Erstellt am: 30. 5. 2013 - 18:00 Uhr
Goodbye Gebrauchtspiele
Es ist nichts Neues mehr, dass Computer- und Videospiele sich immer öfter nur noch dort aufhalten, wo sie hingehören: im digitalen, nicht physischen Raum. Aber auch nach Jahrzehnten der Koexistenz mit Computern haben wir uns immer noch nicht so richtig an das Wesen des Digitalen gewöhnt: Ein ausgedruckter Text ist immer noch etwas anderes als eine Datei, eine DVD wirkt wertvoller als ein Webstream und Videospiele machen auf der guten alten Cartridge oder zumindest auf Disc mehr her als schnöder Download.
Dennoch dreht sich die Welt weiter, und wir sind derzeit gefangen zwischen der alten und der neuen Welt. Das alte Prinzip ist uns vertraut, wir kennen es gut. Wir können dabei unsere Medien in gewisser Weise angreifen, einem Freund/einer Freundin in die Hand drücken und ins Regal stellen. Bei rein digitaler Distribution sind wir weiterhin skeptisch, obwohl fast 15 Jahre nach Napster mittlerweile alles auffallend praktisch und professionell geworden ist. So praktisch und professionell, dass niemand einfach so vor Diensten wie Steam oder Spotify die Nase rümpfen kann. Einloggen, ein paar Klicks, ein Download, der wenige Minuten dauert - und schon ist das neue Game spielbereit. Oder: Einloggen, eine Suchabfrage, und schon tönt das neue Album von wem auch immer kristallklar in unsere Kopfhörer. Selbiges gilt für E-Books und Audio/Video on Demand. Nie waren Medien so bequem verfügbar und nutzbar wie heute.
Spotify
Nostalgische Games-Liebhaber/innen
Paradoxerweise ist es aber gerade im Bereich der Computer- und Videospiele so, dass das Loslassen vom physischen Medium für viele schmerzhafter zu sein scheint, als man annehmen könnte. Vinyl-Liebhaber/innen etwa können sich immer auf die tolle Haptik und den angeblich so viel weicheren Klang ausreden, um ihre Nostalgie zu befriedigen. Aber bei Games? Merchandising-Artikel mal beiseitegelassen, ist ein Spiel - weil digital - auf einem Trägermedium völlig ident wie als Download. Das Trägermedium ist sogar ein Umweg, um den jeweiligen Titel auf Computer oder Konsole zu bekommen, und fehleranfällig: Es gibt wohl niemanden, der noch nie mit zerkratzten Discs oder zickigen Laufwerken kämpfen musste. Und die Haptik? Eine DVD oder Blu-Ray-Disc liebt wohl niemand deshalb, weil sie so gut in der Hand liegt. Bei den alten robusten Cartridges, die man herzhaft in die Konsole schob, war das noch anders - aber diese Zeit ist lang vorbei. Die aktuellen Kärtchen, die man in den 3DS oder die Vita steckt, verliert man eher, als dass sie gut in der Hand liegen würden.
CC by flickr-User Seth W.
Digital ist besser
Seitdem viele große Games-Publisher ihre eigenen Serviceplattformen verwenden, über die sie ihre Games verkaufen und aktualisieren, und seitdem am PC - auch für ältere und Indie-Spiele - kaum noch ein Weg am Marktprimus Steam vorbeiführt, ist der Gebrauchtmarkt am PC quasi inexistent. Ältere Spiele sind ohne Probleme über den (Retro-)Games-Dienst GOG (Good Old Games) um meist faire bis gute Preise erhältlich. Es besteht also (außer, wenn man Sammler/in ist oder originell sein möchte) kein Grund mehr, auf Flohmärkten oder in Gebrauchtläden alte Computerspiele zu kaufen.
Bei klassischen Konsolenspielen sieht die Lage noch anders aus. Hier kann sich aufgrund der unterschiedlichen Systeme kein plattformübergreifender Marktplatz etablieren, der eine ähnlich starke Position wie Steam hat. Im Handel gekaufte Games auf Disc sind auf Konsole weiterhin der wichtigste Markt, auch weil große Downloads auf Konsolenfestplatten mit ihrem verhältnismäßig oft geringen Fassungsvermögen häufig unattraktiv sind. Für die Hersteller und Händler ist das gut, denn aus unerfindlichen Gründen war ein Game als physische Kopie für Konsole schon immer mehr wert als für PC. Das zieht sich im Gebrauchtmarkt fort: Ein PC-Game auf Disc und in der Verpackung ist oft schon nach einem Jahr quasi wertlos, ein Konsolenspiel ist länger attraktiv.
