Erstellt am: 30. 5. 2013 - 15:14 Uhr
Wie Wir Performen Wollen
Springfestival 2013
Elektronische Beats beim Springfestival in Graz auf Radio FM4.
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Die Debatte darüber, was das denn heißen kann und soll, und manchmal auch muss, elektronische Musik im allerweitesten Sinne "live", also so richtig live live, aufzuführen, ist komischerweise immer noch nicht erkaltet. In struktureller Hinsicht kann ja alles sehr gut sein: Ein einsames Starren auf ein Powerbook auf weiter, leerer Bühne oder aber auch das Zusammenstellen einer echten Band, der Auftritt mit Triangel, Kleintierschau und Trapezartistin. Was gehen kann und wie man was möglicherweise definieren soll, kann man beim Eröffnungsabend des Springfestivals Graz in der Helmut-List-Halle sehr gut nachgrübeln.

Julien Duval
Die gewohnheitsmäßig groß aufgemachte Veranstaltung namens "Electronic Beats" setzt die Klammer weit und hat mit electronic Beats oft auch nur ganz am Rande zu tun. Das ist gut so. So gibt es im Rahmen dieser regelmäßg in unterschiedlicher Konstellation und an verschiedenen Orten stattfindenden Konzert- und Partyreihe häufig Bands zu erleben, die vielleicht einen Synthesizer im Programm haben oder ihren Sound auf Disco aufbauen. Alle Genrebezeichnungen und alle Zuschreibungen mögen geflutet werden. Das Spring eröffnet ein wohl mit Absicht weit von der öffentlichen Wahrnehmung von Techno entfernter Auftritt: Chilly Gonzales an seinem Solo-Piano. Der Grandseigneur im Bademantel, der Udo Jürgens der selbstsicher geschmackssicheren oberen Tranche der mittleren Subkultur.

Tim Ertl
Die Nacht beginnt bestuhlt und sehr lustig. Gonzales ist begnadeter Edutainer und "musical genius", wie er selbst sagt. Er spielt einen Walzer auf seinem Klavier und rappt darüber, er stellt dem Publikum Beethovens Fünfte in einer Bongo-Version vor. Chilly Gonzales fragt, ob denn nicht eine Coverversion von "Eye of the Tiger" erwünscht sei. Die Antwort ist erwartungsgemäß. Die Macht dieses Stückes Musik sei jedoch zu groß, meint er, und würde bei Aufführung seine eigene Kunst dramatisch in den Schatten stellen. In Ansätzen spielt er "Eye of the Tiger" dann natürlich trotzdem und hangelt sich so souverän von Gag zu Gag, einer Revue gleich von Nummer zu Nummer. Seine eigene Kunstfertigkeit und Virtuosität mogelt uns Gonzales durch die Hintertür unter dem Deckmantel des Humors ins Hinterstübchen.
In einer kurzen, gut beklatschten, schon auch Wahres ansprechenden und witzigen, aber ebenso ein wenig miefigen und rockspießigen Episode bringt Gonzales ein vermeintliches Dilemma von elektronischer Musik, ihrer Aufführung und der allgemeinen Verfügbarkeit ihrer Produktionsmittel auf den Punkt: Während er da so fingerfertig über die Tasten gleitet, drückt Gonzales beiläufig und scheinbar nicht sonderlich motiviert auf einem iPad herum. Ohne Mühe kitzelt er ein paar Beats und Soundeffekte aus dem Gerät, ohne Zwang und großen Plan: "I am remixing myself. Look mommy, I'm a remixer. I chose those sounds. I am a creator of electronic beats." Applaus, den Vorhang kann man sich sehr gut vorstellen.

