Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Acht Anfänge "

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

5. 6. 2013 - 13:40

Acht Anfänge

Der Supermarkt ist der Anfang vom Ende: Susanne Schedel erzählt von angepassten Menschen in gewohnter Umgebung. Nicht ohne Spannung.

Auf einen Debütroman folgt in der Idealvorstellung des Literaturbetriebes der zweite Roman. Oder halt zumindest ein Erzählband, um einen Zeitpuffer zwischen die große Form zu setzen. Susanne Schedels erste Veröffentlichung aber war ein Erzählband, "Schattenräume". Und auch ihr zweites Werk ist ein Erzählband. Dabei könnte jede der acht Geschichten ein Auszug oder der Anfang eines Romans sein. Derart unterhaltend eröffnet Schedel die Leben ganz gewöhnlicher Menschen, die plötzlich - jede und jeder für sich - einem bestimmten Drang verfallen.

"Wer soll denn das anziehen, bitteschön" von Susanne Schedel ist vor Kurzem im Rowohlt Verlag erschienen. Leseprobe.

"Wer soll denn das anziehen, bitteschön" ist der Titel und dabei mehr Vorwurf als Frage. Das Bitteschön ist kursiv gesetzt, als käme es direkt aus dem Mund eines Erziehungsberechtigten. Susanne Schedel ist 1973 geboren. Wertende Blicke sind zudem nicht ihr Stil. Nicht zuletzt hat sie die Personen in diesen acht Geschichten erfunden.

Buchcover zu Susanne Schedels Erzählband zeigt eine Frau in altmodischem Blümchenkleid, die nach oben schaut und sich mit Hand an Hals fasst.

Rowohlt Verlag GmbH

Und die verfügen über ein Innenleben, das sich erst in den Alltag ausbreitet. Es könnten Emanzipationsbewegungen sein, doch wie die Frauen und die wenigen männlichen Hauptfiguren den Dingen nachgehen, die sie reizen, das passiert ihnen viel mehr als dass es geplant wäre. Darin sind die Geschichten besonders. Es geht um kleine Spinnereien und größere Verrücktheiten gewöhnlicher Leute, um die "Common People" wie von Pulp und in den Supermarkt müssen die auch.

"Nach jeder Fahrt zum Supermarkt hockte sie mit fest geschlossenen Augen auf dem Sofa und ging die Strecke in allen Einzelheiten durch. Sie musste sicher sein, dass sie niemanden überfahren und blutüberströmt am Straßenrand liegengelassen hatte."

2001 hat Susanne Schedel beim Bachmannpreislesen in Klagenfurt teilgenommen. Wenig später erschien ihr Debüt "Schattenräume", das nur noch antiquarisch erhältlich ist.
Zum Vormerken für dieses Jahr: Die Tage der deutschsprachigen Literatur finden von 3. bis 7. Juli 2013 in Klagenfurt statt.

Die Angstneurose einer Bankangestellten wird mit einem Aufenthalt in einer Psychiatrie für beendet erklärt. Andere verhalten sich weiterhin nach außen hin unauffällig oder gar überangepasst. Wie Adrian, ein Student, der sich zunehmend von seinem Professor vereinnahmen lässt, der ihn zur wissenschaftlichen Hilfskraft auserwählt hat. Schedels Figuren erreichen noch nicht mal den Status von Anti-Helden. Dennoch tragen sie eine Spannung in sich, der man sich nach einigen Seiten schwer entziehen will. Zu klar ist die Sprache und zu unaufdringlich reihen sich bestens skizzierte Augenblicke an Stimmungsbeschreibungen. Zu sehr setzt man darauf, dass diese Unberechenbarkeit dieser Personen, mit der man anfangs nicht gerechnet hatte, überschwappt.

"Ich setzte mich in Cafés, um unter Aufsicht zu sein", heißt es von einer arbeitslos gemeldeten Grafikdesignerin. Die Fiktion bleibt bei Schedel stets im Rahmen der normalen Mittelschicht, die in Zentraleuropa meist nicht weiter auffällt. In der Mitte der Gesellschaft und in ein solides Umfeld eingebettet, wie es in Zeitungsmeldungen gern beschrieben wird, verhalten sich die Figuren so, wie es von ihnen erwartet wird. Doch irgendwann erfordert diese Anpassung große Anstrengung. Insgeheim wünscht man sich Eskalation. Aber Susanne Schedel hat ihren Figuren einen Rahmen gesteckt. Als hätte sie der Glücksspielfreudigen alten Frau Alma und den schönen Zwillingen, der Modestudentin und dem vereinsamten Ehepaar beim Schreiben zugeschaut und im entscheidenden Moment gemahnt: Bis hierhin, nicht weiter. Nicht über die Handlungsstränge schlagen.