Erstellt am: 8. 6. 2013 - 16:02 Uhr
Blackout im Disneyland mit Todesstrafe
Text: Lara Hagen

Lara Hagen
Die Autorin
Die 24jährige Lara Hagen hat Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung studiert und lebt momentan in Bolivien. Für ihr Diplomarbeitsprojekt über Zensur und Internetaktivismus in Singapur war sie einen Monat lang vor Ort. "Ob es ein Zufall war, dass mein nagelneuer Laptop wenige Tage nach der Ankunft in Singapur sich nirgends mehr ins Internet einwählen konnte oder nicht, weiß ich bis heute nicht."
Die Blogger in Singapur haben die Nase voll. Klickt man diesen Donnerstag auf ihre Seiten, präsentieren sich die geschwärzt und mit dem Vermerk #FreeMyInternet ausgestattet. Manche Banner verweisen auf die heutige Demonstration in dem tropischen Stadtstaat.
Die internetaffine Zivilgesellschaft Singapurs hatte sich auf den 24-stündigen Blackout verständigt. Bald war auf mehr als hundert Blogs und alternativen Nachrichtenseiten das Licht ausgegangen und jener Banner platziert, der der Wut vieler BürgerInnen einen Namen gibt.
"Ein Journalist hat Singapur einmal als Disneyland mit Todestrafe bezeichnet. Aber wir Bürger, die schon seit Jahren mit den restriktiven Regeln der Regierung leben müssen, spüren nichts von der Disney-Seite, sondern nur die Strafen. Deswegen machen uns die Mainstream-Medien in Singapur, welche tagtäglich die Disney-Seite unseres Landes betonen, wütend", schreibt ein User des Blogs SingaCrew.
Diese Wut treibt seit Jahren einige Mutige ins Internet. Gemessen an seiner überschaubaren Größe gibt es in dem asiatischen Land verhältnismäßig viele Blogs und alternative Nachrichtenkanäle, die sich kritisch mit Politik und Tagesgeschehen auseinandersetzen und der Einförmigkeit der Mainstream-Medien trotzen. Die Community im südostasiatischen Stadtstaat mag rein zahlenmäßig betrachtet eine kleine sein, doch dass die im Internet aktiven Akademiker, Journalisten, Künstler, Studierenden, Anwälte und Oppositionspolitiker nun so geschlossen und empört auftreten, ist im sonst so ruhigen Singapur eine Besonderheit.
freemyinternet
Was steckt hinter der aktuellen Aufregung?
Mit ihrem Banner wollen die Blogger ein Zeichen gegen die aktuellen Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit durch die seit 1965 regierende People's Action Party (PAP) setzen. Konkret geht es um die am 1. Juni präsentierten neuen Gesetze der Media Development Authority: künftig kann diese Behörde eigenständig Lizenzen für Online-Nachrichtenseiten gewähren oder entziehen.
Seiten, die monatlich mehr als 50.000 Besucher zählen und über einen Zeitraum von zwei Monaten mindestens einen Artikel pro Woche online stellen, müssen eine Jahreslizenz beantragen. Nicht nur werden dabei die persönlichen Daten der Seitenbetreiber erfasst. Die registrierten Seiten unterliegen mit der neuen Regelung auch den strengen Gesetzen zur Meinungsäußerung. Auf die Frage, ob die Lizenzierung sich auch auf die Themenwahl auswirke, antwortet der ehemalige Chefredakteur eines bereits registrierten Nachrichtenportals etwa: "Ja, ohne Zweifel. Wir haben immer zwei Anwälte an Bord, die uns fragen, ob wir nicht besser dieses umformulieren wollen und jenes weglassen. Wir haben unsere Freiheit verloren".
In der singapurischen Verfassung wird in Artikel 14, § 1 zwar das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert – laut § 2 darf es aber "in bestimmten Fällen" vom das Parlament eingeschränkt werden. Der singapurische Medienwissenschaftler, Aktivist und Oppositionspolitiker James Gomez meint: "Die PAP betrachtet Meinungsfreiheit nicht als ein Menschenrecht. Vielmehr handelt es sich dabei um ein Privileg, in dessen Genuss nur sie selbst kommt".
Die geltenden Gesetze bezüglich persönlicher Äußerungen im Internet sind nur vage formuliert – etwa sollen keine Beiträge veröffentlicht werden, die den "Rassen- und Religionsfrieden" der Insel bedrohen. Bei Nichtbefolgen drohen Geld- und Freiheitsstrafen.

http://www.flickr.com/photos/araswami/
Während die Regierung diese restriktiven Regelungen mit der instabilen politischen Lage im multiethnischen Inselstaat begründet, vermuten andere dahinter schlicht die Absicht, abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Pioniere im Netz
Singapur hat die Verbreitung des Internets schon früh gefördert. 1986 erklärte man den Aufbau einer "knowledge-based economy" zum Ziel. Milliarden wurden investiert, 1992 gab es erste Auftritte im Netz, ab 1994 wurde das Internet für die Öffentlichkeit zugänglich, 1995 war Singapur das weltweit erste Land, das eine eigene Homepage hatte und 1999 das erste Land, indem praktisch alle Haushalte und Firmen an das Kabelnetz angeschlossen waren.
