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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 6. 2013 - 17:30

Journal '13. Eintrag 14.

Die Sache mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, reloaded.

Das ist das Journal '13, meine heuer (wegen Jungvater-Pflichten) im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 nicht sehr regelmäßige oder gar tägliche Web-Äußerung in ungeraden Jahren.

Heute mit einem Remix eines Eintrags in zwei Teilen aus dem Jänner 2009 - Teil 1 und Teil 2. Danke an Barbara Kaufmann für die Erinnerungsleistung.

Der Anlass: die politisch motivierte Spar-Schließung des öffentlich-rechtlichen Rundfunk Griechenlands.

Gestern wurde die vorläufige Schließung der griechischen Rundfunk-Anstalt ERT exekutiert. Die Kollegen senden zwar weiter, der Schaden ist aber angerichtet - hier der Stand der aktuellen Entwicklungen - die Folgen unabsehbar.

Sowohl Redakteursrat als auch Geschäftsführung des ORF haben ihrem Protest und ihrer Solidarität Ausdruck verliehen. Und das ist weniger als falschverstandene Branchen-Wagenburg, denn als Sorge um demokratiepolitische Entwicklungen zu sehen.
Zwar ist die ERT kein lupenreiner öffentlich-rechtlicher Sender, sondern ein seltsames halbstaatliches Hybrid, die Vorgangsweise der Regierung aber greift das Prinzip an.
Denn natürlich sind die öffentlich-rechtlichen Medien in einer von Neoliberalismus und Konzern-Interessen dominierten westlichen Welt sowas wie der Last Man Standing. Selbst, wenn die Politik (wie eh überall, von der BBC abwärts) versucht, Einfluss zu nehmen - den direkten Durchgriff, den die Wirtschaftsmächtigen in der privaten Medienwirtschaft haben, können sie gar nicht erreichen.

Anlässlich dieser Entwicklung und eines wieder einmal in eine seltsame Richtung gehenden österreichischen Schein-Diskurs (dessen vorderste Flaschen lustvoll ein Gleichtun Österreichs fordern) dazu drängt es mich, einige bereits vor einigen Jahren geordnete Gedanken noch einmal aufzubereiten.

Die Basis dieses Textes ist im Jänner 2009 erschienen - es hat sich seitdem im Kern nicht allzu viel geändert. Denn auch die griechische Meldung wird in erster Linie von prinzipieller Häme und weniger von aufklärerischer Einordnung begleitet - auch von denen, die dafür zuständig sind; den Journalisten.

Und um die geht es.

1. Die strategische motivierte Schwächung

''Die Verleger sollten sich reorientieren und bewusst machen, dass sie den Diskurs über den ORF hochgradig parteilich führen. Das ist eigentlich dem Journalismus, der sonst in den Qualitätsmedien praktiziert wird, nicht würdig. Da würde ich es gern sehen, dass der ORF sich besinnt und ein Stück dagegen arbeitet. Ich halte den ORF diesbezüglich für nobel zurückhaltend.'' sprach der Wiener Uni-Prof Fritz Hausjell in der Ö1-Sendung "Im Klartext" selbigen. Es ging um die Medien-Berichterstattung der Verlage und Hausjell meinte nicht nur, dass die aktuelle Berichterstattung ein bewusstes Krankreden mit dem strategischen Ziel der Schwächung des ORF wäre (auf dessen Filetstücke die Verlage seit Jahren spitzen), er machte auch aus seiner Ansicht, dass die gesamte sogenannte Medien-Berichterstattung ausschließlich wirtschaftlichen Interessen dient und keineswegs so etwas wie einen journalistischen Ethos besitzen würde, keinen Hehl.

Derlei ist natürlich kein rein österreichisches Phänomen: auch z.B. in deutschen Landen werden die Medienseiten hauptsächlich dazu genutzt, Konkurrenten anzupatzen - bloß findet dort (ganz nebenbei) auch so etwas wie Medien-Kritik statt, die ja durchaus notwendig ist.

