Erstellt am: 2. 6. 2013 - 15:33 Uhr
Gemeinsam eine neue Welt erfinden, vielleicht Liebe
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4.
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Julia Holter ist eine der größten Künstlerinnen der Gegenwart. Wie oft kommt es vor, dass eine Musikerin oder ein Musiker mit einer Idee, mit einer komplett eigenen Identität in die Welt kommt, einem Sound, in dem die Revolution neue Blüten treibt, einem neuen Gesamtprogramm, das unerschütterlich die Hörgewohnheiten aufwühlt? Die in Los Angeles ansässige Musikerin Julia Holter entwickelt an den Verbindungslinien und an den Knotenpunkten zwischen Popmusik und so genannter ernsthafter Musik Klanggebilde von selten gehörter Brisanz.
Holter ist klassisch bestens ausgebildet, theoretisch mit allen Wassern gewaschen und durchaus auch der festen Überzeugung, dass es unabdinglich ist, sein Handwerk zu beherrschen. Mit Lo-Fi-Bastlern wie John Maus und Ariel Pink ist sie genauso auf Du und Du – die wiederum reimen sich ja aber bekanntlich auch nicht bloß irgendetwas ohne konzeptionelles Unterfutter daheim in ihren Schlafzimmern zusammen.
Julia Holter
Natürlich fliegt Julia Holter ihre Kunst nicht aus der Luft zu: Hier wird schon auf allerlei Gutes und Wichtiges und Bekanntes Bezug genommen. Julia Holter betreibt in ihrer Musik Flirts mit der elektronischen Avantgarde und mit Minimal Music, genauso wie mit Folk- und Dreampop-Songwriting und dem sakralen Kunstlied. Menschen wie Steve Reich, Robert Wyatt, Laurie Anderson, Meredith Monk oder Joni Mitchell sprechen aus den zwei bislang erschienen Alben von Julia Holter.
Nun endet die Musik von Holter aber eben nicht im Terror des guten Geschmacks und des geilen Wissens, sondern ist – bei aller Sorgfalt und Konzentriertheit in der Machart – von einer wunderlichen Leichtfüßigkeit geprägt und bewegt sich einer hyazinthfarbenen Seifenblase gleich tatsächlich neben den Kategorien.
Ihren nächsten Longplayer mit dem schönen Namen "Loud City Song" wird Holter im August erstmals beim englischen Label Domino Records veröffentlichen – mit Acts wie dem Animal Collective, Franz Ferdinand, Four Tet, Austra und vielen ähnlich guten Leuten mehr im Artist-Roster quasi die Königinnenklasse des avancierten Popmainstreams bzw. anders herum gedacht der angepoppten Avantgarde. Nach der gerade veröffentlichten Vorabsingle "World" zu schließen, wird Julia Holter mit "Loud City Song" dennoch keine Zugeständnisse an Catchiness und leichte Popnachvollziehbarkeit machen. "World" ist eines der kargsten, weirdesten und schönsten Stücke im Œuvre von Holter.
Der Song besteht aus kaum mehr als Holters gehauchter Stimme, deren ätherischer Dehnung und Schichtung, ein paar einsamen Tönen aus dem Klavier und langsam anschwellenden Bläsern und Streichern. Es gibt nur Strophen. Und wovon flüster-singt Julia Holter da so hübsch? Von Hüten und der Frage, warum sie denn so oft Hüte trägt, um unter der breiten Krempe die ihr fremd gewordene Stadt nicht mehr sehen zu müssen. Davon, wie Liebe gehen kann und wie man denn aus dieser blöden Welt wohl entkommen könnte. Davon, wie man neue Sphären erreicht, von Cellos und von Tennis.