Erstellt am: 1. 6. 2013 - 13:32 Uhr
Katerstimmung
Vielleicht beginne ich mit einer kurzen Begegnung, die sich Mitte der Neunziger vor einem New Yorker Club abspielte. Knietief in der damals äußerst agilen Noiserockszene steckend, plauderte ich mit einigen Musikern und Labelbetreibern, während in dem finsteren Schuppen dahinter gerade eine Band heftigen Lärmterror fabrizierte. "That’s Todd", stellte mir ein Punkveteran einen seiner jungen Freunde vor, "he is a movie director and just did a documentary about GG Allin."
Wem dieser Name jetzt nichts sagt, der soll sich kurz eine Lache aus Blut, Erbrochenem und Kot imaginieren, in der sich ein nackter Sänger wälzt. Fasziniert von dem Regisseur, der dem hassverzerrten Bühnen- und Selbstzerstörer GG Allin auf Schritt und Tritt bis zu seinem Tod gefolgt war, der sich sozusagen mitten ins Kriegsgebiet des aktionistischen Rock’n’Roll gewagt hatte, ergab sich ein interessantes Gespräch.
Trotzdem habe ich den Filmemacher irgendwann vergessen, bis er plötzlich in einem eher unerwarteten Kontext auftauchte. Todd Phillips, so sein vollständiger Name, katapultierte sich Anfang der Nullerjahre mit derben Komödien wie "Roadtrip" oder "Old School" mitten ins Zentrum Hollywoods. Eine beachtliche Karriere für einen Ex-Undergroundtypen, die 2009 im sozial bewusst unverantwortlichen Kassenschlager "The Hangover" mündete, der zu einem Gegenwartsphänomen mutierte.
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Die dunklen Seiten der Maskulinität
Betrachtet man die gesamte Filmografie von Todd Phillips, zu der auch eine fast unerträglich anzusehende Doku über Frat-House-Rituale und den Horror von amerikanischen Studentenverbindungen gehört, ergibt sich jedenfalls ein schlüssiges Bild, wo Kategorien wie Subkultur und Mainstream schnell verschwimmen. Der mittlerweile 43-jährige Regisseur interessiert sich einfach für sämtliche dunklen Facetten der Maskulinität, für die rabenschwarzen Abgründe hinter Männerfreundschaften, für jene Momente, wo man glaubt, das Testosteron als förmlich beißenden Gestank riechen zu können.
Als ich den ersten "Hangover" Film damals lauthals lachend in einer Pressevorstellung gesehen habe, musste ich währenddessen immer an den jüngeren Todd Phillips denken, der mir in New York von GG Allin erzählte und an die Verzweiflung, die hinter den rabiaten, kaputten und sich an der Peinlichkeit erregenden Auszuckern des wildesten Punkrockers aller Zeiten steckte.
Während einige Kollegen den Erfolgsstreifen rund um den Totalabsturz einer Gruppe Mittelstandsmänner als biederes Brachial-Buddymovie abtaten, war mir völlig klar, worauf Phillips mit all dem überzogenem Bubenhumor wirklich hinauswollte. "The Hangover" zeigt – erst recht im legendären Nachspann – das nicht auszulöschende atavistische Urbedürfnis nach körperlicher Entäußerung, nach grenzenloser Ekstase und Selbstverlust, das hinter der Fassade unserer westlichen Zivilisation schlummert.
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Fear and Loathing in Las Vegas
Weil der Film aber einen Haufen Mittelstandstrottel in die offene Klinge einer nicht enden wollenden Las Vegas Nacht laufen lässt, hat das Auszucken und Versumpern so gar nichts von jener hypnotischen Befreiungsaura, die an Rockrevolutionäre, Ravepropheten oder Künstler denken lässt.
Todd Phillips setzt stattdessen auf eine irritierende Ambivalenz, die an die besseren Momente des "Vice"-Magazins erinnert, wo sich der irrationale Exzess mit dem bisweilen Erzreaktionären verbündet. Plötzlich, notierte damals ein Kritiker sinngemäß, gehen Spießigkeit und Anarchie eine umwerfende Liaison miteinander ein.
Was bleibt nun Jahre später, nach einem dunkleren, härteren und inhaltlich redudantem zweiten Teil, von all der Grenzüberschreitung (zwischen Korrektheit und Lächerlichkeit, Links und Rechts, Gut und Böse) in "The Hangover III" übrig? Wenig bedauerlicherweise, außer einer Katerstimmung, die aber nicht aus einem Vollrausch resultiert.