Wer nämlich dauernd (und zurecht) nicht nur die tatsächliche Einführung von reeller politischer, sondern auch von umfassender medialer Bildung in den Schulen fordert, der kann an dieser Beschäftigung mit der eigenen Wirkung nicht vorübergehen. Ohne Medienkunde (Wirkung, Handhabung etc.) wird der künftige Weltbürger nicht konkurrenzfähig sein können.

2. Innen- und Außensicht

Auslandsösterreicher, die sich aus wenigen Quellen über heimische Zustände nähren, berichten von der Verwunderung über die Schere bei Außen- und Innenwahrnehmung aktueller Medien-Geschehnisse. Würde man Quellen wie den Standard-Etat beim Wort nehmen, dann müsste bereits seit Jahren alles in Trümmern liegen, so verheerend sei der Eindruck, der da vermittelt wird. Und für jemanden, der sich in ein paar Tagen Altheimat-Aufenthalt sehr wohl selbst ein Bild über mediale und politische Aktualitäten machen kann, baue sich da eine ganz andere Realität auf. Eine, die der Normal-Konsument, der eben nur die künstlich empörte Außensicht angeboten bekommt, niemals geliefert bekommt. Ganz bewusst.

Das hat auch damit zu tun, dass es seit Jahren ORF-Politik ist, der Kampagnisierung durch die Mitbewerber am Medienmarkt nicht frontal zu entgegnen, sondern sich damit zu begnügen, punktuell zu antworten, also dann zu reagieren, wenn es sich um (nach ORF-Meinung) gar groben Unfug handelt. So etwas wie eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Medienberichterstattung, oder gar eine ebensolche (etwa im Rahmen einer eigenen TV-Sendung) steht nicht an.

Das ist einerseits natürlich richtig, weil es ja die Aufgabe des ORF als öffentlich-rechtliche Anstalt ist, für alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen zu wirken - was neben einer Äquidistanz zu den Verlagen auch die Abwesenheit von Campaigning beeinhaltet.

Die Folge dieses allzu noblen Rückzugs auf eine Nicht-Debatte ist aber, dass die Diskurse durch reine Keulen ersetzt werden, die man schwingt, um simple Reflexe zu erzeugen - egal ob es sich dabei um "Die Ausländer" oder z.B. eben "Den ORF" handelt.

3. Zum Beispiel Zapp

Im Nordeutschen Rundfunk zb gibt es ein Medien-Magazin. "Zapp" existiert wohl deshalb, weil die norddeutsche Mentalität Kritik zwar auch nicht mehr liebt als anderswo, sie jedoch als zulässig und notwendig erachtet.

Zapp sind die ersten (und leider auch einzigen), die nicht nur die Untaten der üblichen Verdächtigen (Bild&Springer, die alten SED-Seilschaften etc.) oder neuartigeren Irrsinn (z.B. die Heuschrecken-Übernahmen) ebenso wie brachiale Machtspiele covert, sondern auch interne Unzulänglichkeiten innerhalb der ARD-Anstalten aufblattelt. Die diversen langjährigen Skandale rund um die Radsport-Berichterstattung oder die Ungereimtheiten in der Unterhaltungsabteilung des mdr etwa hat Zapp aufgedeckt.

Ein Nord-Magazin wie Zapp, das sich mit Besitzer-Strukturen, Kampanisierungen, Medien-Strategien, ethischen Verstößen etc. auseinandersetzt, ist im Süden so gut wie unmöglich. Hierzulande wäre der politische Druck nicht zu halten. In der Republik der Neffen, in der die Onkel selber Betreiber bzw. Interessensvertreter hinter den Medien sind, ist es für ein medienkritisches Programm praktisch unmöglich alle (zum Teil womöglich sogar berechtigten) Interessen abzuwägen.

Aus genau denselben Gründen sind die Medienseiten der Tagespresse zahnlos, vor allem, was die Besitzer und Bundesgenossen betrifft, und leider nur pure Bedürfniserfüller strategischer Vorgaben derselben.
Opfer sind dabei die Konsumenten, denen journalistisch großteils Wertloses vorgesetzt wird.

