Erstellt am: 6. 6. 2013 - 15:40 Uhr
Asset Backed Commercial Paper*, du Vollidiot!
* Asset Backed Commercial Paper (Wikipedia)
Kennst du den Unterschied zwischen BWL und BMW? Falls nicht, wirbt derzeit einer der größten Weiterbildungs-Anbieter Österreichs mittels Plakatkampagne darum, dich aufzuklären.
Frühere Kampagnen drehten sich meist darum, Wissen im Allgemeinen, Veränderung und Karrierestreben positiv zu besetzen und eine Verbindung zwischen diesen Elementen zu suggerieren: Bildung als Mittel zum beruflichen Aufstieg.
bweber
In der neuen Kampagne wird als Scheuklappen-beschränkte Dumpfbacke präsentiert, wer nicht zwischen Portfolio und Polio-Krankheit, Hedgefonds und Geflügelfond unterscheiden könne. Damit wird eine entscheidende Verschiebung vorgenommen.
Erstens liegt das Schwergewicht auf Begriffen aus dem Finanzwesen.
Zweitens dominiert in der Darstellung statt Positiv-Identifikation die Abgrenzung nach unten, von den vermeintlich Dummen.
Das Hirn voller Geld
Diese Merkmale sind genau die Charakteristika, um die sich in den letzten Jahren eine internationale Kampagne für Finanzbildung formiert hat.
Eine heterogen zusammengewürfelte Allianz aus Banken, Behörden und Verbraucherschutzorganisationen will im angeblichen Mangel an Finanzwissen der Bevölkerung ein massives Problem sehen. Gern werden Umfragen präsentiert, die einen geringen Wissensstand der Leute offenbaren, und damit Alarmstimmung geschürt, weil die Ausbreitung von Finanzgeschäften in allen Lebensbereichen unaufhaltbar sei. Es wird unterstellt, finanzielle Probleme wie Überschuldung, mangelhafte Altersvorsorge und Hereinfallen auf betrügerische Anlageberatung seien die Schuld von KonsumentInnen, die schlicht zu wenig wüssten. Dass nicht Dummheit, sondern das Schlagendwerden sozialer Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung die Hauptursachen für Überschuldung sind; dass Sozialversicherungs-Aufgaben wie Altersvorsorge in öffentliche Hände gehören statt die Verantwortung auf individuelle Entscheidung für teure und unsichere Privatpensionsanbieter abzuladen; und dass gerade die Gebildeten und Reichen oft die willfährigsten Opfer von Anlagebetrügern sind (siehe Madoff-Skandal): All das wird geflissentlich ausgeblendet.
Der Zusammenhang von Finanzwissen und Finanzverhalten ist weniger eindeutig als oft angenommen: Wenn am Finanzmarkt jene mit dem größten Wissen die größten Erfolge feiern könnten, dann wäre Lehmann Brothers heute nicht bankrott, und viele andere Finanzinstitute nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen. Zwar geht ein höheres Bildungsniveau in der Regel mit einem höheren Selbstvertrauen in Finanzfragen einher. Die Folge ist aber leider oft Selbstüberschätzung statt risikobewusstes Agieren. Und wer sich bei etwas gut auszukennen glaubt, verliert oft die Distanz und Kritikfähigkeit gegenüber der Sache.
In Ländern wie USA und Großbritannien ist Finanzbildung ein Riesenthema, das in den letzten 10, 20 Jahren massiv auf dem Vormarsch ist, quasi flankierend zum Vormarsch des Finanzsektors in der Gesamtwirtschaft. Denn Finanzbildung ist natürlich immer auch Werbung für die Finanzbranche, weil damit Berührungsängste abgebaut werden, die Laien in Form eines „gesunden Misstrauens“ auch vor Risiken geschützt haben.
Arm, weil ungebildet?
Auch im deutschen Sprachraum sind einschlägige Bemühungen auf dem Vormarsch. Ein auffälliges Merkmal der deutschsprachigen Debatte ist, dass neben der Übersetzung der Begriffe „financial literacy“ und „financial education“ als „Finanzbildung“, „Finanzielle Allgemeinbildung“ und „Finanz-Alphabetismus“ sehr häufig das Antonym "Finanzieller Analphabetismus" verwendet wird, somit in Appellen an ein potenzielles Bildungspublikum die Abgrenzung gegenüber Nicht-Wissenden stark betont wird.
Wer durch die Behauptung eines Zusammenhangs zwischen Finanzbildung und Finanzerfolg nicht überzeugt wird, der/die soll durch die Vorführung eines Versagermilieus als warnendes Beispiel bei der Stange gehalten werden. Bürgerliche Abgrenzungsrituale gegen die Armen werden mobilisiert. Die „Prolls“, die „Hartz-IV-lerInnen“, die „Unterschicht“ – neben Disziplinlosigkeit, unvernünftiger Ernährung und verantwortungslosem Umgang mit den Kindern wird ihnen jetzt ein neues Stigma aufgeklebt: „Wissen nicht, was ein Hedgefonds ist“. Das liefert wieder ein neues Argument dafür, dass die Armen an ihrer Armut selbst schuld seien. Was in Sendungen wie dem "Schuldnerberater" anklingt, wird in der genannten Kampagne des heimischen Weiterbildungsanbieters munter weitergeführt. Und wo nach der Krise eine Debatte über den künftigen Stellenwert und Rolle des Finanzsektors begann, werden damit unausgesprochen alle zum Schweigen aufgefordert, die ihre Meinung nicht in einer - plötzlich zum Bestandteil einer Allgemeinbildung erklärten - Fachsprache äußern können.