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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

5. 6. 2013 - 11:35

Ein glorreicher Halunke

"Call of Juarez: Gunslinger" entführt Spieler in die Welt eines Wildwest-Münchhausens.

Techland/Ubisoft

Rauchende Colts, endlose Prärie, Eisenbahnraub, Duelle und Saloonschießereien: Es ist eigentlich überraschend, dass der Western als Setting in Games ein Schattendasein führt. Von Rockstars großem "Red Dead Redemption" abgesehen, haben Westernfans auf PC und Konsolen im Vergleich zu Legionen von Science-Fiction-, Military- und Fantasytiteln meist das Nachsehen. Auch die "Call of Juarez"-Reihe des polnischen Entwicklers Techland konnte diese Lücke aufgrund stark schwankender Qualität seit 2006 nur bedingt mit Wildwest-Romantik schließen.

Umso erfreulicher, dass mit deren viertem Teil nun eine veritable Überraschung gelingt: "Gunslinger", so viel vorab, ist nicht nur ein sehr gutes Western-Spiel geworden, sondern überzeugt bei schlanker Kürze durch eine handfeste Story (!), Metakommentar zu Setting und Medium (!!) und sogar eine ganze Menge Humor (!!!).

Auf den ersten Blick deutet wenig darauf hin: "Gunslinger" ist ein linearer Korridorshooter, wie man sie bis zum Überdruss von den Blockbustern Marke "Call of Duty" kennt - in relativ kurzen Schlauchlevels kämpft man sich mit wenigen Waffen gegen von allen Seiten auftauchende Bösewichte voran. Was den Western-Shooter jedoch von der ermüdend verbissenen militaristischen Konkurrenz abhebt, ist - ausgerechnet - die clevere Erzählweise: In der Gestalt des legendären Kopfgeldjägers Silas Greaves erleben wir dessen haarsträubende Abenteuer auf der Jagd nach den berühmtesten Outlaws des Wilden Westens mit - und zwar so, wie sie der mittlerweile alt und tattrig gewordene Trunkenbold im Saloon einem staunenden Publikum erzählt.

Techland/Ubisoft

Leichen pflastern seinen Weg

Dass es Silas, den wir als Erzähler aus dem Off hören, dabei mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nimmt, bekommen wir auf höchst originelle Weise im Spiel selbst zu spüren: Auf skeptisches Nachfragen der Zuhörer, ob er denn wirklich "hunderten" Indianern gegenübergestanden sei, räumt der alte Münchhausen schon mal ein, dass es vielleicht doch nur Dutzende gewesen sein könnten - und sofort reduzieren sich die auf uns einstürmenden Gegnermassen auf ein verträgliches Maß. An einer anderen Stelle sucht der Erzähler das stille Örtchen auf, und der Spieler findet sich, bis er von dort zurückkehrt, in einer loopenden Spielsequenz, in der gar nichts passiert, während wir aus dem Off hören, wie die immer skeptischer werdenden Zuhörer darüber rätseln, wie viel von Silas' Räuberpistolen denn nun der Wahrheit entsprechen mögen. An anderen Stellen im Spiel hat sich Silas, das Paradebeispiel des unzuverlässigen Erzählers, mit seinen Lügengeschichten gar derart in ausweglose Sackgassen manövriert, dass ihm nichts anderers übrigbleibt, als alles wie im Film zurückzuspulen und uns eine zweite, alternative Variante spielen zu lassen.

Kurzum: Seit dem originellen Erzähler in "Bastion" und dem experimentellen Dialog zwischen Spieler und Spiel in "The Stanley Parable" hat kaum ein Spiel intelligenter mit der Narration gespielt als "Gunslinger" - ein Kunstgriff, der aus einem soliden Shooter ein augenzwinkerndes Schelmenstück mit viel Humor, Action, aber auch überraschend subtilen Momenten werden lässt. Die als Geheimnisse in den Levels auffindbaren "Nuggets of Truth" stellen als historisch akkurate Hintergrundinfos zu den im Spiel auftretenden Western-Gestalten überdies die Liebe der Entwickler zu ihrem Stoff unter Beweis, denn trotz aller schelmischen Flunkerei verfällt "Gunslinger" im Gegensatz etwa zu "Blood Dragon" nie in Albernheit, sondern stellt in seinen ruhigeren Momenten auch ernstere Fragen.

Techland/Ubisoft

Für eine Handvoll Dollar

Abgesehen von der originellen Erzählweise versucht "Gunslinger" auch rein formal ein Experiment: Der Titel ist mit etwa fünf Stunden Spielzeit deutlich kürzer als andere Singleplayer-Spiele, will sich hierin aber mit dem freundlichen Preis von nur 15 Euro auch nicht mit anderen Vollpreistiteln messen. Die verhältnismäßige Kürze ist aber nicht nur wegen des sympathischen Preises zu verschmerzen, sondern auch, weil in diesen fünf Stunden dafür straff erzählt wird, kein spielerisches Füllmaterial zum Einsatz kommt und man kurz, aber dafür grandios unterhalten wird - besser hätte der Aufschrei des Kill Screen-Gründers Jamin Warren - "Games Are Too Damn Long" - nicht beherzigt werden können. Quasi als Draufgabe sorgt übrigens ein "Arcade"-Modus für Wiederspielbarkeit.

"Call of Juarez: Gunslinger" ist für XBox360, PS3 und PC Windows zum Preis von ca. 15 Euro erschienen.

Auch ich finde: Small is beautiful - und wer weiß, vielleicht liegt in dieser Kombination aus kürzerem, aber dafür leerlauffreiem Spiel und niedrigerem Preis sogar eine mögliche Strategie, um die notorisch freizeitknappen älteren Spieler bei der Stange zu halten, für die Werbeslogans der Marke "120 Stunden Spielspaß" gefährliche Drohungen sind?

"Call of Juarez: Gunslinger" ist auf jeden Fall eine gelungene Überraschung - es ist zu hoffen, dass sich diese Mischung aus solidem Gameplay und innovativer Narration bei kürzerer Spieldauer und niedrigerem Preis behaupten kann.