Erstellt am: 24. 5. 2013 - 17:25 Uhr
Ein halbes Jahr Flüchtlingsproteste
Genau vor einem halben Jahr, am 24. November 2012 sind an die 100 Flüchtlinge gemeinsam mit UnterstützerInnen vom Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nach Wien marschiert. Ein 35 Kilometer langer Fußmarsch, entlang der Badner Bahn, vorbei am Asylgerichtshof in der Laxenburger Straße bis zum Sigmund-Freud-Park vor der Votivkirche. Hier eine Chronologie der Ereignisse:
FM4 Jugendzimmer mit Flüchtlingen des Refugee Protest Camps
Im FM4 Jugendzimmer am 24. Mai besucht Riem Higazi die Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen ein halbes Jahr nach ihrem Aufbruch aus Traiskirchen. wie geht es ihnen und was hat der Protest bisher gebracht?
Jetzt zum Nachhören! (siehe links)
"We demand our rights"
Der Protest richtet sich am Anfang gegen schlechte Lebensbedingungen und die Überbelegung der Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Unter anderem beklagen die Flüchtlinge fehlende Winterkleidung, zu geringes Taschengeld, beengte Wohnmöglichkeiten und Schnellverfahren ohne entsprechende Berücksichtigung von Fluchtgründen. Dazu kritisieren die Flüchtlinge auch, dass die ÜbersetzerInnen unqualifiziert seien und es für viele Sprachen und Dialekte gar keine DolmetscherInnen gäbe. Die Folgen daraus seien Nachteile in den Verfahren und schlechte Chance auf einen positiven Asylentscheid.
Der Marsch der Flüchtlinge ist inspiriert von Protestmärschen in Deutschland. Wie in Berlin errichten die Flüchtlinge und UnterstützerInnen ein Protestcamp im Wiener Sigmund-Freud-Park. Während die AktivistInnen bei eisigen Temperaturen am Boden schlafen und mehr Rechte fordern, streitet die Politik über Quoten wie viele AsylwerberInnen jedes Bundesland aufnehmen soll. Die Forderung nach Arbeitsmöglichkeiten während des Asylverfahrens stößt bei Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) auf Unverständnis, sie spricht von Asyl-Aktionismus.
Öffentliche Debatte entbrennt
In der Öffentlichkeit entbrennt mit dem Refugee Camp auch eine kontroverse Debatte darüber, inwieweit AsylwerberInnen Forderungen stellen dürfen. Nach vier Wochen wird der Ruf nach der Räumung des Refugee Camps immer lauter. Die AktivistInnen lassen sich davon nicht beirren: kurz vor Weihnachten begibt sich eine Gruppe von Asylwerbern in die naheliegende Votivkirche und erklärt so lange bleiben zu wollen, bis es weitere Gespräche mit dem Innenministerium über die Asylsituation in Österreich gibt.
APA / Georg Hochmuth
Kurz vor Weihnachten lädt die Erzdiözese Wien zu einem "Runden Tisch" ein, an dem VertreterInnen aus dem Innenministerin und Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) sowie Caritas, Diakonie, UNHCR, amnesty international und Flüchtlinge teilnehmen. Ein Ergebnis gibt es vorerst nicht. Während die Hilfsorganisationen allen voran die Caritas zu vermitteln versuchen, bleibt das Innenministerium dabei, die Asylverfahren der Protestierenden nicht neu prüfen zu können. Das Ministerium sagt lediglich zu, dass der Rechtsanspruch auf Grundversorgung jedes einzelnen "Asyl-Campers" noch einmal geprüft werden könne.
Camp wird geräumt
Da es in der Votivkirche bitterkalt ist, bietet die Caritas Ersatzquartiere an, diese werden von den Menschen in der Votivkirche abgelehnt. Einen Tag vor Weihnachten eskaliert die Situation weiter: mehrere Flüchtlinge in der Votivkirche treten in den Hungerstreik. Die Fronten verhärten sich zusehends. Nach den Weihnachtsfeiertagen räumt die Polizei in den frühen Morgenstunden das Refugee Camp im Sigmund-Freud-Park. Die Begründung: illegales Camping. Die Räumung wird von Menschrechtsorganisationen und UnterstützerInnen scharf kritisiert, es wird von Polizeiwillkür gesprochen.
