Erstellt am: 5. 6. 2013 - 19:06 Uhr
Prozente oder Philosophie?
Kauft noch irgendjemand regelmäßig Spielemagazine in der Trafik bzw. am Kiosk? Vielleicht manchmal am Bahnhof, wenn man eine längere Zugfahrt vor sich hat. Aber ansonsten bekommt man jegliche Informationen über aktuelle Computerspiele und die noch so nischige Gaming-Szene schon seit Jahren in aller Ausführlichkeit im Netz - egal, ob man nach Testbesprechungen, Trailer, Walkthroughs oder schöngeistigen Texten sucht. Doch die große Vielfalt des Schreibens über Spiele beschwört auch Wertehaltungen. Sieht man die Funktion von Artikeln über Spiele als reine Informationsbeschaffung oder als eine Kunstform für sich? Willkommen bei einem kleinem Deathmatch: Produktjournalismus versus Kulturjournalismus.
Messen, wiegen, zählen
Spielejournalismus war historisch schon immer im Servicebereich verankert. Hauptverantwortlich dafür war das ehemals rein kommerzielle Wesen von digitalen Spielen. Seit "PONG" (1972) sind Computer- und Videospiele vor allem ein großer, neuer, verblüffender Markt - dementsprechend war die zugehörige Presse früher in erster Linie damit beschäftigt, einen Überblick über die aktuellen Produkte zu geben und zu versuchen, den über allem stehenden Faktor "Spaß" messbar zu machen. Da gab und gibt es viele Zahlen und Wertungen: Wie hübsch ist die Grafik? Wie aufwändig sind die Figuren animiert? Wie viele Spielabschnitte sind vorhanden und wie lange werden wir damit unterhalten? Ab welcher Stunde gibt es dramaturgische Längen und können diese wieder ausgeglichen werden?
Mit schnelleren Internet-Bandbreiten haben Mitte der 2000er Jahre auch neue Zugänge im Spielejournalismus Einzug gehalten. In jungen Blogs und teils auch in etablierten Online-Publikationen (etwa das britische Eurogamer) hat man sich vom technischen, metrischen Zugang zunehmend emanzipiert und einen kulturellen Zugang zu Games entwickelt. Schon vor über fünf Jahren hat die schottische Games-Comedy-Serie Consolvania diese neue Strömung des sogenannten New Games Journalism zugespitzt und sich in brillanten Sketches darüber lustig gemacht. Das Wesen des neuen Schreibens: Ein Text über ein Spiel ist nicht länger eine Produktbesprechung sondern man erzählt, wie es einem beim Spielen so geht und gerne auch ein bisschen mehr über sich selbst.
Printsterben
Schon damals, also Mitte bis Ende der 2000er Jahre, waren die klassischen Print-Fachmagazine über Spiele stark unter Druck - das Web hat ihre Servicefunktion weitgehend obsolet gemacht. Die Reaktion der großen Verlage, bis heute: mehr Multimedia-Angebote in Form von Videos, Podcasts und allgemein diversen Unterhaltungsformaten. Das eigentliche Geschäft, also das Spieletesten, besteht weiterhin, musste aber ordentlich Federn lassen. Zeit für neue Wege?
Der Wiener Rainer Sigl, unter anderem FM4-Autor und Betreiber des Game-Blogs Videogame Tourism, ist hauptberuflich Lektor. Videogame Tourism wird von ihm seit eineinhalb Jahren unkommerziell und aus reinem Enthusiasmus heraus betrieben. Sigl liest selbst viel und gerne, ist ein schneller Autor. Ideal, um den eigenen Vorstellungen von reichhaltigem Fachjournalismus freien Lauf zu lassen. "Computerspiele sind ein ganzes Medium, und ein Medium kann man von mehreren Seiten betrachten."