CC by flickr-User Ryan Finnie
Mit der neuen Konsolengeneration (PlayStation 4, Xbox One) soll aber nun auch abseits des PCs die nicht physische, an den jeweiligen User-Account gebundene Kopie bzw. Lizenz Einzug halten. Das ist unter anderem dem Wesen aktueller Computerspiele geschuldet. Ähnlich wie bei "normaler" Software geht es nicht mehr länger nur um ein Produkt, das, wenn es fertig ist, ausgeliefert wird, sondern um "Software as a Service". Fast alle neuen Games bieten einen Mehrspieler/innen-Modus oder sind überhaupt Onlinegames, was bedeutet: Die Entwicklerfirma bzw. der zuständige Vertrieb stellt Server, Fachpersonal und jede Menge technische Instandhaltung zur Verfügung, um die jeweilige Spielewelt am Laufen zu halten.
In der EU: Kopien, nicht Lizenzen
Weil bei den jeweiligen Konsolen immer ganz klar ein bestimmter Konzern dahintersteht, wird hier jede Entscheidung von den Konsumenten kritischer bewertet, als wenn sie in der vermeintlich offenen Welt des PC-Gaming stattfindet. Deshalb ist wohl die Aufregung derzeit so groß, wenn es darum geht, dass das gebrauchte Computerspiel immer mehr zu einer aussterbenden Art wird. Viele Gamer fühlen sich bevormundet, hätten sie doch das Recht darauf, ein gekauftes Spiel weiterzugeben oder weiterzuverkaufen. Tatsächlich hat vor knapp einem Jahr der Europäische Gerichtshof entschieden, dass es sich bei Computerspielen nicht um bloße Lizenzen, sondern tatsächliche Kopien handelt. Der Gebrauchtmarkt ist also zumindest keine rechtliche Grauzone, wie einige Konzerne uns gerne glaubhaft machen wollen.
Gegen die Gebrauchtmarkt-Haie
Es ist leicht, gegen die großen Unternehmen und für die Unabhängigkeit der Konsument/innen zu sein, also gebrauchte Computer- und Videospiele zu unterstützen. Denn Steam und Co. haben ja neben Praktikabilität nichts wirklich Sympathisches an sich: Die eigene Spielesammlung ist ausschließlich über das jeweilige Service nutzbar und unverrückbar auf einen bestimmten User-Account gebunden. Man ist der Betreiberfirma und ihren Befindlichkeiten ausgeliefert, die etwa aus dem einen oder anderen Grund (Hacking etc.) den eigenen Account für immer sperren könnte, was die ganze Spielesammlung verschwinden lassen würde.
Doch absurderweise ist der Ruf der Games-Gebrauchthändler schlechter als jener der Cloud-Dienst-Anbieter. In einem aktuellen Video des Games-Videojournalisten und E-Sport-Kommentators John Bain alias TotalBiscuit wird in einer knappen halben Stunde dem großen Ärger auf die Firmen GAME und GameStop Luft gemacht. Bain sagt, er sei selbst einmal bei GAME Mitarbeiter gewesen und wisse deshalb, wie stark das Unternehmen die Kund/innen zum Kauf von Gebrauchtspielen dränge.
Der Grund für den professionalisierten Gebrauchtmarkt liegt auf der Hand: Die oft hohe Gewinnspanne streift das Unternehmen alleine ein und muss sie nicht mit der Spielevertriebs- bzw. -herstellerfirma teilen, die ihrerseits kein Geld vom Gebrauchtmarkt sehen. Bain argumentiert, dass diese aggressive Bewerbung der gebrauchten Artikel bei anderen Medien wie Büchern und Filmen bei weitem nicht in diesem Ausmaß stattfinde bzw. der Gebrauchtmarkt hier allgemein keine so große Bedeutung habe. Ein zusätzliches Problem für die Computerspielhersteller und -vertriebe ist das Fehlen von zusätzlichen Einnahmequellen. Ein Film etwa wandert vom Kino übers Fernsehen zur DVD und der Streaming-Plattform und wieder zurück. Ein Computerspiel kann nur auf verschiedenen Systemen verkauft und billiger angepriesen werden.
Ende der privaten Weitergabe von Spielen
TotalBiscuit bringt valide Argumente gegen die instinktive Meinung vieler Gamer/innen, die meinen, der Gebrauchtmarkt sei unter allen Umständen zu schützen. Dennoch ist es etwas kurz gedacht, fragwürdige Geschäftsmethoden internationaler Ketten mit dem privaten, bequemen Weiterreichen eines Spiels an Freund/in oder Familienmitglied oder das Verkaufen von Games auf dem Flohmarkt oder im Onlineauktionshaus zu vergleichen. Partei ergreifen für eine der beiden Seiten ist schwer. Aber sich bedingungslos gegen die Haie auf dem Gebrauchtmarkt zu stellen, nur damit später Microsoft und Sony sagen können: "Die da sind schuld und haben euch euren geliebten Gebrauchtmarkt zerstört, und nicht wir!" - in so einer Position will sich später wohl auch niemand wiederfinden. Denn es sind nicht nur die Zeichen der Zeit und fiese Gebrauchthändler-Geschäftsmethoden daran schuld, dass alle Game-Downloads künftig exklusiv an bestimmte Onlineshops gebunden sein werden. Die großen Games-Konzerne hatten zwecks Userüberwachung und Pirateriekontrolle schon immer großes Interesse daran.