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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

28. 5. 2013 - 15:40

Mehr Süchtige, weniger Hilfe

Im Griechenland der Krise und der hohen Arbeitslosigkeit nutzen immer mehr Menschen billige Drogen als Ausweg aus der harten Realität. Der Drogenkonsum hat unter anderem zu einem sprunghaften Anstieg an HIV-Neuansteckungen geführt.

Es ist früher Nachmittag in einer kleinen Seitenstraße im Athener Zentrum. Dimitris, ein 33-jähriger, magerer Mann hält in seiner zitternden Hand drei gebrauchte Spritzen. Ein grauer Van stoppt ein paar Meter weiter. Die Tür öffnet sich. Es sind die Streetworker von KETHEA, der größten Anti-Drogen-Organisation in Griechenland. Sie besuchen viermal wöchentlich diese Straße, um neue Spitzen gegen alte zu tauschen und die Drogensüchtigen zu beraten und aufzuklären, insbesondere zu medizinischen Themen.

Der Drogenkonsum hat unter anderem zu einem sprunghaften Anstieg an HIV-Neuansteckungen geführt. Bei den Süchtigen wurde im ersten Halbjahr 2011 die Zahl der Neu-Infektionen nach Angaben des Nationalen Zentrums zur Dokumentation und Information über Drogen acht Mal größer. Die Anti-Drogen-Organisationen sind alarmiert.

Viele der Süchtigen befinden sich in einer sehr schwierigen Situation sagt Eleni Marini, Psychologin und Mitglied des Streetwork-Teams von KETHEA. "Sie brauchen psychologische Unterstützung und möchten, dass wir sie in Therapien unterbringen. Sie haben viele gesundheitliche Probleme, die behandelt werden müssen." Ihr Hauptproblem ist aber, dass sie obdachlos sind, erklärt Eleni. "Im Moment gibt es keine Unterkünfte für Drogensüchtige, die noch nicht in eine therapeutische Gemeinschaft gehen möchten", sagt sie.

Shisha

Guardian

Im Griechenland der Krise, der hohen Arbeitslosigkeit und der Rezession verwenden immer mehr Menschen billige Drogen als einen Ausweg aus der harten Realität. Die Auswahl ist groß. In der griechischen Drogenszene sind seit Anfang der Krise neue billige Drogen aufgetaucht. Zum Beispiel Sischa, eine Droge, die zu einem Großteil aus Methamphetamin besteht, oft mit Batteriesäure vermischt wird und schwere Gesundheitsschäden hervorruft. Sie ist bekannt als "Kokain der Armen" und wird oft provisorisch in Wohnungsküchen hergestellt. Für weniger als fünf Euro kann man sich diese Droge besorgen.

Unter der Süchtigen befinden sich auch viele Einwanderer aus Asien und Afrika, die schutzlos und obdachlos in der griechischen Hauptstadt leben. Sie warten in der kleinen Seitenstraße zusammen mit Dimitris auf die neuen Spritzen.

Die Entscheidung, mit den Drogen aufzuhören, wird zurzeit immer schwieriger, sagt Eleni. Einer der Hauptgründe ist der Mangel an Perspektiven. "Die Drogensüchtigen sind selbstzerstörerischer als früher", sagt sie. Die hohe HIV-Ansteckungsrate hängt damit zusammen, dass viele die gleichen Spritzen teilen oder es vernachlässigen, beim Sex Kondome zu benutzen. Gleichzeitig entscheiden sie sich seltener dafür, an den Therapieprogrammen teilzunehmen. Denn die Motivation zum Aussteigen ist nicht groß. "Sie wissen ja, dass sie, wenn sie mit den Drogen aufhören, mit anderen Problemen konfrontiert werden - mit der Suche eines Jobs und der Integration in die Gesellschaft", sagt Eleni.

Anders als die vielen, die in dieser Seitenstraße stehen, plant Dimitris, bald ein normales Leben anzufangen. Die Entscheidung zum Entzug hat er seit längerem getroffen - unter anderem, weil er sich die Drogen nicht mehr leisten kann. Doch die Warteliste für das Drogenersatzprogramm ist extrem lang. "Ich warte schon seit sieben Jahren, weil sich hier in Griechenland alles sehr langsam bewegt. Ich wurde benachrichtigt, dass ich bald teilnehmen kann und hoffe, in drei bis sechs Monaten zu beginnen. Ich bin schon total fertig und halte diese Situation nicht mehr aus", sagt er während er nervös mit den Augen nach einen ruhigen Platz sucht, um seine Dosis einzunehmen.

Seit Griechenland einen harten Sparkurs umsetzt, um die Bedingungen der internationalen Gläubiger zu bedienen, wird überall gekürzt. Auch bei sozialen Einrichtungen wie Drogen-Präventionszentren. Bei manchen wurde die staatliche Subvention um die Hälfte gekürzt, erklärt KETHEA-Direktor Charalampos Poulopoulos. Seine Organisation versucht, durch Spenden von privaten Trägern ihre Kosten zu decken und neue Programme zu finanzieren. Der energische Mann mit der eckigen Brille steht zusammen mit anderen Mitarbeitern in einem großen Raum der Organisation im Athener Zentrum und bereitet ein neues Streetwork-Projekt vor. Und dies trotz der drastischen Einkommenseinschnitte. "Die Löhne des Personals wurden dramatisch gekürzt. Sie bekommen um die Hälfte weniger! Und wenn jemand kündigt oder pensioniert wird, kann man ihn nicht mehr ersetzen. Hier helfen die Armen den noch Ärmeren!", sagt er.

Der Staat reagiert mit umstrittenen Aktionen auf die Zuspitzung des Drogenproblems, indem er versucht, das Problem von der Bildfläche zu räumen. Polizeieinsätze gegenüber Drogensüchtigen haben in den letzten Monaten stark zugenommen. Immer öfter werden sie von der Polizei in Athener Zentrum vorübergehend verhaftet und in Vororte außerhalb Athens gebracht. Sie werden gegen ihren Willen medizinischen Untersuchungen unterzogen und am nächsten Tag freigelassen, sagt Poulopoulos. Das löst das Drogenproblem aber nicht. “Diese Menschen werden durch Verfolgung und Druck noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt, manche sogar in die Kriminalität. Damit", so Poulopoulos, "treibt man sie in die Arme von Drogendealern, die ihnen vermeintlichen Schutz anbieten, damit sie tiefer in den Drogenhandel einsteigen."