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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

4. 6. 2013 - 12:27

"Erfolg ist zum Scheißen"

Gelatin eröffnen ihre neue Ausstellung "Loch" im 21er Haus. Und sie wissen: Kunst hat nichts mit Kompromiss zu tun. Ein Einblick in die Ausstellung und ein Interview mit den Kunstanarchisten.

Gelatin: "LOCH"
21er Haus, Wien

"Jeden Tag Gelatin":
Di., 04.06.2013 -
So., 09.06.2013

Das Ticket für die Tage von 5. bis 9. Juni 2013 ist um 12,- Euro erhältlich.

Die Ausstellung ist vom 12. Juni bis 29. September zu sehen.

Sie haben einen überdimensionalen pinken Strickhasen auf eine italienische Alm verfrachtet. Sie haben eine Hochschaubahn in eine Galerie hinein gebaut. Um ihr Kunstwerk "Weltwunder" bei der Expo 2000 sehen zu können, musste man in einen Tümpel hüpfen und durch einen drei Meter langen Schacht durchtauchen - die Kunst von Gelatin ist schön durchgeknallt. Diese Woche eröffnen Gelatin im 21er Haus in Wien ihre Ausstellung "Loch" und wie immer hat das mit faden Bildern an der Wand wenig zu tun.

Styroporblock

Natascha Unkart

Das ist kein riesiger Würfelzucker, sondern nur Styropor!

Ein haushoher, massiver Styroporblock wartet aktuell im Herz des 21er Hauses darauf, ausgeschlachtet zu werden. "Das schaut doch aus wie ein riesengroßer Würfelzucker, nicht wahr?", witzelt Gelatin-Mitglied Wolfgang Gantner im Interview. Bis Sonntag wird die Künstlergruppe fünf Tage non stop mit Brotmessern, Bohrmaschinen, Heißdraht und "mit bloßen Händen wie Maulwürfe" Löcher in den Block wühlen. Diese Aushöhlungen werden als Negativformen genutzt und mit Gips ausgegossen, während die Künstler immer tiefer in ihrem Kubus, wie Minenarbeiter, vordringen. Und dabei entstandenen Plastiken werden dann im Raum aufgestellt.

Damit das einfacher geht, werden Stangen in den flüssigen Gips gesteckt. "Wenn der Gips hart ist, sehen die Formen aus wie große Lutscher". Klingt nach einem wahrgewordenen Kindheitstraum. Und nein, es werden natürlich keine Plastikplanen zum Schutz des musealen Raums auf den Boden gelegt. Und wir wissen alle: Styroporflankerl wird man nie wieder los. Gipsgatsch auch nicht. Kaum frisch eröffnet wird im 21er Haus also gleich ordentlich herumgesaut. Gut so.

Passend zum Happening spielen 30 Freunde & Musik-Kapazunder aus aller Welt wie Didi Kern und Philipp Quehenberger, Mundi, Lukas Lauermann, Andrew W.K. und Ágústa Eva Erlendsdóttir Musik. Nicht zu vergessen die Köche und der Putztrupp. Bier gibts auch. Jeden Tag von 14 bis 20 Uhr. Es gibt übrigens eine Art "Festivalpass" im 21er Haus zu erstehen, damit kann man sich den Wahnsinn täglich geben. Nicht einen Tag sollte man missen. Was genau am Ende herauskommen wird und wie das Endprodukt ihres Tuns aussehen wird, können die Künstler übrigens selbst noch nicht sagen. Man darf sich überraschen lassen. 16 Tonnen Gips stehen jedenfalls bereit.



Gelatin - Loch, Pressekonferenz

(v.l.n.r) Florian Reither, Ali Janka, Tobias Urban, Wolfgang Gantner

Natascha Unkart

Haben gut lachen: Florian Reither, Ali Janka, Tobias Urban, Wolfgang Gantner

Nachdem Gelatin schon seit 20 Jahren existieren, war es aber auch mal Zeit für die Herren, Rede und Antwort zu stehen. Kurz vor der Eröffnung hab ich mir Gelatin zum Interview geschnappt.

Im Interview mit....Gelatin

Der eigenen Sage nach, haben sich die vier von Gelatin im Sommercamp kennen gelernt. 1993 haben sie ihre Kunstgruppe "Gelatin" gegründet.
2005 gab es dann die verwirrende Umbennenung in "Gelitin".