Noch einen Rekord hat Singapur aufgestellt, einen eher traurigen allerdings: es war weltweit das erste Land, das dem Internet Grenzen setzte. 1997 präsentierte die Singapore Broadcast Authority eine Liste von 100 Webseiten, die via Proxyserver von den drei staatlichen Internet-Serviceanbietern blockiert wurden. International sorgte das für Aufsehen und Empörung, wurde dem Internet doch besonders in seinen ersten Jahren demokratisierendes, wenn nicht revolutionäres Potenzial zugeschrieben. Am deutlichsten kommt dieser Zeitgeist in einem Zitat von Bill Clinton zur Geltung. Das Internet zu zensieren, meinte er bei einem Besuch in China Ende der 90er Jahre, sei, als ob man einen Pudding an die Wand nageln wolle. Um international nicht als schwarzes Schaf dazustehen und den Ruf als liberales Finanzzentrum nicht zu verlieren, geht Singapur seither verdecktere Wege in der Internetkontrolle.
Den Pudding an die Wand nageln
Das Internet zu kontrollieren ist freilich nichts, was ausschließlich in Singapur geschieht und spätestens seit den Ereignissen nach den Wahlen im Iran 2009 wissen wir, dass der Pudding, wie Clinton es ausdrückte, sehr wohl an die Wand genagelt werden kann. Was Singapur zu einem interessanten Beispiel macht, ist die Tatsache, dass Journalisten und auch die Bevölkerung scheinbar akzeptiert haben, nur das zu schreiben, was der Regierung genehm ist. Oobwohl es für die Kleinheit des Staates eine engagierte Blogosphäre gibt, findet offener, von der breiten Bevölkerung getragener Protest nicht statt.
Das Phänomen Selbstzensur wird seit Jahren von Politik- und Medienwissenschaftlern wie Gomez untersucht. Eine große Rolle spielt dabei die Drohkulisse, die der Bevölkerung Tag für Tag präsentiert wird. Man kann das komplizierte Ideologiegebilde dahinter auf den Slogan "wirtschaftlicher Wohlstand vor freier Meinungsäußerung" zusammenfassen – und das auch nach Jahren sensationellen Wachstums.
Angst und Zorn
Was sind die Gründe dafür, dass Singapurer viel lieber im Internet shoppen, als sich auf den vielen nationalen (alternativen) Nachrichtenseiten zu informieren, oder sich gar online zu organisieren?
Kumaran*, ein beliebter Blogger, ist überzeugt, dass ein Großteil der Bevölkerung schlichtweg Angst vor der Regierung hat: "Die Regierung war in der Vergangenheit sehr brutal im Umgang mit Kritikern. Manche wurden verhaftet und das ohne Prozess. Andere wurden der Verleumdung beschuldigt und so in den Bankrott getrieben. Der Schmerz, den man durch Kritik an der Regierung zu spüren bekommen kann, ist also groß. Das lässt die Leute lieber still sein."
Man muss in Singapur nicht lange suchen, bis man auf Menschen trifft, die den von Kumaran beschriebenen Zorn des Regimes zu spüren bekamen. In der überschaubaren Gemeinschaft der "civil society people", wie sich die Aktivisten in Singapur nennen, wundert sich niemand, wenn einer erzählt, dass er von dubiosen Gestalten verfolgt wird oder mehrere Tausend Dollar Geldstrafen hat. Man lernt Menschen wie Terence* kennen, der gemeinsam mit zwei Freunden vor dem Parlament gegen die Todesstrafe demonstrierte. Alle drei wurden verhaftet, mussten drei Tage im Gefängnis verbringen und Terence hat seitdem mehrere Tausend Dollar Schulden.
Die Mehrheit der Singapurer bleibt also lieber still, denn sie weiß, wozu die Regierung fähig ist.
Seit 1994 der singapurische Telekommunikationsanbieter SingNet dabei"erwischt" wurde, wie er – mit Wissen des zuständigen Ministeriums – unerlaubt Daten von Usern durchsuchte, steht für viele Bürger fest, dass die Kapazität zur flächendeckenden Überwachung besteht. "Ob schlussendlich tatsächlich überwacht wird oder nicht, tut dann nichts mehr zur Sache", beschreibt Terence Lee von der australischen Monash University die Gründe für die Schere im Kopf vieler Inselbewohner.
Die aktuellen Einschränkungen brachten diese Woche allerdings das Fass zum Überlaufen. Viele, wie etwa Richard*, der seine ganze Freizeit für das Management einer beliebten Nachrichtenseite opfert, sind es leid, sich jedes Mal genau zu überlegen, was sie schreiben (können).
Schließlich ist aber auch das Schweigen der breiten Bevölkerung einer der Gründe für die aktuellen Proteste. "Ich bin es leid in einer Gesellschaft zu leben, in der sich die Leute das alles von der Regierung gefallen lassen. Es reicht", beschwert sich Richard. Ob der Aufschrei diesmal auch Bürger außerhalb der "civil society community" zur Demonstration in den Hong-Lim-Park zieht, wird sich zeigen.
Der junge Blogger, der einer der Mitorganisatoren des Blackouts und der geplanten Demonstration ist, hat seinen Beschluss allerdings schon gefasst – er wird es vielen anderen Singapurern gleichtun und auswandern, "in ein Land, in dem ich nicht mehr ständig den Mund halten muss".