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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

29. 5. 2013 - 17:03

Ein kleines bisschen Grenzüberschreitung

Die heimischen Performance-Wüteriche Fuckhead feiern heute ihr 25tes-Jahr-Jubiläum im Wiener WUK. Aus diesem Anlass ein kleiner Überblick über Rock-Saubartel und Bühnen-Aktionisten.

Achtung: Dieser Text ist für Herzkranke, Kreislaufschwache, Schwangere sowie Personen die unter Schlaflosigkeit leiden, nur bedingt geeignet. Lesen auf eigene Gefahr.

Dr. Dietmar Bruckmayr ist nicht nur einer der scharfsinnigsten Intellektuellen innerhalb der österreichischen Musikszene. Der ganzkörpertätowierte Handelswissenschaftler dürfte auch zu den ganz wenigen Sängern gehören, die bereits auf Fleischerhaken aufgespießt einen Auftritt absolvierten.

Seit 1988 irrlichtert Bruckmayer mit seiner Performanceband Fuckhead und unzähligen wechselnden Besetzungen durch die Clubs des Landes. In den Anfangsjahren noch mehr in einem musikalischen Mix aus verqueren E-Musik-Zitaten, Freejazz-Terror und Industrial-Lärm verhaftet, mutierte die in Linz gegründete Combo immer mehr zur von abstrakten Drones untermalten Hardcore-Theatertruppe, die ihresgleichen sucht.

Während sich etwa auch die legendäre heimische Formation Drahdiwaberl vom dieser Tage wieder heiß diskutiertem Wiener Aktionismus inspirieren ließ, gleichzeitig aber im Kabarettrock verankert war, gehen Fuckhead viel weiter. Bruckmayr & Co. bremsen die brachiale Härte ihrer Auftritte ebenfalls mit Humor aus, die Grenzlinien sind aber nie eindeutig zu ziehen, die Gesellschaftskritik wird trotz offensiver Materialschlachten subtiler eingebaut.

Fuckhead

Peter Bittermann

Fuckhead

Kontrollierter Exzess

Fuckhead machen die Widersprüchlichkeit zum Programm. Da verwandeln sich die wutverzerrten Fratzen der Performer blitzschnell in debile Grimassen, werden groteske Körperhaltungen eingenommen, zwischendurch die eigenen Stücke mit gellendem "Hurra!" beklatscht.

Peinlichkeiten und Selbstblamage hebeln die eigene splitternackte Männerbündlerei sofort wieder aus, verschwitztes Machotum wird gleichzeitig auf die Spitze getrieben und entlarvt. Ein feinsäuberlich choreographierter Bühnenwahnsinn und kontrollierter Exzess, der den Gegenwarts-Irrsinn durch den Fleischwolf dreht und gleichzeitig, ganz simpel, Lust und Spaß bereiten kann.

Jedenfalls stehen die Akteure rund um den Herrn Doktor Bruckmayr in einer langen Tradition von inszenierter Bühnengewalt und martialischem Mummenschanz. Lässt man den Gift und Galle spuckenden Oberrevolteur Antonin Artaud und sein „Theater der Grausamkeit“ mal beiseite, liegen die Ursprünge von Destruktiv-Rock und On Stage-Saubarteleien in den sechziger Jahren.

Fuckhead

Peter Bittermann

Fuckhead

Gitarren sind zum Zertrümmern da

Als die Bombe des (nicht nur Wiener) Aktionismus damals in Galerien und auch auf öffentlichen Plätzen explodiert, demolieren die herum fliegenden Bruchstücke nicht bloß den Kunstbetrieb. Die Erschütterungen sind auch bis in die Musikszene spürbar. Schließlich spielen nicht wenige Kunststudenten auch in einer Band und umgekehrt.

Pete Townshend beispielsweise, Gitarrist der Modrabauken The Who, zeigt sich ziemlich beeindruckt von zerstörerischen Materialhappenings. Und schon bald bleibt bei auch bei Konzerten seiner Band kein Instrument mehr heil, das uralte Rockklischee vom Gitarrenzertrümmern ist geboren.

James Osterberg alias Iggy Pop von The Stooges geht noch weiter. Ende der Sechziger beginnt er bei Liveshows den eigenen Körper zu attackieren. Da werden schon mal Zigarettenstummel auf nackter Haut ausgedämpft, Glasscherben und Rasierklingen ritzen das Fleisch, Erdnussbutter wird in offene Wunden geschmiert.

