Erstellt am: 5. 6. 2013 - 15:56 Uhr
Breitbeinig im Rock durch die Wüste
Über den Hügeln
Von meinem bisher einzigen Interview mit Josh Homme in einem Hotel am Sunset Strip in LA ist mir ein rastloser Rotschopf in Erinnerung, der während des Gesprächs Witze reißend und Bierdosen knackend im Hotelzimmer auf und ab lief und der dennoch und gleichzeitig eine Aura der Gelassenheit und des konstanten Grübelns ausstrahlte, während der Rest der Truppe matt in den Sofas hing und routiniert die üblichen Stehsätze zur Veröffentlichung eines Rockalbums absonderte.
Am 2. Juli gastieren die Queens Of The Stone Age in der Wiener Stadthalle
beggars
Ich war hellauf begeistert von der ambivalenten Erscheinung Hommes. Immerhin waren seine Queens Of The Stone Age die einzige Band, die Ende der 90er meine längst unter Bergen aus 12-Inch-Electronica-Vinyl verschütt geglaubten Rock'n'Roll-Wurzeln wieder freilegen konnte (Kyuss und die Desert Sessions entdeckte ich erst Post-Rated-R).
Die Plauderstunde fand anlässlich der Veröffentlichung des vorletzten QOTSA-Albums "Lullabies To Paralyze" statt. Danach ging es ins oberste Stockwerk des Hotels zum etwas ätherischen Gespräch mit Beck, der sich einige Tage später in der New York Times als Scientologe outen sollte. Am Abend wohnte ich dann dem nicht unlustigen Reunion-Konzert von Mötley Crüe bei. 2005 war definitv ein anderes Jahrzehnt.
matador rec
In dieser Dekade gibt es einen Download-Link. In dem von der Plattenfirma zur Verfügung gestellten Interview zum neuen Album "...Like Clockwork" erläutert Homme die schwierigen Umstände während der Produktion des sechsten QOTSA-Albums. Seine Stimme klingt anders. Nicht älter, aber doch etwas lebenszersaust. Witze reißt Homme noch immer. Auch klare Ansagen finden den Weg zum fiktiven Gegenüber (die Fragen des Interviewers sind rausgeschnitten). "Love it, hate it, but don't ignore it", sagt er über das neue Werk und fast damit einen seit der Steinzeit gültigen Grundsatz kreatürlichen Schaffens zusammen: die beherzte Ablehnung ist der netten Indifferenz unbedingt vorzuziehen! Grund für Hass gibt es allerdings kaum – außer vielleicht für jene Die-Hard-Fans von Kyuss, die erneut auf eine Wiederbelebung der alten Stoner-Rock-Tage in Palm Desert, Kalifornien gehofft hatten.
Trotz der selbst für QOTSA ungewöhnlich hohen Dichte an Gastmusikern, sind die Königinnen auch weiterhin in erster Linie das Vehikel für die künstlerische Vision ihrer Oberkönigin. Und die hatte eine schwere Zeit nach der letzten Tour mit Them Crooked Vultures, einem der zahlreichen Nebenprojekte Hommes (gemeinsam mit Dave Grohl und Ex-Led Zeppelin Member John Paul Jones).
Midlife Crisis, Burn Out, Lebensgefahr
Zum ersten Mal in seiner beinahe 25 Jahre andauernden Karriere blieben beim Skizzieren der neuen Songs die Musen in der Wüste. Der Maestro der staubtrockenen Riffs und des sich windenden Gesangs litt unter Ladehemmungen. Zwei beinahe fertige Alben wurden wieder eingestampft – darunter (Gerüchten zu Folge) eine vollelektronische Version, die Homme angeblich mit seinem alten Buddy James Lavelle von U.N.K.L.E eingespielt hatte.
Drummer Joey Castillo, neben Troy Van Leeuwen einer der bisher am längsten bei QOTSA Beschäftigten, bekam während der Aufnahmen den Laufpass. Also saß nach einem gar nicht so langen Telefonat wieder einmal Dave Grohl am Schlagzeug der Queens. Mark Lanegan und Trent Reznor sind ebenfalls wieder mit dabei. Selbst der notorische Troublemaker Nick Olivieri darf am neuen Album ein bisschen im Hintergrund mitsingen, nachdem er 2004 ohne Kompass in die Wüste geschickt wurde.
Viel schwerer als die üblichen Zoffereien und Personalrocharden im Hause QOTSA wog aber die Nahtoderfahrung, die Homme vor drei Jahren während einer Beinoperation machte. Es kam zu Komplikationen und der QOTSA-Stimme wäre beinahe die Luft ausgegangen. Homme war monatelang ans Krankenbett gefesselt. Danach trat er die Flucht nach vorne an. Das erste Mal in seiner langjährigen Karriere musste sich der sture Rotschopf seinen innersten Dämonen stellen, wie er im Interview unumwunden zugibt. Die Songs adressieren das Ungemach der letzten drei Jahre. Der Rat zur reinigenden Selbstspiegelung kam von Ehefrau Brody Dalle (Ex-The Distillers). So singt Homme etwa im Song "I Appear Missing": "Shock me awake Tear me apart Penned like a note in a hospital gown". In einer weiteren dunklen Ballade, "The Vampyre Of Time And Memory" legt er es gar final an: "I want God to come And take me home Coz I'm all alone in this crowd".
