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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

1. 6. 2013 - 14:53

Die deutsche Dominanz

In Portugal empfindet man ein deutsches Vormachtstreben nicht nur auf finanziellem, sondern auch auf kulturellem Gebiet.

Die vierte Woche in Lissabon brachte eine Abwechslung in den sonnigen Stipendiumsalltag: Eine Reise nach Porto zum Literaturfestival "Literatura em Viagem". Um die Literatur und das Reisen sollte es drei Tage lang gehen, und ich war eingeladen zum Autorengespräch.

Kathedrale von Porto

rösinger

Kathedrale von Porto

Im Panel "Europe in the Time of Cholera" wollte man über den Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden sprechen, über das etwaige Ende des europäischen Traums und der Frage nachgehen, ob der Mangel an Solidarität zwischen den Nationalstaaten eine Reaktion auf die Eurokrise oder ein tiefer gehendes kulturelles Problem sei.

Allerdings war ich neben vier portugiesischen Schriftstellern und einem rumänischen Poeten die einzige nordeuropäische Teilnehmerin des Panels! Würde man mich wegen Angela Merkels Europolitik in die Mangel nehmen - als Vertreterin der unbeliebten, weil angeblich mitleidlosen und arroganten Deutschen?

Erst am Reisetag wurde mir klar, dass das Festival LeV gar nicht in der zweitgrößten portugiesischen Stadt, sondern in dem Fischerort Matosinhos nahe Porto statt fand. Dort gab es gleich ein prima mehrgängiges Abendessen und endlich kam ich mal mit echten Portugiesen ins Gespräch - die letzten vier Wochen hatten sich meine menschlichen Kontakte auf die zu Verkäufern und Kellnern, auf "Uma galao por favor!" und "Obrigada!" beschränkt, und nun konnte ich mein unfreiwilliges Schweigegelübde endlich brechen.Meine Bedenken für Merkels Europolitik herhalten zu müssen, wurden schnell zerstreut, die aus Lissabon angereisten Journalistinnen erklärten, zwar wären Angela Merkel und ihre Politik nicht willkommen in Portugal, aber diese Ablehnung würde sich natürlich nicht gegen die deutsche Bevölkerung richten.

Lustig und nett waren die portugiesischen Schriftsteller, Theaterleute und Journalistinnen am Tisch, aber natürlich wurde ich als Deutsche die Zielscheibe von zahlreichen Witzen und Anspielungen. Lobte ich das gute Essen hieß es: "Klar, wird ja alles von Deutschland bezahlt!" Erzählte ich von den frühmorgendlichen Baumaßnahmen unter meinem Hostelzimmer: "Kann nicht sein, Portugiesen arbeiten doch nie, und wenn dann waren es welche aus Angola!"

Aber ich erfuhr auch Neues über Sitten und Gebräuche des Landes. So erklärte man mir, es sei eigentlich unhöflich zu einer Verabredung oder zum Essen pünktlich zu kommen. Das mache kein Mensch, nur die Deutschen! Obwohl, die Österreicher kämen sogar noch früher, sogar vor der verabredeten Zeit.

Spät am Abend begann die Eröffnungskonferenz, auf der mir plötzlich etwas Entscheidendes dämmerte: Die ganze Konferenz wird auf Portugiesisch abgehalten, ich selbst würde auf dem Panel englisch sprechen, alle anderen portugiesisch und zwar ohne Übersetzung.

casa oriental

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Kolonial oder postkolonial?

Eine Konferenz, bei der man kein Wort versteht, hat durchaus einen sinnlichen Reiz, aber als nach einer Stunde erst der Bürgermeister von Matosinhos dran war und über die Finanzpolitik sprach, wie mir mein Nebenmann erklärte, verließ ich die Konferenz um mir die kleine Stadt anzusehen. Auf der Hauptstraße um die Wallfahrtskirche Bom Jesus de Matosinhos wurde ein riesiges Volksfest, Kirmes, Kirchweih gleichzeitig gefeiert.

Man glaubte plötzlich in einen italienischen neorealistischen Spielfilm geraten zu sein. Karussells und Autoskooter, Dosenwurf, Krapfen, gegrillte Sardinen, grüne Suppe, Heiligenbilder, Schnitzereien, Süßigkeiten in sämtlichen Aggregatzuständen von staubtrocken bis fett-triefend. Die Kirche zum "guten Jesus" dem Schutzpatron der Fischer und Seeleute ist so dermaßen prachtvoll ausgestattet: der goldbeladene Altar samt mindestens zehn goldener Nebenaltäre, kunstvolle Schnitzereien, das alles mit den schönsten Blumen und Blüten verziert - man könnte glatt wieder katholisch werden!

goldbeladener altar

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Da auch am nächsten Tag alles auf Portugiesisch verhandelt wurde, konnte ich mir frei nehmen und fuhr mit dem Bus nach Porto.

Die Stadt Porto wirkt auf den ersten Blick düsterer als das helle Lissabon, Devotionalienhandlungen bestimmen das Straßenbild der mittelalterlichen Stadt. In Lissabon haben sie es ja schon arg mit den Kacheln (Azujelos) aber in Porto ist jedes Prunkgebäude, jeder Bahnhof kunstvoll verkachelt.

Auch die angeblich schönste Buchhandlung Europas oder gar der Welt, die Livraria Lello besuchte ich, allerdings wirkt der manieristisch-neugotische Baustil heutzutage doch leicht übertrieben und erinnert zu sehr an Harry-Potter-erfilmungen.

schöne Bücherei

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Am letzten Konferenztag hielt ich meinen Vortrag auf Englisch, was die anderen Teilnehmer zum Thema Nord-Südkonflikt gesagt hatten, erfuhr ich erst später: Es war wohl in vielen Texten um die deutsche Dominanz und Vorherrschaft gegangen, man wolle ein europäisches Europa und kein deutsches hatten die Autoren verkündet. Dass man Deutschland ein egoistisches Vormachtstreben nicht nur auf finanziellem sondern auch kulturellem Gebiet unterstellte, machte mich dann am Ende dieses schönen Ausflugs nach Matosinhos bei Porto doch ein wenig hilflos.