Jetzt also wieder "Gelatin". Oder doch "Gelitin"? Wer weiterhin "Gelitin" sagen will, dem sind sie auch nicht böse, immerhin lautet ihre Website auch noch auf "Gelitin".

Wenn es nach Mama und Papa gegangen wäre, welchen Job hättet ihr dann eigentlich heute?

Tobias Urban: Ich hätte Medizin studiert oder würde jetzt Verleger sein.

Florian Reiter: Meinen Eltern war das eigentlich egal was ich mach.

Wolfgang Gantner: Über den Papst hätten sie sich schon gefreut.

Ali Janka: Die Besiedelung von fernen Planeten vielleicht?

Florian Reiter: Dich wolltens los werden oder was? (lacht)

Was das dann eigentlich eine Freude, als sie mitbekommen haben, ihr seid Künstler? Oder doch ein herber Schlag?

Ali: Es war halt ein bisschen ihre Sorge, wenn ich keinen fremden Planeten besiedle, wie ich auf der Erde überleben soll!

Florian: Meine Mutter hat drei Wochen Durchfall gehabt.

Ali: Die hat dich ja in einer Ausstellung mit einer Erektion gesehen und hat gesagt; „Ich hab dich nicht als Pornostar geboren!“ Aber sie hat sich nachher sehr gefreut. Na im Endeffekt hatten alle unsere Eltern volles Verständnis.

Tobias: Meine Eltern sind da typisch Deutsch, die reagieren auf sowas nicht. Mein Vater hat gesagt," ich zahl' dir fünf Jahre Studium". Und nach fünf Jahren war der Geldhahn zugedreht. (lacht)

Hättet ihr euch einmal vorgestellt, dass ihr Künstler werdet UND auch noch davon leben könnt?

Tobias: Also ich hab mir gar nichts vorgestellt. Ich glaube, wenn du 20 bist, dann stellst du dir nicht unbedingt vor, wie das dann in 15 oder 20 Jahren ist.

Ali: Ich verstehe ja Geld noch immer nicht. Mein größter Schock war, als ich als Vierjähriger draufgekommen bin, dass meine Eltern für Wohnraum zahlen müssen. Das war entsetzlich.

Florian: Das ist aber auch schockierend.

Ali: Dass man für Raum zahlen muss – Wahnsinn.

Florian: Mir ist das egal wovon ich lebe, oder wie oder wo. Weil, man weiß ja nicht wovon man morgen lebt.

Wolfgang: Ich bin generell sehr vergesslich, das hilft auch im Leben.

Wieso seid ihr überhaupt Künstler geworden? Was war der Antrieb, die Motivation dahinter?

Tobias: Na wir sind ja die „Leftovers“, die die übrig geblieben sind. Alle anderen haben Jobs bekommen und wir sind die, die keinen Job gekriegt haben. Und wir haben dann nur weitergemacht mit dem, was wir halt gemacht haben.

Ali: Aber ich hab früh begriffen, dass ich eh nie einen normalen Job bekommen werde. Ich hab es teilweise versucht, aber…

Florian: Du warst doch in der Gurkenfabrik, oder? Wo war das?

Ali: Ach ja, die Cornichons..

Florian: Der Ali hat in einer französischen Gurkenfabrik gearbeitet.

Ali: Das war schon eine längere Ausbildung. Die dauerte ein paar Jahre. Jeden Tag Essiggurken einlegen. Aber ich hab dort immer Studien gemacht, von diesen Essiggurken. Und ich habe dort ziemlich viel gelernt. Viel über Textur und Oberflächen im Allgemeinen.

Florian: Einlegen, umbetten.

Ali: Einlegen, umbetten, einfüllen, ausfüllen.

Da schlägt sich die Brücke zu euren heutigen Arbeiten (lachen). Was denkt ihr, was ist das Rezept für euren Erfolg? Ihr seid ja doch mit dem was ihr macht relativ erfolgreich.

Florian: Was ist Erfolg? Das ist relativ. (Pause). Das kann man so nicht sagen.

Ali: Spät aufstehen, früh schlafen gehen.

