zahnlose Omas fassen Fremde an den Händen, fordern zum Tanzen und Mitsingen auf- alles ist in wogender Euphorie, im fröhlichen Ausnahmezustand. Man trinkt Wein und Sangria - aber man sieht keinen einzigen Betrunkenen herumtorkeln.

In einem Reiseführer stand, das Antoniusfest sei das letzte große authentische Volksfest Europas - es scheint zu stimmen.

Dieses Jahr fiel auch noch der offizielle portugiesische Nationalfeiertag, der 10. Juni, auf einen Montag - der "Portugaltag" ist der Todestag des bedeutenden Nationaldichters Luis Vaz de Camoes (1524-1579).

In seinem Hauptwerk "Die Luisaden" schildert Camoes im Stil klassischer Versepen, mit Anklängen an die Odyssee und unter Rückgriff auf die griechische und römische Mythologie, die Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama und verbindet diesen Handlungsstrang mit einer Darstellung der portugiesischen Geschichte. Am Nationalfeiertag selbst wurde in Lissabon kaum gefeiert, man schien sich ein wenig auszuruhen für den Höhepunkt der Antoniusfeiern am 12. Juni.

Da standen nachmittags schon die Casamentos de Santo Antonio, die Hochzeiten zum Heiligen Antonius an – eine traditionelle gesponserte Massenhochzeit für mittellose Pärchen.

Die Casamentos sind, gemessen am Alter des Heiligen Antonius, eine recht junge Tradition, sie geht auf eine Initiative einer Lissabonner Tageszeitung zurück. Zwischen 1957 und 1974 organisierte sie jedes Jahr am Antoniustag eine gemeinsame Hochzeitsfeier mehrerer arme Liebespaare. In den Neunzigern wurde die Tradition wieder aufgegriffen, seither heiraten jedes Jahr 16 Paare, entweder Braut oder Bräutigam müssen in Lissabon wohnen. Die Feier findet in der Kathedrale von Lissabon statt und wird per Lautsprecher in die Altstadt und live im Fernsehen übertragen.

Abends dann ziehen die Marchas populares - traditionelle Festumzüge zu Ehren des Heiligen Antonius - durch die Stadt. Die Umzüge mit Trachtengruppen stellen historische Ereignisse dar oder weisen auf die Besonderheiten der einzelnen Stadteile hin. Man rollt in historische Kostüme gewandet mit Luftballons und Glitter gespickte Rundbögen über die Avenida und singt fröhliche Lieder dazu - dann kommen wie beim chinesischen Neujahrsfest tanzende leuchtende Drachen ins Spiel - wahrscheinlich handelt es sich um eine Lissabonner Nachbarschaft aus der ehemaligen Kolonie Macau.

Umzug

Christiane Rösinger

Die Marcha popular, die Parade zu Ehren des heiligen Antonius sieht manchmal wie das chinesische Neujahrsfest oder Karneval in Rio aus. Der Heilige Antonius, kommt da nur am Rande vor.

Bei all der Feierlaune und Farbenpracht ging in diesen Tagen ein weiteres Jubiläum fast unter.

Am 13. Juni war der 125. Geburtstag des berühmtesten portugiesischen Schriftstellers Ferdinando Pessoa. Sein Geburtstag und sein Werk "Das Buch der Unruhe", eines der wichtigsten Bücher der europäischen Moderne, wird dem Festival do Desassossego, dem Festival der Unruhe gefeiert.
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