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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

8. 6. 2013 - 15:22

Wo der LCD-Professor unterrichtet

Die Red Bull Music Academy hat in New York City haltgemacht. Ein Nachbericht.

Beats und Dosen

Als die Red Bull Music Academy vor 15 Jahren in Berlin als Clubkultur-Event Premiere feierte, war die Platzierung von Corporate-Logos im Wonderland der „intelligenten“ Beats und Untergrundtanzflächen noch Gegenstand ideologischer Grundsatzdebatten. Der wahre Diskurs fand häufig nicht am Dancefloor, in den Genremagazinen oder Plattenläden statt, sondern beim Drucken von Flyern und der Planung des nächsten Tanzspekatakels. Immerhin entsprang die Rave-Culture einer antikommerziellen Haltung, die im Fall-Out der Thatcher-Jahre und des Yuppie-Hedonismus der Achtziger alte Lagerhallen und Warenhäuser im wahrsten Sinn des Wortes urbar machen musste, um ein bisschen autonomen Spaß in den tristen Alltag zu bringen, während in Detroit eine Techno- und House-Kultur zwischen den Ruinen des Niedergangs zu blühen begann.

Brands statt Labels - Das SXSW-Festival in Texas.

James Murphy

Christian Lehner

Der LCD-Professor: James Murphy

Ende der Neunziger war Rave zwar schon längst Ballermann, aber die alten Geschichten von der Underground Resistance machten noch immer die Runden. In dieser Atmosphäre setzte die Red Bull Music Academy ihren Fuß in die Clublandschaft.

Der Beat des Mäzenatentums

Seither stellt die fahrende Academy alle ein, zwei Jahre in wechselnden Weltstädten Infrastruktur, Personal und Materialien für eine temporäre Ausbildungsstätte zur Verfügung, ohne von den „Studenten“ Gegenleistungen zu verlangen. Statt mit aggressivem Sponsoring eine Werbeveranstaltung im Musikumfeld zu platzieren, setzte man auf die direkte Förderung von Szene-Talenten. Schnell wurde die Academy zur respektierten Institution zwischen Mäzenatentum und Umwegrentabilität. Das Modell machte Schule und wird heute in ähnlicher Form auch von anderen Brands betrieben (siehe etwa die Converse Rubber Tracks Studios in Williamsburg, Brooklyn).

Squalloscope Anna Kohlweis Paper Bird

Christian Lehner

Participiant: Anna Kohlweis aka Squalloscope

Die TeilnehmerInnen der Music Academy rekrutieren sich per Aufnahmeantrag aus einem internationalen Pool von Musikern, die künstlerisch bereits etwas vorzuweisen haben. Nach erfolgter Aufnahme wird man mit 29 weiteren Participiants zweieinhalb Wochen durch Lectures, Studio-Lessons und Konzerte geschleust. Die Namen des Lehrpersonals haben es dabei in sich. Zum Team der jeweils einen ganzen Lehrgang über anwesenden Studiobetreuer zählten bei der diesjährigen Ausgabe der Academy in New York zum Beispiel Künstler wie Patrick Pulsinger, Robin Hannibal von Rhye, Dorian Concept und der Hip Hop Producer Just Blaze. Wer würde hier Stunden schwänzen wollen?

Von Eno bis Blondie

Die Lectures, die den jeweils zwei Teilnehmergruppen in einer Art Hörsaal angeboten werden, wurden heuer von Kapazundern wie Blondie, Giorgio Moroder, Brian Eno und Q-Tip bestritten. Hands-On-Studiolehrgänge, Demonstrationen und Talks kamen u.a. von Ex-LCD-Soundsystem-Frontmann James Murphy oder dem Electronic-Wiz-Kid Four Tet. Am Abend geht es dann zur Feldforschung in die Clubs der austragenden Metropole. Diese Events stehen auch Nichtteilnehmenden offen. Hightlights aus dem diesjährigen Angebot waren pour moi der Auftritt des etwas an „Stomp“ oder die „Blue Men Group“ erinnernden Bell Laboratory, das von Pantha Du Prince angeführt wurde und dann natürlich der heiße Dub-Abend im Le Poisson Rouge in SoHo mit Lee „Scratch“ Perry, Adrian Sherwood, The Congos und Sun Araw.

Im Lauf der Jahre hat sich die Academy stilistisch geöffnet und bedient längst nicht mehr nur die Clubkultur. Unter den Teilnehmern befanden sich in der am vergangenen Samstag im Big Apple zu Ende gegangen Auflage zum Beispiel ein Argentinier, der hauptsächlich Kindermusik komponiert und die österreichische Singer-Songwriterin Anna Kohlweis aka Squalloscope. Kohlweis war vor allem vom Legendenstaub der Lectures angetan und von den Studio-Sessions, wo etwa James Murphy praktische Tipps zum Erwerb leistbarer Studiokomponenten gab („Buy mixing-desks, they are dead cheap at the moment“).

Luftschloss und reale Kulturförderung

In insgesamt acht Bedroom-Studios können die Teilnehmer Musik produzieren, zusammenarbeiten und voneinander lernen. Begleitet wird die Academy von einem hausinternen Radiosender, einer Art Tageszeitung und einem Video-Team. Nach Beendigung der Akademie verbleibt ein Teil der Studio-Infratruktur an Ort und Stelle und dient in Folge der lokalen Musikszene als Anlaufstelle.

Robin Hannibal Rhye Red Bull Music Academy

Christian Lehner

Studio Team: Robin Hannibal, Rhye

Also alles bestens? Für Musiker, die das Glück haben, mit ihrem Schaffen die Aufnahemekriterien zu erfüllen, ist die Music Academy zweifelsohne eine tolle Sache. Mit James Murphy oder Patrick Puslinger stundenlang im Studio abhängen, sich Skills aneignen, Freundschaften und professionelle Kontakte knüpfen und Ryuichi Sakamotos Anekdoten über seinen Zoff mit Bernardo Bertolucci lauschen sind nachgerade der Traum eines jeden Musiknerds.

Red Bull Music Academy - Debbie Harry - Blondie

Christian Lehner

Star-Vortragende: Debbie Harry, Blondie

„Trotz Corporate-Umfeld sind hier im Kernteam reine Musikliebhaber am Werk“, wie Dorian Concept, ehemaliger Teilnehmer und mittlerweile Mitglied des Studioteams das hohe Qualitätslevel zusammenfasst. Tatsächlich wird man bei der Academy von Schritt auf Tritt dermaßen gut behandelt, dass man sich ständig in einem Fantasy-Movie wähnt. Doch die Music Academy hat auch etwas von einem Luftschloss, das die harschen Realitäten für Musikmachende anno 2013 bloß für eine kurze Zeit außer Kraft setzt. Und wie für alle Gönnerprojekte gilt auch hier: Verlässt die Quelle der Wille, versiegt sie von einem Tag auf den anderen.