Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Chasing the Dream"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

4. 6. 2013 - 17:30

Chasing the Dream

"Strange Pleasures": Gar nicht so seltsame Vergnügen und elektronische Sehnsuchtsmusik mit dem zweiten Album der Still Corners.

Wäre man ein ein bisschen übelmeinender Mensch und vielleicht ausschließlich am ständigen Fortschritt interessiert, dann könnte man eventuell sagen, dass Still Corners aus London eine Band ist, die immer einen Hauch zu spät kommt - das aber sehr gut macht.

Mit ihrem auf Sub Pop veröffentlichten Debütalbum namens „Creatures of an Hour" haben Tessa Murray am Gesang und Produzent und Multiinstrumentalist Greg Hughes an quasi allem anderen vor zwei Jahren noch einen schön verhuschten Dreampop mit Orgel praktiziert. Das leierte weihevoll, schwelgte und roch eher nach Wüste und US-amerikanischen Südstaaten, denn modern pulsierender englischer Großstadt.

Die Platte war im besten Sinne bezaubernd, konnte aber nie ganz an ähnlich gelagerte Bands wie Beach House oder - hundert Jahre davor - Mazzy Star, sozusagen die Säulenheiligen der in Tiefblau getränkten Sehnsuchtsmusik in Slow-Motion – heranreichen oder deren subtiles Brodeln erzeugen. Eine Sonnenblume ins Haar stecken, sich auf Heuballen räkeln und gemeinsam mit lieben Menschen die Melancholie ein erhebendes Gefühl sein lassen, das muss manchmal genügen.

Still Corners

Chona Kasinger

Still Corners - Schick unterwegs in die Zukunft von vor drei Jahren

Auf „Strange Pleasures“, dem vor Kurzem erschienenen neuen Album der Still Corners, hat sich der Sound jetzt leicht, aber doch entscheidend verschoben. Stärker ist heute der Einfluss der Elektronik und der Synthesizer. Noch weniger als vor zwei Jahren klingen die Still Corners heute nach einer echten "Band", vielmehr meint man es hier mit einem Produzenten-Duo an seinen Maschinen zu tun zu haben. Auch wenn da und dort nach wie vor eine sacht gezupfte Gitarre auftaucht oder ein leiser Country-Twang zu erahnen ist, hat hier die Kälte der Geräte Einzug gehalten.

„Strange Pleasures“ steht im Zeichen von zerdehnter Düster-Disco, hier gibt es schwermütige Soundtracks für einsame Fahrten über die Highways der Zukunft zu hören. Überdeutlich spricht hier – wieder einmal - der Geist des Neo-Noir-Gassenhauers "Drive" mit Ryan Gosling aus dieser Platte. Die Welt einer Band wie den Chromatics und insgesamt die ganze Ästhetik einer vor Ennui müde gewordenen Discokugel ihres Labels Italians Do It Better wird hier noch einmal in sauber geformte Songs gegossen und in schicke Folie verpackt.

Still Corners Album Cover

Still Corners

"Strange Pleasures" von den Still Corners ist bereits bei Sub Pop Records erschienen.

Ganz plakativ nennen sich die Stücke hier "The Trip" oder, noch besser, "Midnight Drive" - ein Stück, dem das seltsame Kunststück gelingt, gleichzeitig das formelhafteste (es scheint sich tatsächlich für die nächste Compilation von Italians Do It Better empfehlen zu wollen) wie auch das beste auf der Platte zu sein. Es ist überdeutlich, was diese Musik will: Hier wird das Verlangen vertont, das Sich-Strecken, die coole Flucht aus einer langweiligen Welt. Man raucht Zigaretten, trägt Sonnenbrille und gleitet in einem alten Sportwagen durch die Nacht. Wenn in der großen, blinkenden Stadt keine Liebe mehr zu finden ist, dann retten wir uns eben in die Pose. Nebenbei beschwören die Still Corners dann auch immer wieder die spukhafte Atmosphäre eines guten, alten David-Lynch-Films oder huldigen dem grellen Molloch Berlin als sündigem Tempel des Hedonismus. Ernsthaft, ganz ernsthaft heißen hier die Songs beispielsweise "Berlin Lovers" oder "Beat City".

Man merkt schon: Hier wird hart mit Klischees hantiert. Musiken imitiert, die den Zenith der Hippness schon vor gut zwei Jahren überschritten haben. Aber genau darum scheint es den Still Corners zu gehen: Die Musik, die Kunst, die Liebe und das Leben als schöne, glatte Oberfläche zu begreifen. Alles funkelt wunderbar und ist herrlich anzuschauen, dahinter herrscht Leere und Ödnis.