4. Die These

Es ist nicht einmal nach Jahren des Schwachredens, nach aberdutzenden Nadelstichen der Begehrlichkeiten rund um ORF1 oder Ö3, nach einer Destabilisierung der Führung, nach einem politischen Hin- und Her-Gezerre ohne Ende und selbst nach den Auswirkungen der Finanzkrise möglich, die "Gesamt-Performance" (Medienneusprech, ich weiß, aber hier passt es gut) des ORF substanziell zu beeinträchtigen. Selbst, wenn Alaba oder der eine oder andere Schnitzelklopfer anderswo zu sehen sind.

Trotzdem schafft es - außer Wissenschaftern und anderen Nicht-Medienleuten - niemand, diesen absurden, weil so strategisch erkennbar in eine ganz eindeutige Richtung gedrängten öffentlichen Diskurs durch eine andere als die von den Eigeninteressen Getriebenen vorgefertigte und vorgegebene Meinung zu bereichern.

Die heimliche Bewunderung taucht maximal in Randbereichen auf. Ansonsten sind aufgrund der langjährigen Kampaignisierung die moralischen Rollläden längst gefallen: es herrschen Häme und absichtliches Foulspiel.

Das ist nicht nur ein Armuts-Zeugnis, weil es die mangelnde Fähigkeit, innerhalb des eigenen Genres vielschichtig nachzudenken, herausstreicht: dieses Verhalten offenbart eine große inhaltliche und noch größere moralische Krise des österreichischen Journalismus.

Wer es nämlich nicht zusammenbringt, eine halbwegs anständige Innensicht seines Bereichs (den der Medien) auszustellen, der ist dazu auch in anderen Bereichen nicht imstande.

Der aus doch sehr durchsichtigen Beweggründen und im Interesse der Medien-Besitzer aktuell geführte Schein-Diskurs rund um den ORF sagt weit mehr über den Zustand des Journalismus in diesem Land aus, als über den Zustand des ORF.

Mittlerweile ist es bereits zu so etwas wie Folklore verkommen, über "den ORF" (für 99% ist das mit TV gleichzusetzen, die inhaltliche Bandbreite spielt ebenso wie im restlichen Denken keine Rolle) abzulästern. Und zwar unter Verwendung aller erdenklichen Double-Binds und Doppelmühlen - getreu dem Motto, dass sich auch der gröbste Unfug dann festsetzt, wenn man ihn nur oft genug festhält (dass das hierzulande bestens funktioniert, weiß man durch den Erfolg der Populisten, der auch wieder nur deshalb zustandekommen kann, weil das Bildungs-Niveau ein schwaches ist, dessen Verbesserung man dann nicht wirklich anstrebt um es weiter so schön bequem zu haben - ein Teufelskreis).

Das heißt: wenn es nicht möglich ist, die Qualität anzumäkeln, dann wird die Massenkompatibilität herausgehoben; und wenn die da ist, wird die Qualität angemahnt.

Dass der öffentlich-rechtliche Auftrag ganz deutlich beides beeinhaltet, das wissen die Schlauen unter den Kampagne-Führern zwar, surfen aber trotzdem lieber auf den (lässigeren) Nichtwisser-Wellen. Auch, weil die Darstellung komplexer Zusammenhänge eben schwerer ist, als das simple Dreindreschen.

5. Das Problem der Zuschreibung

In Journalistenkreisen hat sich genau das (ein windschiefes Bild von Öffentlich-Rechtlichkeit) als Rechtfertigungs-Tool durchgesetzt.

Der inoffizielle, interne Diskurs der Branche läuft nämlich ebenso schief wie der öffentliche: er basiert auf verwackelten Zuschreibungen, zuallermeist auf Hörensagen (eine echte Journalisten-Krankheit: da wird, quasi "privat", jeder Schas unüberprüft weitererzählt, wo man den, quasi "beruflich" zumindest einmal abklopfen müsste).

