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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

29. 5. 2013 - 16:00

"Ihr Krieg, Private"

Kevin Powers "Die Sonne war der ganze Himmel" wird als erster großer Roman über den Irakkrieg gefeiert.

Wie viele Leute haben George Bush wohl geglaubt, als er am 1. Mai 2003 die großen Kampfhandlungen für beendet und den Krieg für gewonnen erklärt hat? Sie alle mussten sich eines Besseren belehren lassen, als die Aufstände gegen die Besatzung nicht nachließen und Attentate die Opferzahlen unter Zivilisten und US-Soldaten in die Höhe trieben. Die Versprechungen von einem schnellen und sauberen Krieg wurden gebrochen.

Zehn Jahre nach der „Mission-Accomplished“-Rede Bushs ist die Aufarbeitung des Krieges im Gange und dabei leistet auch die Literatur ihren Beitrag, oder besser gesagt, ein Literatur-Newcomer: Kevin Powers. Sein Debütroman „Die Sonne war der ganze Himmel“ (im Original: „The Yellow Birds“) wird als erster großer Roman über den Irakkrieg bezeichnet und bereits in eine Reihe mit Antikriegsklassikern wie Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ gestellt. Powers versucht darin seine Erlebnisse, die er als Maschinengewehrschütze im Irak gemacht hat, zu verarbeiten.

epa

Der Held, der sich schämt

Kevin Powers „Die Sonne war der ganze Himmel“ ist in der Übersetzung von Henning Ahrens im S.Fischer Verlag erschienen.

John Bartle, Protagonist und Ich-Erzähler aus "Die Sonne war der ganze Himmel" ist ein psychisches Wrack. Er verlässt seine Wohnung nur, um Tiefkühlpasteten und Bier zu kaufen und seine Vormittage verbringt er damit, vom Hausdach auf Müll zu schießen. Er ist so geprägt vom Krieg, dass er nach dem Aufwachen jedes Mal instinktiv nach seinem imaginären Sturmgewehr greift und die Landschaft Virginias kann er nicht mehr wahrnehmen, ohne ständig nach geeigneten Deckungsmöglichkeiten zu suchen. Bartle hat verlernt, ein normales Leben zu führen. Während seine Jugendfreunde College Parties gefeiert haben, hat er Erfahrungen gemacht, mit denen er nicht zurecht kommt.

Er hat gesehen, wie Kameraden getötet worden sind, er hat selbst getötet, auf Männer und Frauen geschossen, auf Gegner und Unschuldige. Er schämt sich dafür, aber anstatt ihn für seine Handlungen zu verurteilen wird er zu Hause als Held gefeiert, der für die Freiheit Amerikas und der irakischen Bevölkerung gekämpft hat, wird mit Gratis-Drinks und Schulterklopfern bedacht. Größer könnte der Unterschied in der Wahrnehmung kaum sein.

Die Mär von der Bedeutsamkeit

Mit 17 tritt John Bartle in die Army ein, weil sich der Junge aus der Provinz nach einem bedeutsamen Leben sehnt, mit 21 wird er in den Irak in den Krieg geschickt. Helden, wie sie die Medien zeichnen, findet er dort keine, nur Phrasen: Dass sie gemeinsam für das Gute und die Gerechtigkeit kämpfen würden etwa - Schwachsinn. Die edle Gesinnung wird der Gewalt preisgegeben. Und auch, dass der Krieg die Leute zusammenschweiße sei nicht mehr als Geschwafel, in Wahrheit bringe er nur unzählige Solipsisten hervor. Jeder sei einzig darauf bedacht, zu überleben oder zumindest nicht der tausendste Gefallene zu sein, eine Zahl, die bedrohlich über den Soldaten schwebt.

Auf vermeintliche Gegner, die „Haddschis“ wird so lange eingeschossen, bis sie mit Sicherheit nicht mehr zurück schießen können, im Zweifel werden auch weiß beflaggte Autos unter Feuer genommen, Zeugen werden mit allen Mitteln zum Reden gebracht und wenn der eigene Dolmetscher stirbt, trauert niemand um ihn. Die Soldaten stumpfen ab, um sich selbst zu schützen.

epa

Das tiefe Loch

Der Kern des Romans besteht darin, dass John Bartle der Mutter seines 18-jährigen Kameraden Murph verspricht, ihn lebend nach Hause zu bringen und darin versagt. Er verliert diesen privaten Krieg, weil er nicht verhindern kann, dass Murphs Persönlichkeit an der Front gebrochen wird, dass er in ein Loch fällt, aus dem er nicht mehr herauskommt. Mit dem Tod von Murph nimmt er aber auch ein Geheimnis mit nach Hause, das ihn verfolgt.

Diese Geschichte ist nicht besonders dicht, doch Powers, eigentlich Lyriker, übertüncht das mit seiner poetischen Sprache und den Bildern, die er mit ihr entwirft. Etwa, wenn er Bartels die vielen Toten in seinem Einsatzgebiet als Teil der Landschaft wahrnehmen lässt, „so als hätte jemand Samen ausgestreut, die Leichen aus Erde, Staub und Bürgersteigen wachsen ließen, wie Blumen nach dem Frost, kümmerlich und welk im Licht einer hellen kalten Sonne.“

Keine Ausreden mehr

s. fischer verlag

Powers verzichtet darauf, die Hintergründe des Krieges darzustellen. Er will denen die Realität und das Ausmaß des Krieges vermitteln, die keinen unmittelbaren Bezug dazu haben, deren Kinder nicht verwundet oder demoralisiert zurückkommen, und auch die Kämpfe, die sie dann zu Hause ausfechten müssen. Die Perspektive des einzelnen Soldaten reicht aus, um die ganze Sinnlosigkeit des Krieges zu erfassen.

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Dass der Roman jetzt schon zu einem Klassiker erklärt wurde, ist vielleicht der Sehnsucht nach Authentizität geschuldet, die Kevin Powers zweifelsohne bedient, die Auszeichnung kommt aber verfrüht. Für ein großartiges Buch fehlt ihm ein wenig die Substanz, doch es leistet einen wichtigen Beitrag dazu, eine andere Wahrnehmung auf den Irak-Krieg zu bekommen und aufmerksamer bei nächsten Kriegsdrohungen zu sein. Wie Kevin Powers in einem hervorragenden Interview mit Christopher Lydon von Radio Open Source sagt, „No one should ever have the excuse of we didn't know what it would be like.“