Florian: Schlafen ist schon super. Ausgeschlafen sein ist super (gähnt). Zeit haben. Erfolg ist eigentlich zum Scheißen. Es gibt Leute, die wollen erfolgreich sein. Und dann sind sie immer unzufrieden, weil sie noch erfolgreicher sein wollen. Wozu? Man tut, was man tut. Manchmal hat man Glück und es funktioniert und manchmal ist es ein bisschen komplizierter, weil es niemand versteht. Dann ist deine Arbeit vielleicht nicht so erfolgreich, aber deswegen ist sie nicht schlechter. Erfolg hat ja nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun. Es gibt ja wahnsinnig schlechte Kunst, die erfolgreich ist.

Wolfgang: Oder wahnsinnig gute, die nicht erfolgreich ist. Für uns war immer wichtig, dass wir einfach tun können was und wie wir wollen. Und dass uns niemand dabei stört.

Ali: Das muss man sich halt erkämpfen.

pinker Hase

Gelatin

Seit 2005 liegt er einfach so da, der pinke Strickhase von Gelatin. Am 1.600 Meter hohen Colletto Fava, oberhalb des italienischen Ortes Artesina. Noch bis 2025!

Wie habt ihr euch eure Freiheiten erkämpft?

Florian: Man tut einfach. Es gibt schon Situationen, zum Beispiel in gewissen Institutionen, wo Leute sagen „das darf man nicht tun“. Und dann macht man es halt woanders. Es gibt ja genug Leute, mit denen man zusammenarbeiten kann. Aber wenn jemand an uns herantritt und sagt, er will mit uns eine Ausstellung machen, dann weiß derjenige ja, warum er das mit uns machen will und wie wir arbeiten. Und wenn er es nicht weiß, dann wissen wir, dass er es nicht weiß und dann arbeiten wir nicht mit ihm (lachen). Das ist für alle Beteiligten besser.

Habt ihr noch Geschichten im Kopf, wo sowas passiert ist?

Wolfgang: Ja, zum Beispiel der Vertrag mit dem Shanghai Art Museum: „Gelatin is not allowed to use edible garbage as construction material“. Das war ein sehr schöner Vertrag. Bitte kein essbarer Müll in der Ausstellung.

Tobias: Wenn Leute nicht wissen wie wir arbeiten, dann kommen sie meistens mit sehr komplizierten Verträgen daher. Da steht dann sowas drinnen.

Florian: Aber das ist total egal. Man kann das alles unterschreiben, weil das ist eh ein Blödsinn.

Tobias: Wir haben ja auch unterschrieben, dass wir das Wort „Louvre“ nicht mehr verwenden dürfen. Wir dürfen nicht hergehen und uns vor dem Louvre stellen uns sagen „Schau, der Louvre!“. Wir haben unterschrieben, dass wir das Wort nie mehr in den Mund nehmen. Jetzt kann uns der klagen auf viel Geld.

La Louvre. Le Louvre (alle lachen).

Inwiefern seid ihr denn kompromissbereit in euren Arbeiten? Müsst ihr auch mal Abstriche machen? Tut ihr das?

Tobias: Kunst hat nichts mit Kompromiss zu tun. Kunst hat für mich eine gewisse Logik und du folgst der Logik und dann wird es eine gute Arbeit. Aber das hat nichts mit Kompromissen zu tun.

Florian: Ja, das ist wahr. Wir sind untereinander auch nicht basisdemokratisch. Das führt zu nichts. Es hat bei uns alles eine gewisse Logik. Der letzte macht das Licht aus. Die frühe Transe fängt den Wurm.

Was würdet ihr jemanden raten, der Künstler werden will?

Florian: Just do what you want to do!

Ali: Der Kunstbereich ist ja relativ angenehm, weil du kannst ja alles machen und sagst dann, es ist Kunst.

Florian: Ja, aber deswegen ist es noch lang nicht gut. Was man wirklich jungen Leuten raten kann: Die sollen einfach das tun, was sie tun wollen. Was sie gern tun! Wenn du nämlich etwas tust, was du nicht gern tust und du zwingst dich dazu und überwindest dich und das ist dann erfolgreich, dann bist du total gefickt! Weil dann kommen nämlich die Leute und sagen „mach das nochmal!“. Und dann laden sie dich überall hin ein. Und dann musst du dich dein Leben lang zwingen, das zu tun, was du nicht tun willst. Das ist ganz schlimm.

Lesetipp: Gelatin im Art Magazin

Tobias: Besser ist es mit dem Zeug das du gerne machst nicht erfolgreich zu sein.

Florian: Tu was DU tun willst. Das passt dann schon.