Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Streichholz und Vorurteil"

Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

31. 5. 2013 - 06:00

Streichholz und Vorurteil

Zum 31. Mai: Trotz Fortschritten sehen österreichische RaucherInnen in Sachen Gleichstellung nach wie vor noch Luft nach oben.

"Ich bin sicher schon auf über 1.000 Fotos drauf", seufzt Christoph. Durch die Pose, in der man ihn um diese Zeit des Tages für gewöhnlich erblicken kann, ist er tatsächlich einigermaßen exponiert: Zärtlich umschlungen um eine Marmorsäule im Eingangsbereich eines städtischen Museums lässt er seine Hände immer wieder gefühlvoll über die Oberfläche der steinernen Gebälkstütze gleiten. Es ist seine Kaffeepause. "Manche der ausgestellten Handschriften sind gerade erst mühselig über die letzten fünf Jahre hinweg restauriert worden, da werden's halt natürlich ein bissi hysterisch, wenn sie in einem der Flügel jemandem mit einer Tschick begegnen. Mich haben sie auch nur nach langem Hin und Her eingestellt." Und weil es kein designiertes Raucherkammerl für's Personal gibt, hat sich Christoph, der hier 30 Stunden die Woche als Aufpasser arbeitet, schließlich eine andere Beiläufigkeitsbeschäftigung gefunden und sich mit der Säule angefreundet. Dabei ist es ihm wichtig zu betonen, dass bei dieser Aktivität keine hormonelle Komponente im Spiel ist, sondern ihm die haptische Qualität des Pfeilers einfach am effizientesten dabei hilft, sich die Zeit zu vertreiben: "Ich bin kein Freak".

Ähnlich in Verlegenheit gebracht fühlt sich manchmal Ingeborg. Auf der Suche danach, "irgendwas zu tun", hat sie angefangen, Akkordeon zu spielen. Auch Ingeborg ist Raucherin und an einer relativ abgelegenen Tankstelle tätig. Einen designierten Raucherbereich gibt es auch hier nicht und noch dazu arbeitet sie allein, weswegen sie den Shop nicht einfach so unbeaufsichtigt lassen kann. "Vor 20 Jahren hat ein Kunde mal die Tanke halb abgefackelt. In all den 20 Jahren seitdem ist nichts mehr passiert, trotzdem ist rauchen immer noch ein absolutes No-Go." Das Akkordeonspielen gibt Ingeborg wenigstens etwas, an dem sie sich festhalten und ein wenig herumfuhrwerken kann. Ein Ohrenschmaus ist das, was sie da auf dem Instrument bisweilen produziert, aber deshalb, wie sie selbst bekennt, freilich noch nicht, schließlich ist ja auch mehr Frust als alles andere die Motivationskraft hinter ihren musischen Umtrieben.

Der Status Quo

Und Schicksale wie die von Christoph und Ingeborg sind keine Einzelfälle. Obwohl in der von der Regierung vor vier Jahren erlassenen Rauchergesetzgebung brachiale Selbstjustiz gegenüber Rauchern in öffentlichen Freiluftbereichen nicht mehr explizit als rechtlich billigbare Zivilmaßnahme empfohlen wird, und dank der neuen Richtlinien zum ersten Mal auch Gastronomiebetriebe TabakkonsumentInnen den Zugang nicht mehr grundsätzlich verwehren müssen, ist bei weitem noch nicht alles dufte. Wer sich zum Beispiel in Kreissälen, Bibliotheken, Chemielaboren, Raumschiffen und Inkubatoren eine Zigarette anzündet, riskiert nach wie vor seinen Rauswurf. Minderjährige RaucherInnen tappen oft darüber im Dunkeln, was für neue Sorten es gibt, weil das Inserieren für Tabakfirmen an Schulen verboten ist, und werden so in der Sachkundigkeit ihrer Konsumentenscheidungen beeinträchtigt. Und die Einstellung der Bevölkerung hinkt, wie das ja oft so ist, der Gesetzeslage nochmal um etliche Jahre nach. "Eine Frau mit Kindern, die im Park einen großen Bogen um dich macht, ein abweisender Bescheid vom Krankenhaus, dass sie deine Lunge nicht als mögliche Spenderlunge in Betracht ziehen, solche Sachen", umreißt Christoph das aktuelle Bild der heimlichen und nicht so heimlichen Marginalisierung von RaucherInnen in der Gesellschaft.