Massenuntauglich, aber unabhängig
Videogame Tourism bringt Analysen über Strömungen innerhalb der Spieleindustrie, gegen den Strich gebürstere Gedanken zu Spieler/innen-Gemeinschaften und Branchen-Trends sowie Games-Besprechungen, die jegliches einheitliche Format verweigern. Ähnlich verhält es sich etwa mit dem Blog Superlevel, einer Fülle an weiteren deutschsprachigen Spiele-Blogs und dem - gedruckten - Spielkultur-Reader WASD, der in Kürze in Ausgabe 3 erscheint. Vielfalt ist gut, möchte man meinen, doch trotzdem hat sich kürzlich wieder eine kleine Diskussion zwischen den unterschiedlichen Wertehaltungen entfaltet. Als "massenuntauglich" und "elitär" hat etwa jüngst Altjournalist Gunnar Lott, der heute in der Spieleindustrie arbeitet, einige der Blogs in einem Interview bezeichnet. Warum dieses Sticheln? Der Wiener Jungautor Joe Köller, der klar für intellektuelle Texte über Spiele eintritt, hat eine schlüssige Erklärung dazu:
"Es gibt diesen ewigen Streit zwischen Produkt- und Kulturjournalismus. Aber das ist eigentlich nur ein Verständnisproblem, weil beide Seiten nebeneinander existieren könnten - obwohl sich beide Seiten manchmal übereinander lustig machen."
Joe Köller hat kürzlich selbst auf die Kritik der "Alten" klug zurückgeschossen - mit einem in Englisch verfassten Limerick. An einer Stelle wird die unterschiedliche Zugangsweise der beiden Fraktionen gut auf den Punkt gebracht.
They ask: "How does it play?
Is the balancing okay?
The graphics quite pretty?
The one-liners witty?
Worth its money, would you say?"
When I'd sooner ask: "Well, what does it mean?
And have you noticed this rather peculiar scene?
The philosophies expressed
In this little sidequest?
How opinions conflict and worldviews convene?"
Selbstverständnis als Spieleautor/in
Was beim recht harmlosen und mitunter unterhaltsamen Diskutieren über Produkt- versus Kulturjournalismus ein zentraler Punkt ist: der eine wird professionell betrieben - im Sinne von Geld verdienen -, der andere ist in vielen Fällen ein Hobby, das leidenschaftlich gepflegt wird. Hauptberufliche Journalist/innen sind im Bereich Computerspiele - wie wohl auch in anderen Fachbereichen - nahe mit der jeweiligen Industrie in Kontakt, über die es eigentlich kritisch zu berichten gilt. Die großen Verlagshäuser sind konstant unter finanziellem Druck. Das Werk muss am Laufen gehalten, die Anzeigenkunden nicht vergrault werden. Dabei gerät das Machtgefüge schon gerne mal ins Wanken und neigt sich zugunsten der Industrie, die dann mal eben zum anderen Verlag geht, wenn man selbst für die wertvolle Titelgeschichte nicht genug Opfer, sprich: zahme Kritik, in Kauf nimmt.
Wird diese angespannte Lage zum Alltag, ist es nachvollziehbar, dass man langfristig einen stabilen Zustand durch gelebten Pragmatismus herstellt. Dabei manifestiert sich dann die eigene Wahrnehmung: Die Leserschaft will in erster Linie klare Infos und zugängliche Unterhaltung, die Werbekunden gut überblickbare Magazininhalte und eine unkomplizierte Sprache. All das, woran sich unabhängige Blogger/innen stoßen, ist für Journalist/innen größerer Verlage bloß ein theoretischer Luxus, der als unerreichbar gilt. Da wirkt das Einfordern von mehr Unabhängigkeit natürlich schnell mal überheblich und weltfremd. Kein Wunder also, dass viele Verlagsangestellte nach einigen Jahren dann zur "Gegenseite" wechseln: in die Spieleindustrie, oft in die PR. Rainer Sigl, mit seinen 39 Jahren ein alter Hase in der Riege der deutschsprachigen Spiele-Autor/innen, dazu:
"Die meisten werden so mit Anfang 30 von der Industrie abgeworben. Die sitzen dann nicht mehr als Journalisten in den Redaktionen sondern in der PR der großen Games-Publisher. Das ist so eine 'revolving door policy', diese Schwingtür, wo zwischen Industrie und Journalismus ein seltsamer Austausch herrscht. Das ist schon sehr verknüpft im deutschen Sprachraum. Das ist wohl auch der Grund, wieso es so ist, dass in der nicht-kommerziellen Games-Blog-Welt ein anderer Journalismus herrscht als in der anderen. Er hat mit der Industrie weniger am Hut."
FM4 Interview Podcast: Rainer Sigl und Joe Köller im Gespräch mit Robert Glashüttner
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