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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

2. 6. 2013 - 14:26

Besuch im Vergnügungsdistrikt

Springfestival, Samstag: Sóley, Light Asylum, DJ Hell und mehr. Viel mehr.

Springfestival 2013

Elektronische Beats beim Springfestival in Graz auf Radio FM4.

FM4 - Your Festivalradio fm4.orf.at/festivalradio

Glücklicherweise hat das Springfestival dieses Jahr wieder das Orpheum als Spielort ins Programm geholt. Die dort stattfindenden Konzerte müssen nicht den Notwendigkeiten des Dancefloors gehorchen, Weirderes und Abseitigeres kann ausprobiert werden - oder bloß auch schöne Musik zum Zuhören und zum Bedächtig-Dazu-Dreinschauen. So eine Musik macht am letzten Abend des Festivals zum Beispiel Sóley.

Die klassisch ausgebildete Komponistin und Musikerin Sóley kommt aus Island, ist für gewöhnlich auch in der Gruppe Seabear und mitunter auch als Unterstützung bei Sin Fang mit an Bord, und die Musik, die sie da so kunstfertig und behutsam zusammenbaut, ist Musik, die eben auch isländisch klingt.

Sóley

Sebastian Boettcher

Sóley

Ein leicht spinnerter, entrückter Folk, ein minimalistischer, orgelbetriebener Kammerpop, gleichsam intim im Schlafzimmerstudio entwickelt wie genauso von einer Aura behaftet, die sagt, dass diese wunderbare Musik wohl unter üblich isländischer Nachbarschaftshilfe und im weit verzweigten Kollektiv von mindestens 30 guten Menschen an winzig kleinen Ukulelen, Kazoos und Spielzeuginstrumenten ersonnen worden sein muss. Das sind aber natürlich alles nur Klischees. Traditionalismus trifft sich mit leiser Elektronik. Sóleys sehr gutes Debütalbum "We Sink" ist bei Morr Music erschienen, wo so eine Musik auch hingehört.

Strenge, Unterkühltheit, dunkle Poesie und der gut gelaunte Vortrag an Synthesizern, Schlagwerk und Gitarre ergänzen sich zu einer süßlich-giftigen Mischung. Die humoristischen Zwischenansagen konterkarieren das Schwermütige in der Musik: "This is mainly a Techno festival, right?" sagt Sóley, "maybe they booked the wrong Sóley. Maybe they should have booked DJ Sóley." Oder auch: "I have a special connection to Graz. I was made here - at least that's what Mom and Dad told me." Eine ganz und gar unaufdringliche Musik, in der Langatmigkeit bedeutet, dass man hier Zeit hat, um zu meditieren und an schöne Dinge zu denken. Eine ideale Startrampe für die Nacht.

Danach wird es im Orpheum energischer. Das New Yorker Duo Light Asylum war zugegebenermaßen in der jüngeren Vergangenheit schon das eine oder andere Mal live in Österreich zu erleben, was aber gar nichts macht, da man sich an den mit Schockwellen und Strom geladenen Performances, die Shannon Funchess und Bruno Coviello mit schöner Regelmäßigkeit so auf die Bühne zaubern, nur schwer sattsehen mag. Industrial- und Synthie-Pop, Darkwave und Dark Disco werden bei Light Asylum gleichzeitig mit großer Theatralik und schlank-pragmatischem Punk-Minimalismus aus den 80ern in die Gegenwart überführt.

Light Asylum

Tim Ertl

Light Asylum

Das im vergangenen Jahr erschienene Debütalbum von Light Asylum konnte die von einer frühen EP hochgekochten Erwartungen zwar nicht über ganze Länge erfüllen, in der Live-Darbietung können Light Asylum jedoch immer die Luft in Flammen setzten. Ihren Partner Coviello hat Frontfrau Funchess mittlerweile zwar gegen einen etwas blassen Erfüllungsgehilfen am Synthesizer ausgetauscht - großartig etwas ändern tut das nicht. Vor allem der Hit "Dark Allies" und die inbrünstige Ballade "A Certain Person" enttäuschen nie. Musik wie guter Schweiß.

