Erstellt am: 6. 6. 2013 - 16:07 Uhr
Putting love in revolution
"Wir sind müde. Wir sind durchnässt. Unsere Stimmen sind heiser", sagt eine junge Frau in die Kamera. Sie sitzt in einem Campingzelt, auf das der Regen einprasselt. Es ist Herbst 2012 und Occupy Wall Street ist das Ding der Stunde im Herbst 2012. Bei aller Verklärung lohnt sich bereits jetzt ein Blick zurück: Im Grazer Forum Stadtpark eröffnet die Doku "Occupy Love" gestern das Crossroads Festival für Dokumentarfilm und Diskurs.
Radio FM4
Crossroads Festival für Dokumentarfilm und Diskurs, bis 16. Juni, Forum Stadtpark Graz.
Eintritt nach dem sympathischen Zahl wie du kannst-Prinzip.
In den kommenden zehn Tagen bietet das Festival eine aktuelle Rundschau in die jüngste Zeitgeschichte. Es geht um "intime Einblicke in Einblicke in persönliche und kollektive Bestrebungen, die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen", wie es Organisator und Kurator Josef Obermoser beschreibt. Nach der Premiere von Crossroads im Vorjahr hat er erneut ausgezeichnete internationale Dokus recherchiert, die so was von am Puls der Zeit sind.
Gute Unterhaltung
Zugegeben, die Stichworte Entdemokratisierung, soziale Polarisierung und sozial-ökologische Krisen sind angekündigte Themenkreise, die alles andere als verlockende Unterhaltung versprechen.
Aber hey, die Pinguine kommen schnatternd angewatschelt an den Küsten des Rossmeers, wo Neuseeland die professionelle Fischerei vorantreibt. Die isländischen Musiker von Sigur Rós haben die Wucht von Filmmusik zu "La Source" geschrieben. Und in "Global Home" couchsurft eine Filmemacherin in Mali, der Westbank oder an Tokyos Stadtrand.
Die Verweise auf Festivals wie Sundance oder das SXSW sind berechtigt. Denn etliche der Filme, die nun bei Crossroads laufen, räumten Preise ab. "A River Changes Course" etwa wurde beim diesjährigen Sundance mit dem großen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet.
28 Filme zeigt das Crossroads Festival. Das Programm ist thematisch gegliedert. Fünf Empfehlungen zu den vier Schwerpunkten des Festivals.
Euphorie und Widerstand
Es gibt Momente im Leben, da hätte eine innere Hymne alles rundum übertönen müssen. Zum Beispiel im Kopf des US-amerikanischen Staatsbürgers Tim DeChristopher, kurz nachdem die Hand des Wirtschaftsstudenten in einer Auktion nach oben schnellte. Und Tim Konzerne ausbot und um die gebotenen 1,7 Millonen Dollar Pachtverträge für Land im Bundesstaat Utah erwarb, samt der Berechtigung, Gas und Öl zu fördern.
"Bidder 70" erzählt von den Konsequenzen dieses Protests. Mit mitreißender amerikanischer Rhetorik, die EuropäerInnen doch stets eine herrliche Portion Pathos voraus hat.
Gage and Gage Productions
Die Hippness des Rhabarberkompotts
Festivalessen: Pot luck nennt sich die Kochstrategie, bei der jede und jeder mitbringt, was er an Ess- oder Verkochbarem zuhause hat. Im Forum Stadtpark wird damit gekocht und möglichst alle werden satt.
Omi und Opa hatte Karotten-, Salat- und Erdbeerbeete sowie Bohnenstangenfronten zum Nachbargrundstück. Den Rharbarberanbau nicht zu vergessen. Die Sehnsucht danach, Erde unter die Fingernägel zu kriegen, kulminiert in Gemeinschaftsgärten.
Das Elevate Festival hat dem geneigten Grazer Publikum Permakultur bestens vertraut gemacht. Was tatsächlich in den lokalen Gemeinschaftsgärten sprießt, schaut man sich bei der Garten-Radtour an.
Das erste Wochenende von Crossroads spannt den Bogen von US-AmerikanerInnen, die erstmals in ihrem Leben frisch gepflückte Tomaten essen - not kidding! - bis zur Landgrabbing-Diskussion.
Anthony-Masterson Productions
Das Wissen der Guerilla Großmütter
Heute sieht man es Monica, Amelia und Maria nicht an, dass sie einst bewaffnete Guerilla-Kämpferinnen in ihrer Heimat Mosambik waren. Das ostafrikanische Land trat 1975 (!), nach fünfhundert Jahren Kolonie-Dasein, in die Unabhängigkeit. Ein Jahr später begann ein sechzehnjähriger Bürgerkrieg. Die Regisseurin Ike Bertels kennt die Guerilla Grannies seit dreißig Jahren.
Ike Bertels
Horizontale Entscheidungen
"Es ist das eine, einen Diktator zu stürzen. Aber den Neoliberalismus zu überwinden, ist etwas Anderes", sagt Naomi Klein in "Occupy Love". Mit Formen des Widerstandes, Demokratie und Wirtschaft setzt sich auch der österreichische Künstler Oliver Ressler auseinander. Ressler kuratiert Ausstellungen und gestaltet Projekte im öffentlichen Raum.
Genau in diesem umkämpften Interessensgebiet, dem öffentlichen Raum, formierten sich die zivilgesellschaftlichen Bewegungen in Madrid, Athen und New York. "Take the square" erkundet, wie die Organisation dieser Protestbewegungen funktionierte und wie horizontale Entscheidungsfindung von statten geht.
Eine Österreich-Premiere zum Zettelkatalog-Eintrag "Soziale Bewegungen und Aktivismus".
Nicht zuletzt trainiert der deutsche Filmemacher Konstantin Faigle unter diesen Stichworten das Publikum im In-die-Luft-Schauen und fragt: Was machst du so? "Frohes Schaffen - ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral" hinterfragt die Bedeutung von Erwerbsarbeit ohne persönlich schlüssigem Sinn abseits vom Geldverdienen.
Konstantin Faigle
Weil diese Filme nicht unkommentiert hingenommen werden können, hat das Crossroads den Salon und die Terrasse des Forum Stadtpark zum "Filmbeisl" erklärt. Gestern war es da schon sehr lustig.