Zum Jahreswechsel besucht Kardinal Christoph Schönborn erstmals die Asylwerber in der Votivkirche; im neuen Jahr erklärt sich nun auch Innenministerin Mikl-Leitner zu einem Treffen mit vier Vertretern bereit. Die Gespräche kommen allerdings wieder zu keinem Ergebnis, die Innenministerin sieht einen "Schlusspunkt" erreicht und fordert ein Ende der Proteste.
Hungerstreik und Rettungseinsätze
Die Situation in der Kirche spitzt sich unterdessen weiter zu. Viele Flüchtlinge müssen geschwächt durch den Hungerstreik ärztlich behandelt werden, die Caritas spricht von mehreren Rettungseinsätzen am Tag. Dazu kommt es zu rassistischen Übergriffen rund um die Kirche gegen Flüchtlinge. Mitte Februar kommen während eines Gottesdienstes neun Mitglieder der rechten Gruppe "Wiener Identitäre Richtung" in die Votivkirche und erklären die Kirche für "besetzt". Ihren Protest gegen "Massenzuwanderung und Islamisierung" blasen sie aber nach einigen Stunden wieder ab.
Christian Stipkovits/Radio FM4
Indessen versuchen die Flüchtlinge weiter für ihre Anliegen zu werben. Beim Protestsongcontest treten die “refugees of the vienna refugee camp” mit ihrem Song "We love Vienna, je t'aime, Vienne" an. Sie belegen den zweiten Platz und sind trotzdem die Sieger des Abends. "We demand: Our rights" wird minutenlang im Rabenhof skandiert.
Brief vom Bundespräsidenten
Mitte Februar meldet sich erstmals auch Bundespräsident Heinz Fischer in der festgefahrenen Situation zu Wort. Er appelliert an die Flüchtlinge, in die von der Kirche und Caritas angeboten Ausweichquartiere umzusiedeln. Die Flüchtlinge beharren auf ihren Forderungen und wollen bleiben. Der Druck von den Behörden wird allerdings immer größer. Zwei Aktivisten werden nach Ungarn abgeschoben, ein Sprecher der Flüchtlinge wird kurzfristig vor der Votivkirche verhaftet. SOS Mitmensch spricht von "Jagdszenen", die Polizei von einer "routinemäßigen Kontrolle".
APA/HERBERT P. OCZERET
Im März beschließen die Flüchtlinge ihren Protest in der Votivkirche aufzugeben und ins Wiener Servitenkloster zu ziehen. Nach Zusagen aus dem Innenministerium wollen sie mit den Behörden kooperieren. Nach dem Umzug wird es in den Medien zunehmend ruhig um die Situation der Flüchtlinge.
Aktuelle Situation
63 Männer sind ins Servitenkloster umgezogen und teilen sich dort einen großen Keller und einige Klosterzellen. 28 von ihnen, mehrheitlich aus Pakistan haben mittlerweile einen rechtskräftigen, negativen Asylbescheid, sie können keine Rechtsmittel mehr einlegen. Derzeit wird geprüft, ob es Rückreisemöglichkeiten in ihre Heimat gibt, obwohl es vonseiten der österreichischen Behörden eine partielle Reisewarnung gibt. Hilfsorganisationen und AktivistInnen fordern eine Neuüberprüfung der Abschiebemöglichkeiten und der Sicherheit für die Betroffenen in Pakistan. Neben der drohenden Abschiebung gibt es aber noch eine zweite Unsicherheit. Im Juni müssen die Refugges of Vienna wieder raus aus dem Servitenkloster, da es umgebaut wird. Wohin es danach gehen soll ist noch ungewiss. Die Caritas und Diakonie suchen Ersatzquartiere.
APA/HERBERT P. OCZERET