Erstellt am: 11. 6. 2013 - 19:00 Uhr
"Es geht um unsere Träume"
Zum ersten Mal nach Ausbruch der Wirtschafts- und Euro-Krise fand in Athen am Wochenende ein großer europäischer Alternativgipfel, der Alter Summit statt. Hunderte von Aktivist_innen und Gewerkschafter_innen trafen sich, um sich zu vernetzen und auszutauschen. Und um sich im Widerstand gegen die harte Austeritätspolitik, die immer mehr Länder betrifft, zu koordinieren.
Chrissi Wilkens
"Es geht um unsere Träume, um unsere Zukunft", sagt Maria, eine 29- jährige arbeitslose Griechin, am Freitag vor dem Velodrom in Athen, wo das große Treffen stattfindet. Das Velodrom ist Teil des Olympiageländes, das für die Olympischen Spiele 2004 in Athen gebaut wurde. Viele der damals gebauten Stadien und Hallen sind mittlerweile verlassen und erinnern mit ihrer prachtvollen Konstruktion an die Millionen von Euro, die für dieses Projekt verwendet wurden.
An diesem Wochenende ist das Velodrom ein Treffpunkt für Menschen, die von einem anderen Europa träumen. Die Hoffnung, dass sich bei dem Alternativgipfel eine europäische Reform- und Widerstandbewegung findet, ist überall spürbar. Es wird über den Kampf gegen Schulden und Banken, gegen Zwangsräumungen, zum Erhalt des Gesundheitswesens, gegen Bildungsabbau, gegen Faschismus und gegen Privatisierungen beraten und diskutiert. In den Räumen des Velodroms tummeln sich rund um die Uhr Aktivisten, Gewerkschaftler, Studenten,... und auf dem Gelände davor sind die verschiedenen Organisationen mit Ständen und Infomaterial vertreten.
Maria will sich mit anderen jungen Menschen aus anderen Ländern treffen und hofft, dass sich bald auf gesamteuropäischer Ebene etwas bewegt. "Ich glaube, jetzt ist der richtige Moment, weil es viele Probleme auch in anderen Ländern gibt und die Menschen dort merken, dass die Krise auch bald ihr Land betreffen wird".
Chrissi Wilkens
Ein paar Meter weiter begleitet Kiriaki Klokiti einen Redner aus Belgien auf die Bühne. Die 45-jährige griechische Aktivistin ist eine der Co-Organisatoren des Gipfels. Mit leuchtenden Augen spricht sie über die Bedeutung dieser Begegnung. "Die griechischen Aktivisten bekommen die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten aus ganz Europa zu koordinieren um herauszufinden, wie man diesen Tunnel der Krise verlassen kann, auf einem internationalen, antikapitalistischen und solidarischen Weg. Wir versuchen, die Bewegungen aus dem Norden und aus dem Süden zusammen zu bringen", so Kiriaki. Das Publikum hört den Redner_innen aufmerksam zu. Im "Manifest der Menschen in Europa" das gemeinsamt von über 300 europäischen Organisationen verfasst wurde, wird unter anderem das Ende der Schuldknechtschaft gefordert, sowie eine demokratische Wirtschaft, in der die Banken dem öffentlichen Interesse dienen.
Chrissie Wilkens
Es ist das erste Mal nach dem Europäischen Sozialforum 2006, dass ein europaweites Treffen dieser Art in Griechenland stattfindet. "Die Erwartungen sind hoch", sagt Kiriaki. Das Treffen ist als Prozess angelegt, der auch über den Gipfel hinaus fortgesetzt werden soll. "Das 'Manifest der Menschen in Europa' wurde von rund 300 Organisationen gemeinsam erarbeitet. Es ist ein politischer Text und etwas Neues für die europäischen Bewegungen. Wir hatten nie einen gemeinsamen Text. Wir hoffen, auf der Basis dieses Manifestes und der damit verbundenen Diskussionen, die gesamteuropäischen Alternativ-Kräfte besser und stärker zu bündeln und gemeinsame Kämpfe zu organisieren."
