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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

25. 5. 2013 - 18:46

Power-Tourismus in Lissabon

Es ist mal an der Zeit, ans Schreiben zu denken.

Schließlich bin ich ja wegen eines Schriftstellerstipendiums hier. Es wird zwar nicht viel verlangt, aber ein paar Seiten literarische Ortserkundungen, ein Bericht über die Erfahrungen in der Fremde werden schon erwartet und sollen dann auch in einer Lesung vorgetragen werden.

Meine Berliner Vor-Stipendaten hatten es da einfacher. Sie waren, als sich die Stiftung noch eher Richtung Osteuropa orientierte, in Städten wie Riga, im kroatischen Pula, in Skopje und Bukarest. In Städten, über die man bislang noch nicht so viel gelesen hatte, über die in deutscher Sprache womöglich noch kaum einer ausführlicher berichtet hatte. Da hat die Reisebeschreibung noch eine ganz urprüngliche Aufgabe: von einem Ort in der Ferne zu berichten, an dem man noch kaum einer war. Aber was soll man über Lissabon schreiben? Eine Stadt, die schon so ausführlich besungen, beschrieben und abgefilmt wurde?

Blick auf Portugal unter strahlendem Himmel.

Christiane Rösinger

Von Lissabon wird doch immer aus der Tourismusperspektive erzählt, mit den immer gleichen Bildern vom Charme der Gassen, dem unvergleichlichen Flair der Stadt, ihrer Sinnlichkeit und Melancholie. Lissabon - das ist Fado, die ratternden gelben Straßenbahnen, der Tejo - ein letzter Rückzugsort für Romantiker. Und natürlich dürfen die Vanilletörtchen, die "Natas" niemals unerwähnt bleiben. Und vieles davon stimmt ja auch und man sieht es genau so, vielleicht aber auch, weil man es vorher so gelesen hat.

"Lissabon ist die Stadt der Süßigkeiten, genauso wie Paris die Stadt der Intellektuellen ist", so das berühmte Bonmot des portugiesischen Schrifstellers Ela de Querioz (1845- 1909) Und sie sind wirklich zahllos, die "Pastelerias"- sind in jeder, auch der elendesten Straße auf Schritt und Tritt zu finden, als müsse man der gefährlichen Unterversorgung vorbeugen, 100 Meter zu gehen, ohne sich bei Bedarf mit Kaffee und Natas versorgen zu können.

Lissaboner Gässchen mit Straßenbahn und Ausblick aufs Meer.

Christiane Rösinger

Keine Lissabon-Beschreibung kommt ohne das Heraufbeschwören des unwiderstehlichen Charmes alter Zeiten aus, der jahrhundertealte Sehnsucht der Portugiesen nach dem Glanz der versunkenen Zeit, der Epoche der Eroberungen durch den legendären Seefahrer Vasco da Gama. Und natürlich muss der Klang der zungenbrecherischen Sprache mit den vielen Sch-Lauten erwähnt werden und vielleicht noch ein Ort, der Erinnerungen an die Nelkenrevolution wachruft. Vielleicht hat auch bei der Lissabon-Literatur fortwährend einer vom anderen abgeschrieben?

Da muss man einmal schauen, was Schrifsteller im Laufe der Zeit über Lissabon geschrieben haben. Im Insel Taschenbuch "Lissabon. Ein literarisches Porträt" berichten Zeitzeugen über das Erbeben von 1755, die Lissabonfahrer des 19. Jahrhunderts mutmaßen, das subtropische Klima sei die Ursache für den Mangel an Aktivität und den Hang zur Melancholie der Einheimischen.

Eine Gasse in Portugal, die an die Küste führt.

Christiane Rösinger

"Die Lissabonner sind halbe Engländer", befindet Alfred Andersch 1975, weil sie sich an Haltestellen ordentlich anstellen und geduldig Zeitung lesen sind sie seiner Ansicht nach "queue- minded". Alfred Döblin wiederum beschreibt Lissabon als "ein moderner Großbetrieb zur Erzeugung von Lärm". Neue Texte sucht man aber vergeblich, die Anthologie endet mit Enzensberger in den Achtzigern. Lissabon als Kulturhauptstadt Europas 1994 bleibt ebenso unerwähnt wie die EXPO 98.

Neueres findet man in den Feuilletons, aber auch dort ist viel von der weißen Stadt am Tejo, vom berühmten Licht, den verwinkelten Gassen, den lauschigen Plätze, dem morbiden Charme des sonnendurchfluteten Lissabons die Rede. Nur wenige berichten vom afrikanischen Lissabon, oder der Chinatown Lissabons, die sich kurz hinter dem berühmten Rossio am eher unschönen Platz Martin Moniz auftut.

Lissabon: Häuserdächer, ein kleines Fort, eine Palme und das Meer.

Christiane Rösinger

Aber das alles wissend, und alle Klischees vermeiden wollend, kann es der müden Wanderin, die schon zum fünften Mal einen steilen Hügel in der Hitze erklimmt, entmutigt von den staubigen Gassen über das holprige Kopfsteinpflaster stolpert, immer wieder passieren, dass sie in einer unspektakulären Straße um eine unbedeutende Ecke biegt, nichts ahnt und nichts erwartet und dass sich dann auf einmal eine so unerwartete großartige Aussicht auf die Stadt, ihre Dächer, das blaue Meer, die geschwungene Brücke, die Christusfigur in der Ferne auftut. So, dass sie dem viel zitierten Sprichwort, das ihr unvermittelt einfällt, recht geben muss: "Wer Lissabon nicht gesehen hat, der hat noch nie etwas Schönes gesehen."