Diese Zuschreibung sieht im wesentlichen so aus: wenn ihr da beim ORF schon die Frechheit dieser Freiheit durch diese Öffentlich-Rechtlichkeit (die ich nicht verstehe, aber auch nicht verstehen muss, weil der Diskurs eh nur auf Victor-Adler-Markt-Niveau daherkommt) habt, dann sollte das aber bitteschön gefälligst soundso (die private Interpretation des Betrachters bitte hier einsetzen) ausschauen.

Aus dieser Missgunst nährt sich die kollektive Szene-Meinung über "den ORF".

6. Die Krise der Qualitätsmedien

Gerade die sogenannten quality-papers sind dauerreizüberflutet mit angstmachenden Botschaften, und auch hier glaubt man, sich an sowas wie einer vermuteten Pragmatisierung innerhalb des ORF diskursiv völlig hatschert reiben zu können. Das hat auch damit zu tun, dass das Gejammer dort Amtssprache ist - so groß sind die ökonomischen und prekären Probleme.

Die in den "quality-papers" kreuz und quer laufenden Krisen sind allemal dazu angetan, sich mit einem Ablenkungs-Diskurs die eigene Befindlichkeits-Erhebung zu ersparen. Die einen kämpfen etwa mit einem Zwittertum aus klassischer und magazinöser Tageszeitung, die anderen zerreißen sich fraktionell zwischen dem Schritt nach vorne und dem Schritt in die eigene Vergangenheit, die dritten zerfransen sich zwischen dem Wunsch, die politisch relevante Medienkraft des Landes zu sein, und der Realität banaler Chronik-Covers. Und echt grausame Schicksale, wie die des Magazins, das seine Coverstories um fünfstellige Beträge verkauft, hab' ich gar nicht mehr auf dem Radar.

Man unterliegt dem Diktat der Kurzfristigkeit - klar, denn die hinter den Verlagen stehenden Geldgeber und Banken sind auch imstande, recht kurzfristig zu agieren - schließlich existieren viele Printmedien, auch Tagesblätter, auf Pump oder per jederzeit kündbarer Bankgarantie.

Beim ORF ist die Gefahr der Kurzfristigkeit hingegen eher durch den Einfluss der Politik gegeben. Das wiederum ist ein entscheidender Mitgrund für die ORF-Debatte per se: auch politisch Verantwortliche lassen sich durch eine eindeutige Berichterstattung verunsichern.

7. Symptom. Und Hoffnung

Nun ist der grottenschlechte Diskurs, der zum Thema ORF läuft, und den die einzelnen Journalisten aus den oben angeführten Gründen mittragen, nicht die Ursache von irgendwas. Er ist ein Symptom für eine Krise was Innensicht und Moral der Branche betrifft, und zwar das derzeit am offensten zutageliegende.

Er dient auch als Zudecker, einfach, weil man sich dadurch nicht genau genug mit dem eigenen Status beschäftigen muss, und er dient als Ausrede für die oft erschreckend hühnerbrüstige Qualität, die aus den (auch oft bloß in den Köpfen existierenden) Legebatterien entstammt.

Ich will hier nicht behaupten, dass ein sinnvoller, aus- und abgewogener ORF-Diskurs, der sich nicht ausschließlich aus den gegenläufigen Interessen speist, den ORF, die Medien, den Journalismus oder die Welt automatisch besser macht.

Ich behaupte nur, dass es möglich wäre, anhand einer ohne Schaum-vorm-Mund, ohne Keulenschwingerei und ohne populistischer und machtpolitischer Steuerung geführten öffentlichen Debatte über die aktuelle Medienlage des Landes (incl. ORF, eh klar), einen Berufsstand, der in andauernder Verunsicherung und Dauer-Jammerei verhaftet ist, ein wenig freier zu machen. Und dann auch wieder weniger Empörungsgetriebenes, weniger Hysterisches anzubieten, sondern vielmehr eine bessere inhaltliche Zu- und Einordnung treffen zu können, also endlich das aufzubereiten, was Journalismus im Jahr 2013 von uns allen verlangt: das kleine Detail im großen Bild zu verorten statt sich mit kleinlichen Nadelstichen im Eigentümer-Interesse zu verlieren.