Iggy Pop

Columbia/Sony

Entertainment through pain

Iggy bleibt nicht alleine, auf seinen Spuren löst eine Generation von Rockaktionisten die nächste ab. Die Ziele sind ähnlich wie die der österreichischen Ausnahmekünstlern Günter Brus oder Rudolf Schwarzkogler in deren besonders drastischen Phasen: Es geht um Grenzüberschreitung, Trance, Außer-sich-selbst-sein und Befreiung von psychischen und physischen Fesseln jeder Art. Wenigstens eine Konzertstunde lang. Nicht zu vergessen: ein kleines bisschen Vergnügen an Provokation und Tabubruch.

Throbbing Gristle, die (Mit-)Erfinder des Industrialgenres und ihr Mastermind Genesis P. Orridge, spielten bereits in der Aktionismus-Bewegung eine radikale Rolle, wo Porno-Images und gebrauchte Tampons zu ihren Requisiten gehörten. Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger experimentierten TG mit gefährlichen Frequenzen, Blut, Sperma, Piercings und Lärmangriffen frontal gegen das Publikum. Mit einem geschickt gestellten Kastrationsvideo wurden sie zum schaurigen Underground-Mythos.

Im Grenzbereich von Pop, Provokation und ritueller Kunst wildert Genesis P-Orridge auch mit seinem Nachfolgeprojekt Psychic TV. Heute ist einstige zornige junge Mann nicht nur altersmilde geworden. Genesis P-Orridge ließ sich zu einem Zwischenwesen umoperieren, einem Pandrogyn. Der Grund ist ein zutiefst romantischer. Aus unendlicher Liebe zu seiner jung verstorbenen Lebensgefährtin Jacqueline Breyer versucht er deren Körper zu imitieren, mit ihr wortwörtlich eins zu werden.

Throbbing Gristle

Industrial Records

Throbbing Gristle

Nitsch für Headbanger: Eine kleine Auswahl

Was die folgenden zehn, höchst subjektiv ausgewählten Bühnenmaniacs mit den Wiener Aktionisten gemeinsam haben: Manche sind tot, andere haben sich zur Ruhe gesetzt und viele verzichten live mittlerweile auf gefährliche Einlagen.

Prädikat „Schmerzhaft“: Michael Gira von den Swans. Günter Brus malt heute schöne Bilder, dieser Mann schrieb nach einem Einschnitt in der Karriere nur mehr düstere Folksongs. Vor fast zwei Dekaden aber stand Gira fast nackt, brüllend und schwitzend auf der Bühne und biss zu felsenharten Lärmwänden Mikrophonen fast die Köpfe ab. In jüngerer Zeit holte sich der gespenstische New Yorker aber Teile der Originalbesetzung der Swans wieder in der Proberaum zurück und feiert mit episch-heftigen Alben wie „The Seer“ ein gefeiertes Comeback.

Prädikat „Durchbohrend“: Gen von den Genitorturers. Die ganzkörpergepiercte Diva der Industrial-Metal-Szene macht in den Neunzigern der berüchtigten Jim-Rose-Side-Show Konkurrenz. Übrigens die einzige Frau in dieser Liste. Männer dürften es nötiger haben, sich in der Öffentlichkeit zu schneiden, zu besudeln und zu durchlöchern.

Prädikat „Verstörend“: Die Einstürzenden Neubauten. Nachdem Blixa Bargeld jahrelang nur mehr als fragiler Poet, Fernsehkoch, Richard Wagner-Double und Poesie-Dozent in Erscheinung getreten ist, scheint seine Vergangenheit als Sexsymbol des nihilistischen Zerstörungskrach in Vergessenheit geraten. Faktum ist: Die Neubauten brachten mal (wortwörtlich) Bühnen zum Brennen oder zerbohrten sie mit Presslufthämmern, ihr Frontmann malträtierte Körper und Gesundheit nicht nur mit verbotenen Substanzen im Backstageraum. Motto: Hören (und Sehen) mit Schmerzen.

Blixa Bargeld

Potomak (Indigo)

Blixa Bargeld 1985

Prädikat „Durchgeknallt“: Mike Hard von den God Bullies. Diesen Mann mit dem irren Blick kennen heute nur mehr eingefleischte Grunge- und Noiserock-Veteranen. Es gab aber eine Zeit, da erklärte er live dem American Dream den Krieg: wahlweise im Outfit eines Geschäftsmannes oder eines Predigers, mit brennenden Bibeln und um den Hals gewickelten Mikrophonseilen, Verletzungen inklusive.

