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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

12. 6. 2013 - 17:52

WIENPOP

Popgeschichte als oral History. Jetzt auch aus Wien.

Buchcover WIENPOP

Falter Verlag

"Wienpop: Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten" ist im Falter Verlag erschienen.

New York, Berlin, ja sogar Linz war schon dran, seine jeweils eigene Geschichte des Punk, des New Wave, des Techno zu erzählen. Mit dem Buch "WIENPOP – 5 Jahrzehnte Musikgeschichte. Erzählt von 130 Protagonisten" von den vier Herausgebern Gerhard Stöger, Thomas Miessgang, Florian Obkircher und Walter Gröbchen, ist jetzt auch die Bundeshauptstadt an der Reihe, lokale Popgeschichte(n) via oral History von Zeitzeuginnen erzählen zu lassen.

Ob Wolfang Ambros oder Wolfgang Kos, Peter Kruder oder Stefan Weber: über 130 Protagonistinnen und Protagonisten des „Wasserkopfs“ plaudern munter drauf los, widersprechen einander und kippen vom Anekdotischen ins Allgemeine und wieder zurück. Diese schillernde Vielstimmigkeit scheint fast schon Standard geworden zu sein, wenn es darum geht, eine Pop-Szene an einem Ort zu einer gewissen Zeit einzufangen. „WIENPOP“ hat sich allerdings noch mehr vorgenommen als vergleichbare Bücher wie „Verschwende deine Jugend“ oder „Der Klang der Familie“: Immerhin versuchen die vier Herausgeber von gleich vier Jahrzehnten zu erzählen, die nach der herkömmlichen Popgeschichtsschreibung wenig miteinander zu tun haben.

Immer diese Übersicht

Das reich bebilderte „WIENPOP“ ist in vier Großkapitel gegliedert, die sich jeweils einem Jahrzehnt zuwenden. Thomas Miessgang bearbeitet die 50er/60er Jahre, mit obskuren Garagenbeat-Bands (The Slaves), dem Schlager- und Kabarett-Urschlamm heimischen Popschaffens, (Die Bambis/Bronner/Qualtinger) und mythischen Orten wie dem Starclub Wien oder dem Chattanooga, in dem die wilde Musik aus England und Amerika kopiert wurde.

CD Cover

Falter Verlag

Walter Gröbchen wendet sich im zweiten Teil den 70er Jahren zu. Zwischen Marianne Mendt (A Glockn) und Arena-Besetzung (Schmetterlinge), Liedermacher-/Dialektrock (Heller/Ambros/Danzer et al) und ersten Discogehversuchen (Ganymed) kommen fast alle zu Sprache, die unter dem unglücklichen Begriff „Austropop“ subsumiert werden. Mit Bands wie Dirt Shit, Chuzpe und Schund eröffnet Gerhard Stöger dann die 80er Jahre mit Punk, New Wave, DIY und allem was daraus geworden ist. Bars, Clubs und Discotheken wie das U4, die Blue Box, das Atrium, das alte Chelsea und das Flex werden zu wichtigen Umschlagsorten für neue Musik, neue Bands und neue ästhetische Strategien.

WIENPOP Buchpräsentation & Party

  • Am 21. Juni ab 22:30 in der Roten Bar im Wiener Volkstheater
  • Live: Chuzpe + Chrono Popp & the Sorry Babies + Tom Petting. DJs: Christopher Just, Dr. Miessgang, Walter Gröbchen
  • Karten z.B. bei der Jugendinfo, VVK 10 Euro, AK 12 Euro

„WIENPOP“ endet ca. im Jahr 2000. Die Wiener Elektronik hat mittels Downtempo (Kruder und Dorfmeister) und Elektronik (Fennesz/Mego/Pulsinger/Tunakan) fast die Welt erobert. Hip Hop ist als Genre etabliert und Herausgeber Florian Obkircher endet mit einem Zitat von Christian Fennesz, der schon auf Soap&Skin verweist, einem Beispiel für einen ganz anderen Zugang zu Pop.

Auch wenn die üblichen Großgestalten und Großmythen der heimischen Popgeschichte ihren Auftritt bekommen (Falco), legen die Herausgeber mit ihrer Auswahl Wert darauf, dass auch seltener erinnerte Stränge zu ihrem Recht kommen. Seltsame 60s Psychedelia, Modrevivals und illegale Raveparties in den 90er Jahren bereiten hier den Boden für weitere Recherchen auf. Denn natürlich gibt es auch in „WIENPOP“ weiße Flecken und Auslassungen, über die man trefflich streiten kann. Und Menschen die „dabei“ waren, haben sicher den einen oder anderen Einspruch anzubringen. Aber das gehört bei dieser subjektiven Erzählweise einfach dazu. Kritische Einschätzungen der musikalischen Qualität sind rar in den persönlichen Erzählungen von "WIENPOP", auch das ein Merkmal dieser Art von oral History.

Plattencover

Falter Verlag

Die beteiligten Interviewpartnerinnen und -partner sind fast alle lesbar daran interessiert, an der großen Erzählung „Pop aus Wien“ mitzuwirken. Denn „WIENPOP“ ist natürlich auch ein Schritt in Richtung Festschreibung und Archivierung von ehemals „geheimen“ Wissen, halbvergessenen Biografien und Kanonisierung von halberinnerten Relikten einer Kultur, die meist am Rand des Offiziellen ihre schönsten Blüten getrieben hat.

Bis die erste „Gegengeschichte“ zu diesem „WIENPOP“ erscheint, bleibt das liebevoll gestaltete und illustrierte Buch von Stöger/Miessgang/Obkircher/Gröbchen ein großer Lesespaß, der auch für Nachgeborene wunderbar vermittelt, wie das damals war in den Tanzlokalen der 60er Jahre, warum die Wiener Gruppe rund um Ossi Wiener so ein wichtiger Einfluss auf die Szene war, warum in der Blue Box niemand gelacht hat, warum gerade der Donnerbrunnen zum Treffpunkt der 80er Jahre-Mod-Kultur wurde und wie das „alte Flex“ sich mit den Rechten von gegenüber geprügelt hat.