Erstellt am: 24. 5. 2013 - 16:44 Uhr
Harmonie, Ultras und Nazis
Die Langfassung dieses Artikels findet sich in der aktuellen Printausgabe des ballesterer.fm.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des ballesterer.fm
von Johannes Hofer und Simon Weyer
Das Online-Fanzine Schwatzgelb.de begleitet Borussia Dortmund seit der Jahrtausendwende. Im Interview für den Schwerpunkt der aktuellen ballesterer-Ausgabe sprechen die Redakteure des Webzines über das Fanumfeld der Borussia, abartige Stadionpläne und rechtsextreme Störgeräusche.
Das Themenspektrum von Schwatzgelb.de ist so breit wie seine Leserschaft. Spielberichte und Kommentare zu Fanangelegenheiten finden sich auf der Website genauso wie eine ausführliche Statistik- und Geschichtsabteilung zur 1909 gegründeten Borussia. Knapp 8.000 User nutzen das Forum von Schwatzgelb.de. Vor den Türen der Redaktionsräumlichkeiten im Dortmunder Süden kann man in der Ferne die gelben Stahlträger des Westfalenstadions ausmachen. Drinnen, am schwarzgelben Wutzler, haben sich Jens, Ramona, Arne und Malte zum Interview versammelt.

ballesterer
ballesterer: Euer Fanzine existiert seit mehr als zehn Jahren. Wie hat sich die Dortmunder Fanszene seither verändert?
JENS: Die letzten zehn Jahre waren sehr turbulent. Zur Jahrtausendwende war die Südtribüne tot, nach dem Ausbau haben sich die Strukturen verändert, die Ultras haben sich etabliert. Das hat die Tribüne belebt. Nach 2000 sind die Fanabteilung und die Ultra-Gruppe »TheUnity« entstanden. Dadurch ist die Fanmeinung stärker in den Fokus gerückt. »TheUnity« spricht regelmäßig mit dem Verein und trägt Wünsche und Interessen vor. Wir machen das genauso. Wenn es darum geht, sich mit Fananliegen Gehör zu verschaffen, konnten die Leute in den 1980ern von einer Situation wie heute nur träumen.
RAMONA: Die Vernetzung ist viel stärker geworden. Es gibt Schnittpunkte und gemeinsam mit anderen Gruppierungen können wir uns besser Gehör verschaffen. Die Kampagnen »Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein« und »Ich fühl mich sicher« sind gute Beispiele dafür.
Wie stark hängt dieser größere Einfluss mit der Finanzkrise und dem Beinahe-Konkurs des Vereins zusammen?
JENS: Zur Zeit der Finanzkrise waren viele Leute geblendet von den Erfolgen davor. Durch den Beinahe-Zusammenbruch hat sich viel geändert. Die Sichtweise der Fans ist eine andere. Dieses unkritische »Hauptsache wir sind erfolgreich!« gibt es nicht mehr. Es geht um mehr als das. Zwar gibt es immer noch Leute, die das Spiel konsumieren und dann nach Hause gehen, aber bei vielen ist damals etwas zerbrochen. Heute sehen sie die Vereinspolitik distanzierter.
RAMONA: Man merkt es auch daran, dass die Dortmunder Fans mittlerweile in den meisten deutschlandweiten Kampagnen mitmischen. Das Engagement ist sehr stark. Nicht unbedingt nur für den eigenen Verein, sondern was Fananliegen generell angeht.

