Erstellt am: 31. 5. 2013 - 15:17 Uhr
Das coole Wissen
Springfestival 2013
Elektronische Beats beim Springfestival in Graz auf Radio FM4.
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Ob etwas U- oder E-Musik ist oder sein soll, lässt sich heutzutage oft einzig am Ort der Aufführung ablesen, daran, ob er bestuhlt ist oder nicht. Die Popmusik kommt ins Theater, die Klassik durchdringt den Techno. Wunderbar. Am zweiten Tag des Springfestivals in Graz ist glücklicherweise auch wieder Platz für Experimentelles, Weirdes und Musik zum Zuhören und nicht boß Bumm-Tschak zum Abhotten auf dem Dancefloor.

Tim Ertl
Der Berliner Sehnsuchtsboy Apparat führt am Donnerstag Abend im quasi bis an den Rand gefüllten Orpheum mit Band und echten Streichern seine Theaterarbeit "Krieg und Frieden" auf. Was auf Tonträger zwar recht schön ist und bedeutsam fließt und dröhnt, aber mit wenigen Ausnahmen doch recht deutlich hörbar eben schlicht begleitender Soundtrack zu einem Stück Schauspiel ist, gewinnnt in der Live-Darbietung an Imposanz und erzeugt fast schon mit den Händen angreifbares atmosphärisches Knistern im Auditorium.
Darauf folgt das Trio Aufgang, das stehend an zwei Flügeln, darauf montierten Synthesizern und Schlagzeug das klassische Piano mit der Clubkultur versöhnt. Das Electric Light Orchestra, der kosmische Funk von Parliament, Krautrock und House sind hier gute Freunde. Mitunter wirkt die ganze Angelegenheit ein wenig zu bemüht und auf dem Notenpapier in schwerer Stunde zusammenkonstruiert und hat soviel Sexiness wie die Moves eines Konservatoriumschülers auf seinem ersten Rave, aber ja, immerhin: Es "rockt".

Tim Ertl

Julien Duval
Ein echter Höhepunkt versteckt sich danach im Dom im Berg, wo an diesem Abend der immer gern gesehene Rotweinverkoster der Tanzmusik, Gilles Peterson, für die Programmierung zuständig gewesen ist. Die Band Gramme kennt leider kaum ein Mensch. Das englische Quartett hat vor fast 15 Jahren auf dem mittlerweile leider schon zu Grabe getragenen Label Output das herrliche Stück "Like U" veröffentlicht und damit fast unbemerkt die Musik vorweggenommen, die in den Nuller-Jahren dann Dance- oder Disco-Punk genannt werden sollte.
Die Musik von Gramme scheint Blaupause für den frühen Sound von DFA Records gewesen zu sein, die rohen Momente von The Rapture, die unterkühlten Wave-Epsioden einer Band wie The Juan MacLean. Nach langer Sendepause sind Gramme vor kurzem erst wieder aus der Versenkung aufgetaucht und haben mit "Fascination" ihren ersten Longplayer veröffentlicht. Er ist sehr gut. Gramme bauen hier an Drums, Bass, Gesang, Gitarre und ab und zu ein bisschen Synthie einen spröden, minimalistischen Funk, der ausdrücklich auf den eckig groovenden Konstruktionen von Bands wie ESG, A Certain Ratio oder des Tom Tom Clubs aus den frühen 80ern fußt.
Das ist nun nicht neu, hat aber im Falle von Gramme in seiner Konzentriertheit und Prägnanz ungeheure Durchschlagskraft. Hier muss getanzt werden, auch wenn man zuvor noch nie einen Ton von dieser komischen Band namens Gramme gehört hat. Ein elastisch-federnder Basslauf, ein warmer Dub, eine Kuhglocke.

Julien Duval

Julien Duval

Julien Duval
Auf Gramme folgen im Dom im Berg Gilles Peterson himself und Carl Craig, in der Postgarage serviert das Berliner Label Suol geschmeidig-suaven TechHouse, das spannendste Programm ist am Donnerstag jedoch im ppc zu erleben: Den kleinen Floor bespielen die guten Menschen von disko404 aus Graz, im Hauptraum haben Mouse on Mars ihr weitreichendes Kuratorenhändchen den Abend gestalten lassen.
Das Duo aus den elektronikgeschichtlich positiv schwer vorbelasteten Orten Köln/Düsseldorf verwaltet Vergangenheitsbewusstsein souverän und schlau, gleichzeitig aber auch mit der Aufgekratztheit eines Sechsjährigen, der gerade einen Chemie-Baukasten unter dem Weihnachtsbaum gefunden hat. Krautrock, hibbelige Elektronika, Dub, zärtlicher Breakcore, Jungle aus dem Kinderzimmer, Pop und die Melodien einer kaputtgegangenen Spieluhr - bei Mouse on Mars geht alles in einer vielstimmig singenden Klangwolke auf. Hier wird viel gewusst und in Spaß übersetzt.
Mouse on Mars haben auch Freunde und geschätzte Musiker geladen: Den elektronischen Alleinunterhalter Schlammpeitziger, das englische Trio Darkstar, das immer mehr zum Animal Collective des Postpoststep wird, die japanische Noise-Kapelle Devilman und den Technoabenteurer Errorsmith. Alles geht. Ein großer Abend, wenn auch mit drastischen Publikumsschwankungen. Zuviel los in der Stadt.