Neues Mannsbild
Der gelernte Zyniker in uns will solche Zeilen natürlich nicht hören. Selbstmitleidige Männer, die in ihr Bier heulen, stehen derzeit eher nicht so hoch im Kurs. Aber diese Leidenslieder Hommes haben mich voll erwischt, beschleunigen meinen Puls, setzen unruhige Gedanken und Emotionen in Gang, beschäftigen mich noch, wenn der letzte Ton verklungen ist. "Love it or hate it!" There he said it.
Matador Rec
Vielleicht liegt es daran, dass mich die vielschichtige Figur Homme auch Jahre nach der persönlichen Begegnung noch immer beschäftigt und ich ihm diesen Schmerz, dieses Fanal und das an anderer Stellen hell aufflackernde Erlösungsgesäusel gerne abnehme. Während andere Gute wie Dave Grohl (der saturierte Rock'n'Roll Onkel) oder Trent Reznor (der Mann für die Schmerzen) ihre jeweiligen Rollen mit eben jenen Eigenschaften voll ausfüllen, verkörpert Homme durchaus breitbeinigere Rock'n'Roll-Klischees (Motorrad, Bierdosen, loses Mundwerk). Er scheint aber dennoch völlig frei zu sein von der reaktionären Red-Meat-Mentalität, die im harten Gewerbe häufig noch immer mit coolem Außenseitertum verwechselt wird (Homme feuerte Nick Olivieri seinerzeit nicht etwa wegen „künstlerischer Differenzen“, sondern weil jener seine Frau misshandelte).
Es ist kein Geheimnis, dass Homme den Bandnamen der Queens bewusst mit queerer Symbolik aufgeladen hat. Konsequent auch der Einbezug zweier schwuler Popikonen in das neue Album. Nicht dass Homme hier programmatisch zeitgeistig vorgeht und den Civil-Rights- Aktivisten spielt. Die Message kommt auch ohne große Worte an. So ist Jake Shears von den Scissor Sisters dabei. Sir Elton John hat gar höchstpersönlich bei Homme angerufen und eine Zusammenarbeit angeregt: "And he told me the only thing missing from the band was an actual Queen. To which I said: 'Honey, you have no idea." Wirklich ins Gewicht fallen diese Beiträge – so wie alle anderen – nicht, beziehungsweise werden sie nicht eitel ausgestellt, sondern den Bedürfnissen der Songs untergeordnet.
... Like Clockwork
Diese äußerst zeitgemäße Konfiguration eines Mindsets übersetzt sich in äußerst zeitgemäß konfigurierten Sound. Es ist schon erstaunlich, wie viele Referenzen, Stile und Gastbeiträge auf "...Like Clockwork" zusammenkommen. Wie QOTSA zurückgeblicken aber auch nach vorne in Richtung neue Rock/Pop-Ästhetik marschieren. Und wie das Resultat immer noch ganz klar als QOTSA identifizerbar ist.
Die Gravität des Passionsthemas, die Strenge und emotionale Dedication, die dunklen Traumgeschichten, das alles geht auf in den lässigsten und stärksten Grooves, Riffs und Hooks seit "Songs For The Deaf". Klimpernde Saloon- und Cabaret-Pianos markieren den Homm'schen Humor mit Glam-Rock (der ja im Nebenprojekt Eagles Of Death Metal immer bloß ironisch behandelt wurde).
queens of the stone age
Elektronisch gefilterte Gitarrenlicks und mit Synthies angereicherte Melodiebögen gemahnen an Versuchsanordnungen von ZZ Top ("Eliminator") oder Judas Priest ("Turbo Lover") in den Achtziger Jahren, ohne wie jene in den seichten Gewässern zu ersaufen. Der Pink Floyd'sche Prog tobt in den Refrains ebenso wie Tod Rundgren in den Arrangements während dessen "A Wizard, A True Star"-Phase. Teilweise erinnern mich die tiefen, abstrakten Sounds der zäher mäandernden Stücke an das von Bob Enzrin produzierte KISS-Meisterwerk "Music From The Elder", das 1981 furchtbar floppte und möglicherweise als das von einer produzierenden Band meistgehasste Album aller Zeiten in die Rockgeschichte eingehen wird.
Einzig am Titelstück geht sich für mich dieser tolldreiste Ballanceakt, den Homme hier anstellt, nicht wirklich aus. "Like Clockwork" ist für meinen Geschmack doch etwas zu tranig und nahe am Vesuv gebaut. Mein momentaner Favorit hört auf den wunderbaren Namen "If I Had A Tail". So dunkel, schön und mysteriös klang schon lange kein Rocksong mehr. "Wouldn’t it be great to fucking do this thing that sounded so alien to everything else, but that was like chocolate with crack in it?" There he did it. Für mich bisher das Album des Jahres.