Manfred Pollert
Die Fanszene in Dortmund wirkt sehr harmonisch. Woran liegt das?
JENS: Beim BVB war die Fanszene nie in Ultras und deren Kritiker gespalten. Es gibt einen gemeinsamen Nenner, auf den sich alle einigen können. Das hat auch viel mit den Köpfen bei den Ultras zu tun. »TheUnity« war immer darauf bedacht, die anderen mitzunehmen. Bei vielen anderen Vereinen gibt es Gruppen, die sich total abschotten.
MALTE: Gerade beim Protest gegen das neue Sicherheitskonzept der Liga im Vorjahr hatten viele Leute Angst, dass es so läuft wie in Schalke, wo das halbe Stadion »Ultras raus!« gerufen hat. Aber das hat es in Dortmund nicht gegeben. Auch wenn viele Leute nicht alles gut finden, was die Ultras machen, gibt es das Gefühl, dass man einander braucht.
Seid ihr Teil der Ultras?
JENS: Unseren Redakteuren steht frei, ob sie Mitglied in einer Gruppe sind. Als Fanzine machen wir dann alles richtig, wenn die einen sagen, wir wären das Sprachrohr der Ultra-Szene und die Ultras es genau umgekehrt sehen. Dann merkst du, dass du niemandem nach dem Mund redest.
ARNE: Es war immer unser Anspruch, verschiedene Strömungen abzudecken – unabhängig vom Alter oder anderen Kategorien. Umgelegt auf die Fanszene heißt das: Uns lesen Ultras genauso wie unorganisierte Fans und auch Leute, die nur vorm Fernseher sitzen. Und das auf ganz Deutschland verteilt.
In der Dortmunder Fanszene hat es immer wieder Probleme mit Nazis gegeben. Wie schätzt ihr die aktuelle Lage ein?
ARNE: Auf der Südtribüne soll es zwischen 50 und 100 Personen geben, die dem rechtsextremen Lager zuzuordnen sind. Dieses Solidaritätsbanner für das Netzwerk »Nationaler Widerstand« im August 2012 war ein Einzelfall. Da hat sich jemand fernab von seiner Gruppe positioniert und irgendwelchen Leuten das Banner in die Hand gedrückt. Es heißt oft, die Rechten würden im Stadion Leute rekrutieren und junge Fans anziehen. Ich denke aber, das findet eher im Verborgenen statt.
MALTE: Im Stadion sind die rechten Gruppen meist gar nicht wahrnehmbar. Sie bleiben sehr unter sich und treten nicht in Erscheinung, also auch nicht gewalttätig.
Im Europacup-Spiel in Donezk wurden aber zwei Fanvertreter angegriffen.
JENS: Die »Borussenfront« ist bei internationalen Auswärtsspielen immer noch präsent. Viele haben in Deutschland Stadionverbot, die siehst du bei Heimspielen nicht. Außerhalb des Stadions schaut es etwas anders aus.
ARNE: Der frühere Dortmunder Polizeipräsident ist lange eine lockere Linie gefahren und hatte mit Nazi-Demos keine Probleme. Sein Nachfolger verfolgt eine härtere Linie, das Thema ist stärker in den Medien präsent. Ich glaube aber nicht, dass das Nazi-Problem beim BVB heute größer ist als vor zehn Jahren.

Manfred Pollert
Wie hat sich das Stadionpublikum generell verändert?
JENS: In den 1980er Jahren war ein ganz anderes Klientel als heute im Stadion – nicht nur hier in Dortmund. Fußball war ein Ding der Arbeiterklasse. Heute gehen ungleich mehr Leute zum Fußball, für viele ist es eine Freizeitbeschäftigung für die ganze Familie. Das hat natürlich Konsequenzen. Wenn auf der Tribüne etwas schiefläuft, ist das gleich groß in den Medien.
Wie seht ihr die aktuelle Vermarktungsstrategie der Borussia?
JENS: Es hat Zeiten gegeben, da war der Verein deutlich kommerzieller. In den 1990er Jahren hat es teilweise aberwitzige Ideen gegeben. Zum Beispiel wollte man den Rasen mit Hydraulikpumpen auf die Höhe des Stadiondachs anheben, damit er mehr Licht bekommt. Gleichzeitig sollte darunter eine Konzerthalle entstehen. Die dafür verantwortlichen Leute hätten sich wie Christoph Daum einer Haarprobe unterziehen sollen.