Chrissi Wilkens
In der großen Arena herrscht Partystimmung. Aus den Lautsprechern erklingen Widerstands- und Protestlieder. Die Teilnehmer_innen des Gipfels recken die Fäuste in die Höhe. Ein türkischer Journalist steht auf der Bühne und spricht über die aktuellen Proteste in der Türkei und die Stimmung unter den Demonstrant_innen. Danach hält der Leader des oppositionellen Linksbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, eine Rede und betont, dass es nötig sei, den Sozialstaat und die Solidarität gegenüber der Barbarei zu verteidigen. "Griechenland war das erste Versuchskaninchen dieser historischen Wende. Hier wird mit voller Intensität die Strategie der Plünderungen und sozialen Regression getestet. Hier wird der historische soziale Vertrag aufgehoben, der Sozialstaat niedergelegt und werden die gesamten produktiven Ressourcen an die Kapitalisten ausverkauft. Dieses Experiment ist schon bereit, nach ganz Europa exportiert zu werden."
Giansandro Merli, ein junger Italiener, bereitet sich vor, an einer der Diskussionen in den Räumen des Velodrom teilzunehmen. Der 26-Jährige ist Teil von Dinamopress, einem italienischen Webzine und ist oft in Griechenland, um mit den griechischen Aktivist_innen Erfahrungen auszutauschen. Von der EU selbst erwartet er sich keine Lösung für die gegenwärtige Krise. "In der Regel konzentrieren wir uns auf das, was wir dagegen machen müssen, weil dies mehr Sinn hat. Wir fokussieren uns auf das, was die europäische Bewegung machen muss, um Druck nicht nur auf EU auszuüben, sondern auch auf die verschiedenen Institutionen und Einrichtungen, die eine wichtige Rolle spielen und unser tägliches Leben beeinflussen, wie z.B. Banken und Unternehmen", so Giansandro.
Chrissie Wilkens
Auf dem Gipfel gibt es auffällig viele Teilnehmer aus Frankreich, Belgien und Norwegen, es gibt auch Aktivist_innen und Gewerkschafter_innen aus Deutschland, die der deutschen Europa-Politik kritisch gegenüber stehen. Der 37-jährige Martin Auerbach von der Gewerkschaft Verdi meint, dass die Zeit reif für eine gesamteuropäische Bewegung wäre: "Wir haben vielleicht zu lange geschlafen, aber es ging uns auch vielleicht lange zu gut. Jetzt geht’s uns schlechter und wir wollen etwas verändern. Ich finde es wichtig, dass wir uns vernetzen. Weil wir sind im Prinzip die 99 Prozent, die ständig diese Banken retten dürfen, ohne das wir irgendwas davon haben." Neben ihm sitzt Sara, eine 29-jährige Aktivistin, ebenfalls aus Deutschland. Sie beschäftigt sich vor allem mit Flüchtlingsproblematik und ist gekommen, um an den Gesprächen über Migration und Faschismus teilzunehmen. Neben der ausweglosen Kürzungspolitik muss Europa sich auch mit diesem wichtigem Problem auseinandersetzen, meint sie: "Europa muss stärker gegen den wachsenden Faschismus kämpfen, der im Großteil der europäischen Länder heranwächst."
Chrissie Wilkens
Am Abschluss des Gipfels am Samstagnachmittag wurde im Athener Stadtzentrum vor dem griechischen Parlament demonstriert. Vorne laufen mit ihrem Banner in eine bunte Menge die europäischen Gipfelteilnehmer, und dahinter die Griechen mit ihren Blocks, fast erschöpft. Man merkt, dass die Griechen protestmüde geworden sind. Trotz der dürftigen Beteiligung bei der Demonstration wird von den Teilnehmern mit kräftiger Stimme für ein anderes Europa geworben.