Tim Ertl
Ungleich dunklere Töne schlägt der darauf folgende Auftritt von Rangleklods an, wenngleich auch hier das performative Element wichtiger Bestandteil ist. Jedoch unter ganz anderen Vorzeichen. Unter dem Namen Rangleklods hat der dänische Elektronikunterhalter Esben Andersen zwar vergangenes Jahr mit seinem Debütalbum "Beekeeper" einen sehr guten Tonträger veröffentlicht, in ganzer Pracht glänzen er und seine Computerliebeslieder dann aber schließlich, wenn der Künstler in Fleisch und Blut vor sein Publikum tritt.
Es geht hier ums Spüren. Die Musikerin Pernille Smith-Sivertsen, die Andersens Debütlongplayer schon stimmlich unterstützt hat, erweitert die ursprünglich als Solo-Unternehmen erdachte Idee Rangleklods an Gesang und Elektronik mittlerweile auch auf der Bühne zum Duo. An ihren Maschinen entwickeln die beiden so aus Postpunk aus dem Segment "Joy Division", 80er Dark-Wave, ein paar Tupfern Techno und auch aus der existenziell wie sexuell aufgeladenen Räudigkeit von Electroclash einen nass-kalten Synthie-Pop, der für die Disco ebenso taugt wie als Begleitmusik für die Momente der (eventuell gar selbstgewählten?) emotionalen Isolationshaft.
Dabei singt Esben Andersen, der Macht seiner sonoren Stimme das gesamte Erzgebirge zum Schmelzen bringen kann, Texte, in denen nicht selten das Körperliche eine gewichtige Rolle spielt. Sehr gut: Die neue Single "Control", die zwar "Control" heißt, so wie "Control" von Joy Division, sich im Gegensatz dazu aber als eher in bedächtigem Tempo aus den Geistern von Chamber-Pop und Witch House beschworene Ballade mitsamt manipulierten und geschichteten Stimmen und Stimmchen entpuppt.

Julien Duval
Das alles macht großen Spaß. Einerseits weil die tendenziell schon gar melancholische, mit Gemütsnebel betankte Musik von Rangleklods nicht in der Falle von leerem Pathos versumpft, sondern durch Andersens mal legeres, mal energetisches Gehampel und seine - wenn auch knappen - leicht humoristischen Zwischenansagen ("We are Rangleklods - You Stay Classy!") eine neue lebensbejahende Dimension erhält, die sagt, dass das Selbstmitleid mit Vorsicht bemessen sein möge; zum anderen weil die ins Ekstatische und Richtung Glitzerkugel greifenden Vocals von Smith-Sivertsen den Gefühlshaushalt der ganzen Angelegenheit in Positive ausbalancieren.
Ein Auftritt, leider etwas zu kurz, der wieder einmal zeigt, dass Tanzen und Weinen eine gute Kombination ist. Esben Andersen umkrallt sein Mikrofon, er tänzelt, fast schon torkelnd und schlägt sich zärtlich mit der Faust auf die Brust, an der Stelle, wo das Herz ist.

Tim Ertl
Während danach das Superstar-DJ-Team Mark Ronson und Riton weiterhin die Halle bespielt, öffnet sich drinnen in der Stadt in den Clubs wie jedes Jahr ein Füllhorn an Möglichkeiten. Ins ppc haben beispielsweise Binder & Krieglstein kuratierend ein schönes Abendprogramm hineingebaut. Dort zu sehen unter anderem: Sixtus Preiss, das Hamburger Duo Die Vögel und koenigleopold.
Vielleicht muss man es noch einmal dazusagen, dass es sich bei dem Duo koenigleopold nicht bloß um eine Gag-Kapelle und ein One-Trick-Pony (wo nachher das Fleisch in die Wurst kommt?) handelt. An Schlagzeug, Saxophon und Geräten mit Kabeln und Knöpfen dran bringen koenigleopold vertrackte Elektronik, Jazz und entrückten Humor in einen Einklang oder schon oft auch einen schönen Missklang, der nicht nur hierzulande nach Vergleichbarem sucht. Hier ist eine Band mit einer Idee. Eine Band, die eiert, groovet, schunkelt und in den Schanieren quietscht. Im Übrigen tragen sie Sonnenbrille im Club. Das muss man auch, wenn man stilvoll Saxophon spielen will.

Friedrich Simon Kugi
In der Postgarage drehen die zwei für gewöhnlich getrennt agierenden Wonderboys Jackmaster und Joy Orbison Rücken an Rücken (metaphorisch immerhin) ein gemeinsames DJ-Set in die Nacht und arbeiten so der einst erhofften und erwünschten Anyonymität und der universellen Gleicheit innerhalb der Dance Culture entgegen und bedienen das Bedürfnis nach starken Figuren, Identitäten und "Stars" so noch einmal ausdrücklich. Sie wissen was sie tun.

Sebastian Boettcher
Im kleinen Raum der Postgarage feiert in der Zwischenzeit Mykki Blanco mit dem Mikro in der Hand unter außerordentlichem Zuspruch die fließenden Übergänge zwischen Indentitäten und Lebensmodellen, zwischen MCing und Vogueing, zwischen HipHop, House, Block Party und Ballroom. Es sind nur weiche Zäune, Trap und Disco werden Schwestern. Auch wenn die Musik hier alles andere als egal ist, bezeichnet sich Mykki Blanco selbst nicht zuletzt als "Performance Artist".
Am Donnerstag zum Beispiel anschauen: Apparat, Aufgang, Gramme, Schlammpeitziger, Mouse on Mars.