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Verdrängung und Verweigerung
Phil (Bradley Cooper), Stu (Ed Helms) und Doug (Justin Bartha), unsere altbekannten Protagonisten, genießen nach dem Ende aller hinlänglich bekannten Komplikationen das Eheleben mit ihren Trophy Wifes. Etwaige ungute Souveniere wie thailändische Gesichtstattoos sind weggelasert, die dazugehörigen Erinnerungen verdrängt.
Nur der sanfte Psychopath Alan (Zach Galifianakis) fügt sich nicht in die Idylle ein, immer bizarrer werden seine autistisch anmutenden Ausbrüche, bis sie zuerst einer Giraffe und dann seinem Vater das Leben kosten. Ja, es wird gestorben in "The Hangover III", auch später im Film, viel Eindruck hinterlässt das aber nicht auf die Hauptfiguren.
Als sie den ewigen Verweigerer Alan gemeinsam in eine psychiatrische Klinik fahren wollen, werden die Männer von einem Wagen an den Straßenrand gedrängt. Ein Gangsterboss, von John Goodman auf Autopilot gespielt, schnappt sich ausgerechnet erneut den hübschen Doug und droht mit dessen Hinrichtung. Nur wenn das Wolfpack für den Ganoven einen alten Bekannten auftreibt und ausliefert, lautet die Drohung, wird ihr Kumpel verschont.
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Hangover ohne Hangover
Der berüchtigte Gesuchte trägt natürlich das grimassierende Gesicht von Ken Jeong und hört auf den Namen Mr. Chow. Der US-Komiker mit koreanischer Abstammung bekam, neben Zach Galifianakis, die Hauptverantwortung in Sachen Durchgeknalltheit in "The Hangover III" aufgebürdet. Aber während letzterer mit einer Art Naturverhuschtheit durch die Gegend läuft, als unschuldiger Engel des zärtlichen Wahnsinns, muss Chow diesmal sozusagen für die anderen Charaktere mitsaufen/ficken/koksen und auch killen.
Denn, wie bereits angedeutet: Das Wolfsrudel selbst hat in "The Hangover III" keinen Hangover mehr. Während Mr. Chow als Alibi-Karikatur der Dekadenz in ununterbrochenene Delirien taumelt und Kampfhühner mit Marschierpulver füttert, fallen mir bei Stu, Phil & Co. nicht mal Raucherszenen ein oder irgendein ausgelassener Bierkonsum.
Die positive Nachricht daran ist natürlich, dass Todd Phillips nicht noch ein drittes Mal die Erfolgsmasche des Originals kopiert. Die negativen News aber: Ohne die destruktive Wirkung einer Überdosis an Alkohol, lustigen Zuckerln oder promiskuitivem Sex, ohne Blackout und kurzfristige Hirntotheit wirkt die ganze Sache auf einmal komplett obsolet. Und stellenweise extrem langweilig.
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Nervtötendes Blockbuster-Entertainment
Gegen den einen unvergesslichen, unpackbar komischen und bitter nachvollziehbaren Moment, in dem die Jungs im ersten Teil in ihrer Hotelsuite verstrahlt aufwachen, muten die Actionszenarien, Verfolgungsjagden und das kriminelle Chaos, in das Todd Phillips seine Figuren diesmal stolpern lässt, einfach nur wie gängiges nervtötendes Blockbuster-Entertainment an.
Wenn Ulf Poschardt in einer ziemlich virtuos geschriebenen Rezension argumentiert, der Film sei ein Meisterwerk und würde den amerikanischen Traum zerschreddern, wirkt das für mich wie in der Restfetten geschrieben. Denn in Wahrheit erspart Todd Phillips, aus welchen Gründen auch immer, seinen Protagonisten diesmal die Kopfschmerz-Hölle, er vernarbt sie nicht weiter, wie es sich gehören würde, bis zum point of no return, wo die Rückkehr von der orgiastischen Selbstverschwendung ins kreuzbrave Eheleben unmöglich wird.
"The Hangover III" erzählt im Gegenteil von bürgerlicher Erlösung und Genesung. Den debilen Postcredits-Gag lasse ich nicht gelten und konstatiere ernüchtert: Wer das Wolfpack schon immer als fade Spießerrunde gesehen hat, behält diesmal leider recht.
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