Jemand raucht

Albert Farkas

Ein Pionier

Im Club

Einmal die Woche treffen sich er und Ingeborg im Clubraum von smOK!, einem Verein, bei dem Zigaretten-Fans schrittweise lernen sollen, selbstbewusster in der Öffentlichkeit aufzutreten. Obmann des Vereins ist Älter Alshelmutschmidtmussmannichtwerden. Der Verein hat sich vor allem das Ziel an die Fahnen geheftet, zu erreichen, dass die Allgemeinbevölkerung sich endlich auf Augenhöhe mit den RaucherInnen auseinandersetzt, wie Älter meint: "Das, was Raucherinnen und Raucher am wenigsten von anderen Menschen wollen, ist Mitleid. Sie sind keine Opfer. Sie sind nicht krank. Der Hauptgrund, warum die meisten sich eine Zigarette anstecken, ist, dass es ihnen schmeckt und sie es so wollen. Weil es geil ist. Wer will, kann aufhören!"

Bei den Get-Togethers von smOK! nehmen sich RaucherInnen kein Blatt vor den Mund; sie nehmen es in den Mund, meistens zusammengerollt. Und schütten Asche auf das Haupt einer rückständigen, genussfeindlichen Gesellschaft. Einem weiteren Mitglied, Eward, stößt vor allem das übel auf, was ihm als Panikmache seitens selbsternannter Gesundsheitsapostel und ätzender Spielverderber erscheint: "Ich hab einen Kumpel, der hat keine private Pensionsvorsorge. Nie gehabt! Kann man von so jemandem denn behaupten, er würde an seine langfristige Zukunft denken?! Und außerdem, sorry, dass ich's dir auf diesem Weg mitteilen muss, sind wir früher oder später sowieso alle mal dahin! Auch die Nichtraucher! Wie willst du das widerlegen? Du kannst es nicht widerlegen. It's science." "Nicht zu vergessen, dass der Staat ohne die von uns ausgeschüttete Tabaksteuer pleite gehen würde!", wirft Älter ein, der auch die samstäglichen BSNLP-Kurse zur rhetorischen Selbstverteidigung leitet. "Außerdem wird's uns die EU eh letzten Endes wegnehmen, also kömma's jetzt auch genauso gut noch auskosten!", ruft wiederum ein anderer. Und "David Bowie ohne Tschick? No way!" eine Dritte.

Einer für alle

Wenigstens mit ihrem privaten Umfeld haben die Club-Mitglieder positivere Erfahrungen gemacht. Während es manchen von ihnen vor allem noch während der Schulzeit schwer gefallen ist, FreundInnen kennen zu lernen, schwappt den meisten nunmehr offenes Verständnis und Akzeptanz entgegen. Herdinand, selber Nichtraucher, ist ein so ein loyaler Freund. Gemeinsam mit Ingeborg und Edward macht er das Nachtleben unsicher, wann immer der Prüfungsstress ihm das erlaubt. Und dank des Rauchergesetzes ist die Auswahl hier so groß wie nie zuvor; ein spontan durchgeführter Eigen-Check ergibt: Immer mehr Restaurants und Cafés weisen RaucherInnenbereiche auf; oft sind sie sogar so situiert, dass sich der NichtraucherInnenbereich im vom Eingang am weitesten entfernten Teil befindet, sodass man gar nicht mehr durch ihn durch muss, auch die Toiletten sind häufig bequemerweise gleich an das RaucherInnenzimmer angebaut. Und gewisse Clubs sollen, wie es heißt, für Nikotineras und -os überhaupt ganz sturmfreie Bude bedeuten! Da bleibt auch jemandem wie Herdi ja fast gar keine andere Wahl: "Mit der Inge und dem Eddi würd ich überall hingehen. Was soll ich auch sonst tun? Wenn ich nicht mitgeh, gehen sie halt ohne mich hin. Und dann sitz ich allein zu Hause und werd depressiv. Nein danke."

Und der vergangene Freitag war für die Posse von Herdi dann überhaupt sowas wie der endgültige Beweis für ihren Zusammenhalt: "Da war mein 25er! Da haben wir natürlich fett abgefeuert; und obwohl außer der Inge und dem Eddi sonst niemand von uns Raucher ist, haben wir ihnen zu Liebe trotzdem in einem Raucherlokal gefeiert. Auch der Maso, obwohl der seit seiner Augeninfektion besonders empfindlich gegenüber Zigarettenrauch ist. Nachher hat er gesagt, es hat sich angefühlt, als ob ihm jemand Kren auf seine Netzhaut gerieben hätte!"

Und wenn es also auch noch ein weiter Weg ist und es noch ein wenig dauern könnte, bis ihre Sichtweise allgemeiner Konsens wird: Die RaucherInnen in Österreich schnuppern Morgenluft. Während alle um sie herum nur luftröhrenzuschnürenden Qualm schnuppern.