Prädikat „Rolemodel“: Mike Patton. Der gut aussehende Kalifornier spuckte, schrie und quälte sich jahrelang durch etliche Seitenprojekte, während seine Haupteinnahmequelle Faith No More die Hitparaden stürmte (aber auch da munkelt man von Gigs, bei denen der Sänger das eigene Lulu ausschenkte und backstage mit seinem Gaga spielte). Seit er die Rolle des Wolfs im Mainstream-Pelz ablegte, tobt Mike Patton bei Fantomas, sucht mit Tomahawk den (un-)gepflegten Exzess und verwirklicht sich in unzähligen anderen Projekten.

Prädikat „Showman“: Marilyn Manson. Klassisches Rockkabarett Marke Rammstein oder Insane Clown Posse hat in diesen Top-Ten-Charts der musikalischen Destruktion nichts zu suchen. Brian Warner hat den Einstieg aber, trotz glischiger Ausflüge als Talentecontest-Juror, gerade noch geschafft. Schließlich hat Mr. Manson, gemeinsam mit seinem langjährigen Mentor Trent Reznor, den Wiener Aktionismus sehr ausgiebig studiert und immer wieder zitiert. Auch wenn er selbst nur Kunstblut auf der Bühne verwendet und die wahren, degoutanten Schweinigeleien in der Garderobe passiert sind.

Marilyn Manson

Universal Music

Marilyn Manson

Prädikat: "Festival-Kompatibel": Slipknot. Nicht wenige Erziehungsberechtigte dürften Kinder und Haustiere festzurren oder am Dachboden verstecken, wenn die vielköpfige Maskentruppe aus Hellville, Iowa im Live-Anmarsch ist. Folgt man beglaubigten Zeugenaussagen von Kollegen (Hallo, Paul Kraker), handelt es sich bei den ultrabösen Metal-Monstern in Wirklichkeit um US-Durchschnittsbürger der Sorte „Tankstellenwärter mit Iron Maiden-Shirt“ oder wahlweise „Fernfahrer mit riesiger Pornoheftlsammlung“. Also um ganz gewöhnliche Rednecks von nebenan mit geradezu klassischen Geschmacksvorlieben.

GG Allin

GG Allin

GG Allin

Prädikat „Tragikomisch“: G.G. Allin. Sein Motto: Sex, Drugs & Rock'n'Roll bis zum Erbrechen oder Durchfall. Der gesamte Wiener Aktionismus, kondensiert im Körper eines kaputten, egozentrischen Macho-Punkrockers. Während aber Rudolf Schwarzkogler unter mysteriösen Umständen umkam, starb Kevin Michael Jesus Allin an einer simplen Überdosis Heroin.

Prädikat „Ohren- und Augenbetäubend“: Yamatsuka Eye von den Boredoms. Der König der japanischen HC-Industrial-Extremrock-Psychedelik-Szene. Bruce Lee, Godzilla und Günter Brus in einer Person. War mal irgendwann der Haupteinfluss auf Mike Patton und damit die gesamte Prä-Nu-Metal-Herumtob-Szene der frühen und mittleren Neunziger. Ein kleiner, dünner, höflicher Slacker im Hip Hop-Look, der ganze Bühnen in Schutt & Asche legte und die Schwerkraft ignorierte. Yamatsuka Eye erweist sich aber vor allem auch als lebender Beweis dafür, dass Grenzüberschreitung auch undüster Spaß machen kann.

Fuckhead spielen heute Abend im Wiener WUK ihr großes Jubiläumskonzert. Ein Special zu Iggy Pop & The Stooges gibt es ab 22h im House of Pain auf FM4.

Prädikat „Legendär“: David Yow von The Jesus Lizard. Ich erinnere mich, wie eine Plattenfirmendame einmal zu mir sagte: Schau dir keine Konzerte von The Jesus Lizard an! Der Typ benimmt sich wie ein Schweinderl! Der furzt, rülpst, sauft, spuckt und schreit, zeigt seinen Blähbauch und riskiert sein Leben beim Sprung ins Publikum. Entschuldigung, meinte ich darauf, ich war mal sowas wie ein männliches Jesus Lizard-Groupie und David Yow ist ein ganz Großer. Der Mann, der Rock als Rückzugsgebiet, Narrenturm und Spielplatz für die eigene, kleine Privatkatharsis definierte, lebt heute in Chicago als Künstler, stellte jüngst am Donaufestival seine Katzenbilder aus und auch seinen Bauch wieder kurz zur Schau.

Girls against boys with david yow

david visnjic

David Yow 2013