Erstellt am: 4. 6. 2013 - 11:30 Uhr
Schlüsselwort Weltall
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„Flatscreen“ ist das Buch, das man dem besten Freund gern zum Geburtstag schenken mag, aber im entscheidenden Moment, Monate später, ist einem dann der Titel entfallen. Also am besten jetzt schon mal aufschreiben, ich meine das nicht vorlaut, sondern mich grenzenlos unterwürfig andienend, oder vielleicht auch ein bisschen Sri Chinmoy-artig missionierend (Bild 7!). Kleiner Exkurs: Sri Chinmoy ist jener Guru, von dem sie in der Ramschkette mit dem rosa Logo Ansichtskarten verchecken (und in echt gehört ja auch die gesamte Ramschkette mehr oder weniger der Sri Chinmoy-"Bewegung"). Solche kleinen Sidesteps und Randnotizen sind in "Flatscreen" übrigens an der Tagesordnung. Nur sind sie zehntausend Mal brachialer zugespitzt als hier bei mir, fließen über vor Frechheit und überhaupt erklärt einem Autor Adam Wilson alle drei Zeilen auf eine neue, schöne Art, wie die Welt funktioniert.
Metrolit
Aber jetzt endlich zum Inhalt: Eli Schwartz ist ein junger Mann, er lebt an der amerikanischen Ostküste, und er führt dort im Kreise seiner Familie (oder was davon übrig ist) ein ziemlich versifftes Leben. Ich hab' mir beim Lesen total schwer getan, weil man das Buch nach jeder Seite kurz weglegen will, weil so viel lustig und wahrhaftig zugleich, dass man am liebsten zurückblättern möchte, um den gerade erlebten Gehirnkick erneut zu empfangen! Zum Beispiel: In dem Haus, wo dieser Eli Schwartz lebt, geht's in jeder Hinsicht zur Sache. Der Vater hat die Familie verlassen, Geld ist noch da, allerdings muss das Haus verkauft werden. Kurz bevor die späteren Käufer – ein gewisser Seymour Kahn plus Anhang – zur Besichtigung herbeiwanken, beschreibt Eli die Lage so: "Tatsächlich erwartete ich gar nichts, weil Mom mir nicht gesagt hatte, dass sie kommen würden. Wir redeten nicht miteinander. Sie lag meist auf der Couch vor Anker, nippte Chardonnay, strickte einen endlosen Schal, schluchzte weingummigroße Tränen in ihre rosa Fleece-Kuscheldecke. Ich konnte mit ihrem Schmerz nicht umgehen, nicht der Mann sein, der alles in Ordnung bringt."
Zu diesem Zeitpunkt findet man die Gedanken von Eli Schwartz vielleicht unterhaltsam, komisch und aber nicht besonders tief gehend. Aber dann: "Ich wollte dieser Mann sein – ihren besiegten Körper halten, während ein televisionärer Sonnenaufgang uns gemeinsam Hoffnung machte – , doch ich wusste nicht, wie ich ihr nahe kommen sollte. Alles machte mir eine Scheißangst." Da sind sie, die grenzdebilen, glamourösen Momentaufnahmen, Zeugnis von Elis tristem Alltag, der nach Ankunft von Seymour Kahn ordentliche Kapriolen schlagen wird.
Noch eine herausragende Qualität von "Flatscreen": Es ist so ein Buch, das man im schlimmsten Prüfungsstress zwischendurch am Klo lesen kann, um sich wenigstens zwei Sekunden am Tag auszuklinken – aber man kann genauso gut einen wilden Abend lang in Eli Schwartz' Leben eintauchen und dann völlig liebestrunken ob so krasser Gewandtheit in den Schlaf sinken. Sollte ich vielleicht mal wieder machen, statt hier vor dem Flatscreen zu sitzen, hahaha. Ich, die ich jetzt noch eine lustige Stelle, die ich vorher unterstrichen hatte, einbauen wollte, und auf der Suche nach dem enthaltenen Schlüsselwort "Weltall" mit den Fingern automatisch die Strg+F-Bewegung gemacht habe. Erbärmlich wie Seymour Kahn, eben jenem gestörten Ex-Filmstar im Rollstuhl, der bei Eli und seiner Familie einzieht:
"Fernsehen. Das ist der neue Film. Oder das alte Internet. Der kleine Bildschirm wird immer größer. Bald werden sie meinen Schwanz ins Weltall runterladen."