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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 5. 2013 - 16:22

Ich hab' meine Seele dem Tanz verkauft

Der Song zum Sonntag: Wild Nothing - "A Dancing Shell"

Bislang hat man Wild Nothing nicht mit dem Wort und der Haltung "Dancefloor" in Verbindung gebracht. Das von dem aus Blacksburg, Virginia stammenden Musiker Jack Tatum im Alleingang betriebene Projekt hat sich in der Vergangenheit mit Schrammel-Gitarre an pastellgefärbten Retromusiken aus dem melancholisch gestimmten Kinderzimmer abgearbeitet. Unter diesen Vorzeichen sind Wild Nothing zwei sehr gute Alben und zwei solide EPs gelungen, die ganz klar als Verlängerung von hängeschultrigem 80er-Indie gelesen werden konnten, als der Zeit entrückter, großäugiger Dreampop und von Trends und Hypes kaum berührter Außenposten an der Peripherie von Chillwave. Minus Elektronik.

Genau im richtigen Maße süßlich wurde da geschwelgt, mit nostalgischem Blick vergilbte Erinnerungen an mögliche Lieben und Jugenden herbeiimaginiert. Schön war das, und dann knipst man das Licht aus und zieht sich die besonders wattige Kuscheldecke über die Ohren.

Wild Nothing

Shawn Brackbill

Wild Nothing

Zwar ist die gerade erschienene EP von Wild Nothing nach wie vor in langsamen Samt gekleidet und gleitet ohne Hast und Zwang durch einsame Gassen, dennoch scheint mit dem Tonträger (ja, auch als wunderhübsch aufgemachtes Vinyl zu haben!) namens "Empty Estate" die Nacht erst zu beginnen. Hier kommt eine neue, zurückgelehnte Definition von "Funkiness" in die Welt. Jack Tatum hat den Synthesizer entdeckt und baut sich einen matt glänzenden Funk aus Plastik zusammen, der eindeutig an die Disco-Phasen von David Bowie, vor allem aber an den nervösen Art-Wave an der weichen Schwelle von Postpunk hin zu großem Pop der Talking Heads angelehnt ist.

Besonders aufsehenerregend ist hier das Stück - die Single - "A Dancing Shell": Die Hibbeligkeit der Talking Heads hat Tatum mit dem ihm vertrauten Weichzeichner sanft nachbearbeitet und abgefedert. Dennoch darf zu "A Dancing Shell" in die schönen Stiefel geschlüpft und ein Tänzchen versucht werden. Langsam, immerhin. Ähnlich wie im Talking-Heads-Hit "Once in a Lifetime", dem der Song musikalisch und inhaltlich so einiges verdankt, findet sich auch in "A Dancing Shell" ein orientierungsloser - vielleicht von den Wirrungen der modernen Welt erschlagener - Protagonist: "And I sold myself so I can be a big star" singt Tatum. "And I'll be your monkey every night / If it makes you love me, watch me now." Und: "Is that the way? I never knew" heißt es wieder und wieder im Refrain.

Nicht zuletzt aber umarmt "A Dancing Shell" den Wahnsinn und die Flucht vor der Vernunft. Der Song ist eine Hymne auf die Entgrenzung, ein Hurra! für den Körper und ein Lobgesang auf den Tanz: "I'm not a human, I'm just a body" heißt es später noch, "Just a dancing shell, here to make you happy". Die Verzweiflung in Schweiß übersetzen. In der Mitte des Songs quält sich dann noch ein quäkendes Solo aus einem Saxophon, das sich nicht zwischen schwülstigem 80er-Softporn und in Melasse getunktem Free Jazz entscheiden mag. Und Saxophone - auch das sagt dieser deutlich überspannte und gestresste, gleichzeitig locker-elastische Song - sind immer gut.