Pleasuredome

Im Dom im Berg kann man zur gleichen Zeit die Wiederkehr von Patrick Pulsingers und Erdem Tunakans Projekt Sluts’n’Strings & 909 erfahren, dessen herrliches Album "Carrera" mittlerweile auch schon gut 16 Jahre auf dem Buckel hat, in Österreich zu Recht so etwas wie Legendenstatus besitzt und auch sehr gut gealtert ist.

Planningtorock

Julien Duval

Planningtorock

Sluts’n’Strings treten am Samstagabend im Rahmen einer mit dem feinen Motto "Welcome to the Pleasuredome" überschriebenen Party auf, deren Schirmherr der Münchner/Berliner/Jet-Set-Weltbürger DJ Hell ist. "Welcome to the Pleasuredome" – so nannte sich das 1984 erschienene, großartige Debütalbum der Leder-Fantasien und Synthiepop prickelnd zusammendenkenden englischen Band Frankie Goes To Hollywood, das die Ausschweifung, die Ekstase und allerlei Unkatholisches mit großer Geste feierte. Eine kleine Google-Recherche zu Frankie Goes to Hollywoods Feten-Hit "Relax" kann Freude bereiten. NSFW.

DJ Hell

Sebastian Boettcher

DJ Hell im Dom

Für eine von DJ Hell ausgerichtete Party eignet sich "Welcome to the Pleasuredome" also nur bestens: Hell war mit seinem Label International Deejay Gigolos (allein der Name) kurze Zeit der wichtigste Player einer "Electroclash" genannten Musik, die den Rock’n’Roll, den Punk-Gestus und den Dosenbier-Charme – bewusst überzeichnet und posenhaft – in die Tanzmusik und die Clubs gebracht hat.

Musik, die stets das Dreckige, das Muskulöse, Körperliche und Sexuelle (weniger das Erotische) stark herausgearbeitet und aufsehenerregende Verbindungen zwischen Techno, Postpunk, finsterer Electronic Body Music und dem Hedonismus verpflichteter Disco gestiftet hat. Zu schnell wurde diese für 5 Sekunden um die Jahrtausendwende spannende Musik zu cartoonhaft exaltiert und schematisch, ein kleines Revival kann man sich aber schon ausmalen.

So steht die Nacht im Dom gleichermaßen im Zeichen von Glam, Glitter und Champagnerlaune wie unter der Schirmhaft des Dunklen, Rohen und der strengen Peitsche. Bevor DJ Hell sich selbst endgültig hinters Pult schwingt, erscheint die nahezu immer fantastische Planningtorock - sie malt verspukte Geisterelektronik in die Nacht, die sich aus heruntergepitchtem Synthie-Pop, No Wave und ätherisch gehauchtem New Age speist.

Tänzerin

Sebastian Boettcher

Spiegelkugeltänzerin als Intro zu DJ Hell

Selbst wenn seine eigenen Platten manchmal nicht von allzu großem revolutionärem Charakter durchsetzt sind, ein großartiger DJ, der die Referenzkreise weit zieht, ist DJ Hell immer schon gewesen. Beim Springfestival legt der Mann Techno und Electro auf die Teller. Erhellend, mitreißend, brutal und gleichzeitig zerbrechlich gearbeitet, nur für Verrückte.

Das ppc wird von einer Abordnung des feinen Labels Freude Am Tanzen aus Jena bespielt, für den Abend in der Postgarage sind die österreichischen Kollektive Prasselbande und Etepetete verantwortlich: Dort sind zum Beispiel HVOB und die New Tower Generation aus Wien und Justin Martin aus San Francisco vom geil-verspulten Label Dirtybird am Start.

Für den letzten Tag des Springfestivals öffnet auch das Niesenberger ausnahmsweise noch einmal seine Türen: Drop the Lime aus New York und der beim Spring immer gern gesehene Drums of Death (neuerdings ohne Totenkopfgesichtsbemalung) aus Glasgow zerlegen dort mit ihren DJ-Skills den Dancefloor. Nach einem verlängerten Wochenende mit all seinem Gerave, mit sinnvollen Musikeindrücken und körperlicher Entäußerung mag man aber vielleicht auch einen Slogan, den Planningtorock zuvor bei ihrem Auftritt wieder und wieder auf die Leinwand hinter sich projiziert hat, als Merksatz mit nach Hause nehmen: "Misogyny Drop Dead".